Autoreifen aus Löwenzahn
Forschungsprojekt untersucht großtechnische Gewinnung von Latex aus Löwenzahnmilch
Aus dem Löwenzahn, als „Pusteblume" hierzulande wohlbekannt, soll im Tonnenmaßstab Naturkautschuk herstellt werden. Wissenschaftler um Biologe Dirk Prüfer vom Fraunhofer-Institut IME, Aachen, schaffen derzeit die technischen Grundlagen für eine Großproduktion der bislang eher als Abfallprodukt der Natur angesehenen „Pusteblume."
Mit dem vollständigen Ersatz des Naturkautschuks durch den Milchsaft des Löwenzahns glückte den Aachener und Münsteraner Wissenschaftlern um Prof. Prüfer und Dr. Christian Schulze-Gronover im Jahr 2011 ein großer Schritt in eine sorgenfreiere Zukunft. Stieg bisher die Nachfrage nach Naturkautschuk, vor allem durch Schwellenländer wie China und Indien, weltweit stark an, so könnte sich bald eine spürbare Entspannung dieses wichtigen Rohstoff-Marktsegments abzeichnen. Gegenwärtig gehen in Deutschland rund 25 % des Naturkautschuks, der aus Malaysia, Indonesien sowie Südamerika importiert wird, in die Produktion von Autoreifen. Insgesamt müssen weltweit über zwei Drittel des Naturkautschuks für die Reifenherstellung aufgewendet werden. Weitere 11 % werden als Ausgangsmaterial in der Latex-Industrie für die Herstellung von Gummi-Handschuhen und -kleidung genutzt, rund 8 % gehen in andere Gummiprodukte sowie schließlich 5 % in die Herstellung von Schuhsohlen, Klebstoffen etc. Über 40.000 in Deutschland erhältliche Produkte enthalten Gummi. Zwar gibt es weltweit rund 2.500 Pflanzen, berichtete ein US-Magazin, die Naturkautschuk enthalten, doch nur aus wenigen lässt er sich in ausreichender Qualität herstellen. Chemisch gesehen besteht Kautschuk aus Poly+Cis+1,4 Polyisopren. Sein großer naturgegebener Vorteil ist seine hohe Elastizität.
Forschungsziel erreicht
Bereits 2011 glückte in Aachen der Durchbruch bei der Herstellung von Naturkautschuk aus Löwenzahn. Wie Prof. Prüfer mitteilte, wurde der Löwenzahn aktiv gezüchtet, indem Pflanzen gekreuzt und die gewünschten erhaltenen Exemplare selektioniert wurden. Danach wurden die hochleistungsfähigsten Pflanzen analysiert und angebaut. Der neue Kautschuk ist sogar dem Syntheseprodukt aus dem 2. Weltkrieg in puncto Festigkeit überlegen. Neue Versuchsanpflanzungen existieren gegenwärtig in Münster/Westfalen, wo auf über 1 ha Ackerfläche Löwenzahn angepflanzt wird sowie auf dem Versuchsgelände des bundeseigenen Julius-Kühn-Instituts (JKI) in Quedlinburg.
Der Latex, der aus einer Ritze des Löwenzahns tropft, ist zudem nicht allergen für Menschen - im Gegensatz zu dem aus Gummibäumen (Hevea Brasiliensis). Auch dies ist ein gewichtiger Vorteil. Fraunhofer-Wissenschaftler Christian Schulze-Gronover stellte bei weiteren Nachprüfungen fest, dass der Löwenzahn noch weitere, ins Gewicht fallende Vorteile bietet:
1. Er behindert nicht die Lebensmittel-Versorgung (kein Dilemma „Teller oder Tank")
2. Er wächst auf sog. marginalen, d.h. anspruchslosen Böden
3. Der Milchsaft (Latex) der kasachischen Löwenzahn-Pflanzenart Taraxacum koksaghyz enthält zu einem Drittel Kautschuk, bei der einheimischen Pflanzenart sind es nur 10 %
4. In der EU stehen schätzungsweise ca. 1 Mio. Hektar Brachflächen zum Anbau des bedürfnislosen Löwenzahns zur Verfügung
5. Es ist pro Jahr mit einer Ernte Löwenzahn pro Jahr zu rechnen und schließlich
6. der Doppelnutzen: Löwenzahn enthält viel Inulin, ein Präbiotikum, das den Darm anregt und zur Herstellung von fettarmer Wurst, Brotaufstrichen oder Schokolade verwendet werden kann.
Weiter wurde das Genom des kasachischen Löwenzahns von den Fraunhofer-Wissenschaftlern vollständig sequenziert. Sie entdeckten den biochemischen Prozess, infolge dessen auch der Löwenzahn-Milchsaft beim Kontakt mit Luft sofort gerinnt. Mithilfe der grünen Gentechnik stellten sie neue Löwenzahn-Pflanzen ohne Latex-Gerinnung her. Jedoch dürfen sie diesen gentechnisch veränderten Löwenzahn nicht in freier Natur anbauen, sondern nur im Gewächshaus. Sie untersuchten weiter die DNA, identifizierten und analysierten insgesamt acht Gene, die die Enzyme zur Herstellung des Milchsafts produzieren. Einige dieser Gene ähneln in ihrer Sequenz bzw. chemischen Zusammensetzung durchaus denen des Gummibaums (Hevea Brasiliensis). Dies ist nicht weiter überraschend, denn schließlich ist der Gummibaum chemisch die Ausgangsbasis. Auch gelang es den Züchtungsexperten um Dirk Prüfer, Löwenzahn-Pflanzen mit nur noch einjähriger Blütezeit zu züchten. Dies bedeutet, dass diese Löwenzahn-Sorte jedes Jahr geerntet werden kann und sich somit generell die Ausbeute an Löwenzahn verdoppeln kann. Und der Milchsaft des Löwenzahns kann sowohl gerinnend als auch nicht-gerinnend hergestellt werden, während der Latex aus dem Gummibaum von Natur aus gerinnt, d.h. bei Schädigung der Pflanze nicht mehr fließt.
Um den hohen Anteil von 10 % Latex im Innern der Löwenzahn-Wurzel weiter zu erhöhen, wäre es vorteilhaft, ihn mit noch mit dickeren Wurzeln zu züchten, um auf diese Weise den Latex-Gehalt weiter zu steigern. In USA sucht ein Forscherteam um Matthew Kleinhenz, Professor für Gartenwirtschaft und Pflanzenkunde an der Ohio State University, Columbus, immer wieder die Pflanzen mit den dicksten Löwenzahn-Wurzeln heraus und kreuzt die Sieger dieses Screenings. Ziel dieses Experiments ist es, Löwenzahn-Pflanzen zu züchten, die relativ hoch wachsen und deren Wurzelwerk gleichzeitig so dick und schwer ist, dass sie mit einer Karotten-Erntemaschine geerntet werden können.
Großproduktion beginnt demnächst
Pro Pflanze werden derzeit ca. 5 Milliliter Milchsaft gewonnen. Prof. Schiemann vom Julius-Kühn- Institut in Quedlinburg schätzt, dass ca. 350.000 Löwenzahn-Pflanzen auf einem Hektar Brachland angebaut werden können. Daraus könnten rund eine Tonne Naturkautschuk und zwei Tonnen des Präbiotikums Inulin gewonnen werden. Inulin steht somit in noch größeren Mengen als der Kautschuk aus der Löwenzahn-Pflanze zur Verfügung. Die Inulin-Produktion wird also stark ansteigen in Deutschland. Bisherige Großabnehmer sind Unternehmen der Ernährungsindustrie. Über das Inulin aus Löwenzahn hat man sich bei Südzucker, Mannheim, noch keine weiteren Gedanken gemacht. Eine Umstellung von Zichorien auf Löwenzahn wäre allerdings ohne weiteres zu bewerkstelligen, da Löwenzahn preislich um 80 % - 90 % günstiger zu haben ist. Um 10 % des Jahresverbrauchs in Deutschland an Kautschuk aus Löwenzahn herzustellen, benötigt man eine Fläche von ca. 20.000 ha.
«Der Löwenzahn hat ein großes Potenzial», unterstreicht Prof. Schiemann vom JKI, Quedlinburg, seine Ausführungen. Der gleichen Meinung ist der Reifen-Produzent Continental AG, Hannover, der als Industriepartner in dieses Autoreifen-Projekt eingebunden ist. Auch er ist an den 2014 anlaufenden Großversuchen zur Herstellung von Autoreifen aus Löwenzahn maßgeblich beteiligt. Von grundlegender Bedeutung ist Conti, dass die Eigenschaften des Naturkautschuks - Festigkeit beim Abrieb und Solidität des Reifens - erhalten bleiben. Mit Freude hat Conti zur Kenntnis genommen, dass nicht mehr sieben Jahre bis zur ersten Ernte von Naturkautschuk abgewartet werden müssen, sondern der Löwenzahn in einem oder maximal zwei Jahren geerntet werden kann. Für den Hannoveraner Reifenhersteller eröffnen sich somit ganz neue Zukunftsperspektiven: Eine neue, überaus preiswerte Rohstoffquelle und dazu noch im eigenen Land herstellbar! Nicht zuletzt für den Weltmarkt, für den letztes Jahr über 140 Mio. Pneus produziert wurden, ergeben sich für Conti interessante Perspektiven.
In einem transnationalen Löwenzahn-Projekt haben sich mehrere Partner in einem Verbundnetz zusammengefunden: Insgesamt sind es weltweit 10 Forschungsinstitute, darunter die Uni Lausanne. Jedoch hat bisher allein das Fraunhofer-Institut IME, Aachen, zusammen mit dem Münsteraner Dirk Prüfer das Projekt bis zur Marktreife vorangebracht. Auch die notwendigen Patente und Lizenzen sind längst in deren Besitz. Dennoch bietet sich auch den anderen Kooperationspartnern die große Chance, sich im europäischen, ja weltweiten Rahmen neu aufzustellen.
Wenn die deutsche Industrie auf Rohstoffe nicht verzichten muss, sondern sich neue Stoffquellen erschließt, wird sich dies stimulierend nicht nur auf die Landwirtschaft, sondern auf die gesamte Industrie auswirken. Schließlich gehört die Reifenindustrie zu den fortschrittlichsten Branchen. Das Unkraut Löwenzahn, aus dem Autoreifen, allergiefreie Gummi-Kleidung oder Matratzen produziert werden, wäre überdies eine hervorragende neue Ertragsquelle für die Landwirte. Noch im Kalenderjahr 2014 werden schlüssige Ergebnisse vorliegen, die eine klare, eindeutige Entscheidung ermöglichen.