Chancen für biobasierte Spezialchemikalien
Chemieunternehmen müssen auf steigende Nachhaltigkeitsanforderungen der Kunden reagieren
Die internationale Chemieindustrie ist in hohem Maße von fossilen Rohstoffen abhängig und verursacht etwa 2 % der gesamten globalen Kohlendioxidemissionen. In einigen Ländern mit hoher Chemieproduktion ist dieser Anteil deutlich höher, in Deutschland bspw. liegt er bei etwa 5 %. Daher müssen alle Versuche, Netto-Null-Emissionen von Kohlendioxid zu erreichen, zwangsläufig auch die chemische Wertschöpfungskette einbeziehen.
Weitere Treiber dieses Übergangs sind die zunehmend höhere Nachfrage der Verbraucher nach nachhaltig gewonnenen Produkten und potenziell höhere Kosten kohlenstoffemittierender Produktionsprozesse (z. B. bei Einführung einer Kohlenstoffsteuer). Die Chemieindustrie hat daher starke Anreize, das Potenzial biobasierter Chemikalien zu untersuchen. Grundsätzlich kann sich diese Forschung entweder auf den Ersatz etablierter petrochemischer Produkte oder auf die Entwicklung neuer, biobasierter Produkte mit innovativen Leistungsmerkmalen konzentrieren. Darüber hinaus führt die Übertragung chemischer Produktionsprozesse auf biotechnologische Verfahren häufig zu einem besseren Nachhaltigkeitsprofil.
Biobasierte Chemikalien in der Anwendung
Heute konzentriert sich das Interesse der Industrie vor allem auf hochvolumige Konsumgüter wie Grundchemikalien im Haushalts- oder Körperpflegebereich mit hautfreundlichen, biologisch abbaubaren oder anderen milden Produkteigenschaften, z. B. Biotenside. Weitere Beispiele sind biobasierte Materialien wie PLA (Polymilchsäure), PBS (Polybutensuccinat) und PHA (Polyhydroxyalkanoat) sowie konventionelle Polymere, die aus biobasierten Monomeren hergestellt werden (z. B. Polypropylen, bestimmte Polyamide).
„Die Märkte für Spezialchemikalien sind generell durch steigende kundenseitige Nachhaltigkeitsanforderungen herausgefordert.“
Neben der breiteren Verwendung biobasierter Rohstoffe bieten biobasierte Spezialchemikalien jedoch erhebliche Möglichkeiten für neue wertschöpfende Produkteigenschaften bei gleichzeitiger Optimierung des CO2-Fußabdrucks der Unternehmen. Dies beschleunigt nicht nur die Produktinnovation und senkt die Kohlendioxidemissionen der Industrie, sondern kann auch eine Reihe anderer Vorteile mit sich bringen, wie Einsparungen bei den Produktionskosten, z. B. durch kürzere Synthesewege und mildere Reaktionsbedingungen. Beim Ersatz etablierter Hochleistungschemikalien müssen biobasierte Materialien allerdings die gleiche oder eine bessere Leistung erbringen und nicht nur die Gesamtkohlendioxidemissionen reduzieren. Alternative biobasierte Materialien haben natürlich andere Eigenschaften und Leistungsmerkmale und können daher auch aufwändigere Vermarktung erfordern.
In einigen chemischen Segmenten werden biobasierte Materialien bereits weit verbreitet eingesetzt, während sie in anderen bisher nur sehr gering verbreitet sind. Ein von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenes Papier liefert Schätzungen für die Gesamtproduktion, die biobasierte Produktion und den daraus resultierenden Anteil der biobasierten Produktion für eine Reihe chemischer Kategorien (vgl. Tab.).
Bei Tensiden machen biobasierte Materialien eindeutig einen großen Marktanteil aus – in diesem Beispiel aufgrund der erheblichen Verwendung biobasierter Oleochemikalien in Tensiden. Anwendungen in Kosmetik- und Körperpflegeprodukten sind ein weiterer Schwerpunkt, während bei Basischemikalien (in der Studie als Plattformchemikalien bezeichnet, vgl. Tab.) die Durchdringung mit biobasierten Materialien sehr gering ist. Die sieben wichtigsten Chemikalien in dieser Kategorie sind Milchsäure, Epichlorhydrin, Ethylenglykol, Ethylen, Sebacinsäure, 1,3-Propandiol und Propylenglykol.
Die Basischemieindustrie sucht jedoch aktiv nach Möglichkeiten, petrochemische Rohstoffe durch biobasierte Alternativen zu ersetzen, z. B. durch den Ersatz von Phenol durch Lignin, die Herstellung von Polyethylen oder Ethylenglykol über aus Bioethanol gewonnenes Ethylen oder die Herstellung von Bionylon (Polyamid) aus biobasiertem Caprolactam.
Wie sind also biobasierte Spezialchemikalien derzeit auf dem Markt vertreten? Hier sind einige Beispiele für kommerziell erhältliche biobasierte Materialien:
- Tenside, einschließlich solcher aus Pflanzenölen und Kokosnussöl (z. B. Cocamide DEA).
- Weichmacher aus natürlichen Ölen, z. B. Jojobaester aus Jojobaöl.
- Polyole zur Polyurethanherstellung, die z. B. aus Rizinusöl durch Modifikation der Ricinolsäure gewonnen werden.
- Biozide aus Pflanzenextrakten (z. B. wird ein antimikrobielles Mittel aus Zitrusextrakten als Gaia AB 504 für den Einsatz in Thermoplasten vermarktet) oder durch mikrobielle Fermentation.
- Chelatbildner, wie sie z. B. von BASF angeboten werden: Trilon M Max EcoBalanced verwendet erneuerbare Rohstoffe wie Bionaphtha oder Biogas als Rohmaterial.
- Rheologiemodifikatoren, die in Kosmetika verwendet werden, wie z. B. ein Biopolymer, das auf natürliche Weise aus Taragummi gewonnen und von Clariant unter dem Namen Plantasens Biogum Tara vermarktet wird.
- Antioxidantien einschließlich Tocopherole (Vitamin E aus Pflanzen).
- UV-Absorber aus Pflanzenextrakten. Ein Patent beschreibt auch UV-abschirmende Furanpolymere aus biologischem Ursprung.
- Enzyme – diese werden bereits in Waschmitteln häufig verwendet, wobei eine Marktstudie von FMI eine globale Marktgröße von 5,7 Mrd. USD im Jahr 2022 und eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von über 7 % schätzt.
- Farbstoffe und Pigmente aus Pflanzenextrakten. Diese sind natürlich viel älter als synthetisch hergestellte und werden seit Tausenden von Jahren in Textilien verwendet. Darüber hinaus ist auch die mikrobielle Produktion eine Option.
- Katalysatoren, die bei der Herstellung von Biodiesel und anderen Reaktionen verwendet werden. Reaxis arbeitet bspw. an nachhaltig gewonnenen metallbasierten Katalysatoren, die aus pflanzlichen und recycelten Materialien gewonnen werden.
- Weichmacher aus Grundölrohstoffen aus erneuerbaren Ressourcen, wie der von Cargill angebotene Biovero-Weichmacher für PVC.
„In einigen Chemiesegmenten werden biobasierte Materialien bereits weit verbreitet eingesetzt, während sie in anderen bisher nur sehr gering verbreitet sind.”
Sehr gute Chancen für biobasierte Produkte bestehen insbesondere in Anwendungen mit direkten Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit (z. B. Inhaltsstoffe für Körperpflegeprodukte, Lebensmittelzutaten, Lebensmittelverpackungen oder pharmazeutische Wirkstoffe) oder auf die Umwelt (z. B. Schmierstoffzusätze, Wasserchemikalien usw.). Infolgedessen wächst das Marktpotenzial biobasierter Spezialchemikalien deutlich über dem Marktdurchschnitt, insbesondere in ökologisch sensiblen Marktsegmenten.
Unsere Kunden interessieren sich daher zunehmend für das Potenzial biobasierter Produkte zur aktiven Innovation ihres Produktportfolios, z. B. durch den Ersatz etablierter Produkte oder durch die Erforschung neuer Anwendungen für biobasierte Materialien.
Vorteile biobasierter Produkte
Ein Projektbeispiel ist die Bewertung potenzieller neuer technischer Anwendungen für Pflanzenöl-/Fettsäurederivate in Spezialchemiesegmenten. Bei der Prüfung verschiedener potenzieller Anwendungsbereiche stellte sich allgemein heraus, dass die besten Möglichkeiten zum Ersatz fossiler Materialien bestehen, wenn einige der folgenden Vorteile biobasierter Produkte gefordert werden:
- Bessere Produktverträglichkeit/ geringere Toxizität
- Grüne Marketingaussagen
- Biologische Abbaubarkeit von Materialien
- Verbesserter CO2-Fußabdruck
- Geringerer Regulierungsdruck
Voraussetzungen für den Ersatz konventioneller Produkte sind die gleiche oder bessere Produktleistung und ein vergleichbares Preisniveau – höhere Preise können jedoch durch zusätzliche Leistungsmerkmale gerechtfertigt werden.
Bei der Anwendung biobasierter Spezialchemikalien sind jedoch einige Herausforderungen zu bewältigen. Aufgrund der natürlichen Rohstoffbasis sind Produktqualität und -zusammensetzung möglicherweise nicht stabil oder konstant. Biobasierte Substanzen stellen häufig Mischungen verschiedener Biochemikalien dar, die nicht genau definiert werden können.
Alles in allem stehen die Märkte für Spezialchemikalien vor Herausforderungen durch steigende kundenseitige Nachhaltigkeitsanforderungen. Hersteller sollten daher das Potenzial biobasierter Produkte aktiv bewerten und Konzepte entwickeln, konventionelle Spezialchemikalien auf fossiler Basis durch biobasierte Materialien zu ersetzen.
Volker Schlüter, ChemAdvice, Wiesbaden, und
Kai Pflug, ChemAdvice / Management Consulting – Chemicals, Shanghai, China