Abseits des Rampenlichts: Pharma-CDMOs
Die Entwicklung und Herstellung der Impfstoffe gegen Covid-19 ist eine komplexe Angelegenheit
Die Entwicklung und Herstellung der Impfstoffe gegen Covid-19 ist eine komplexe Angelegenheit. Seit die ersten zugelassenen Impfstoffe gegen Covid-19 in vielen Ländern verimpft werden, wartet die restliche Welt ungeduldig auf die Zulassung weiterer Impfstoffe gegen das Coronavirus, damit ausreichend Impfdosen weltweit zur Verfügung gestellt werden können, um die Pandemie bald zu besiegen.
BioNTech, Moderna, CureVac, AstraZeneca, Pfizer, Janssen Pharmaceutical (Johnson & Johnson, J&J), Sanofi, GlaxoSmithKline, Merck, Bayer und Novavax: Namen von Pharma- und Biotechfirmen, die vor einem Jahr oft nur Menschen bekannt waren, die in oder mit den Unternehmen arbeiten, Ärzte oder Apotheker sind oder auf eine andere Art mit der Branche zu tun haben. Das gilt vor allem für die Impfstoffpioniere, aber erst recht für Exoten wie R-Pharm, Sinovac oder Sinopharm und Forschungsinstitute wie Oxford, Baylor oder Gamaleya.
Die bereits seit über einem Jahr andauernde, weltweite Covid-19-Pandemie hat die Impfstoffforschung in den Fokus gerückt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zählt derzeit rund 270 Impfstoffprojekte. An den meisten dieser Projekte sind Firmen und Institute beteiligt, die noch weniger Menschen ein Begriff sein dürften, doch auf diesen ruhen große Hoffnungen. Denn je mehr Vakzine auf den Markt kommen, desto schneller kann ein ausreichender weltweiter Impfschutz erreicht werden, um die Pandemie zurückzudrängen.
Insbesondere da es auch bei den durch beschleunigte Verfahren bereits zugelassenen Impfstoffen noch zu Komplikationen kommen kann oder die geplanten Lieferkapazitäten durch Produktionsprobleme nicht erfüllt werden können.
Unterschiedliche Wirkmechanismen
Obwohl Pharma- und Biotechunternehmen in weniger als einem Jahr die ersten Covid-19-Impfstoffe entwickelt und die Großproduktion aufgebaut haben, sind noch nicht die benötigten Kapazitäten erreicht, denn die Herstellungsprozesse für die verschiedenen Impfstofftypen gegen Covid-19 unterscheiden sich deutlich voneinander.
Die Impfstoffe von Pfizer/BioNTech, Moderna und CureVac basieren auf Boten-RNA (mRNA)-Vakzinplattformen. Dabei ermöglichen eingekapselte genetische Anweisungen den geimpften Personen, das Spike-Protein von SARS-CoV-2 zu produzieren, um das Immunsystem zu stimulieren. Die Covid-19-Impfstoffe von AstraZeneca und J&J funktionieren nach dem Vektorprinzip und verwenden Adenoviren, um ein Stück der DNA oder des genetischen Materials zu übertragen, das zur Herstellung des charakteristischen „Spike“-Proteins des SARS-CoV-2-Virus verwendet wird.
Novavax und Sanofi/GlaxoSmithKline forschen an Impfstoffen, die auf adjuvantierten Proteinen basieren, die rekombinante Proteine von SARS-CoV-2 mit einem Adjuvans (Wirkverstärker) verknüpfen. Mit dieser Technologie wird die exakte genetische Kopie der Virus-Oberflächenproteine erstellt und als DNA-Sequenz in eine Expressionsplattform integriert, die das Antigen produziert.
Sanofi und GlaxoSmithKline (GSK) müssen ihren Impfstoffkandidaten überarbeiten und neue Tests vornehmen. Nach Angaben der beiden Pharmakonzerne wird erst Ende 2021 mit einer Zulassung gerechnet. Zudem will GSK zusammen mit CureVac einen neuen Impfstoff gegen die ansteckenderen Varianten des Coronavirus entwickeln, der 2022 auf den Markt kommen könnte.
Produktion und Versorgung aufbauen
Zusehends in den Fokus rücken auch die Unternehmen, die selten im Rampenlicht stehen, aber für die Impfstoffentwicklung oder -produktion essenziell sind. Denn insbesondere kleinere, aber hochinnovative Biotechfirmen wie BioNTech, Moderna oder CureVac, die die revolutionären mRNA-Impfstoffe entwickeln, besitzen nicht die Produktionskapazitäten, um in kürzester Zeit Milliarden Impfstoffdosen herzustellen, zu formulieren und abzufüllen. Sie sind auf die Unterstützung durch CDMOs angewiesen, die sich auf einzelne Schritte der Impfstoffentwicklung oder -produktion spezialisiert haben und den Weg durch die klinischen Studien mit Synthese- und Formulierungsdienstleistungen begleiten. Diese Entwicklungs- und Produktionsdienstleister bleiben den meisten Menschen unbekannt, weil sie erstens nicht die Brand Owner sind und zweitens oft nicht über ihre Kunden und Projekte sprechen.
Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (VFA) gab im Februar einen Überblick über den Stand der Entwicklung. Deutschland zählt international zu den Ländern mit besonders vielen Projekten für Impfstoffe gegen Covid-19. Neben BioNTech und CureVac forschen u.a. Unternehmen und Start-ups wie Leukocare, Prime Vector Technologies (PVT), Artes Biotechnology, Belyntic, IDT Biologika oder Baseclick alleine oder gemeinsam mit Forschungseinrichtungen an Impfstoffen.
Kontinuierlich wachsende Produktionsnetzwerke
Die Impfstoffentwickler arbeiten unter Hochdruck gemeinsam mit Synthesedienstleistern, Formulierern und Abfüllern daran, die Kapazitäten auf- und auszubauen. In der Pharma- und Biopharmaindustrie ist es üblich, dass die Produktionsschritte für ein Arzneimittel oder einen Impfstoff – von der Wirkstoffsynthese über die Produktformulierung bis zur Abfüllung bzw. Verpackung – auf mehrere Partner aufgeteilt werden. In einer Notlage wie der Covid-19-Pandemie muss zudem versucht werden, so viele Impfstoffdosen wie möglich in kürzester Zeit parallel her- und zur Verfügung zu stellen.
Neben dem Ausbau der eigenen Produktionskapazitäten, haben die Impfstoffunternehmen daher Kooperationen mit anderen Firmen etabliert. Diese können dann nach der Umrüstung ihrer Anlagen und der Schulung des Personals bspw. Impfstoffkomponenten zuliefern oder parallel zum Originalhersteller bestimmte Herstellungsschritte übernehmen oder den Impfstoff in Lizenz komplett eigenständig herstellen und vertreiben.
BioNTech/Pfizer
Das Beispiel von BioNTech und Pfizer zeigt, wie diese seit Monaten ihr Produktionsnetzwerk erweitern. Die beiden Partner selbst tragen dazu massiv bei. Im Februar hat BioNTech seine neue Produktion in Marburg in Betrieb genommen und Testläufe gestartet. Bereits im April sind die ersten Impfstoffdosen aus dem ehemaligen Novartis-Werk ausgeliefert worden. Zudem produziert das Biotechunternehmen am Mainzer Firmensitz und in Idar-Oberstein.
In den USA ist die Anlage von Pfizer in Kalamazoo die wichtigste Produktionsstätte des Impfstoffs. Das Unternehmen hat auch in andere US-Produktionsstätten investiert, darunter St. Louis, Andover und Pleasant Prairie, und darüber hinaus neue Produktionslinien an seinem Standort in McPherson in Betrieb genommen, die Lipidproduktion an seinem Standort in Groton gestartet und weitere Auftragshersteller hinzugenommen.
Das Produktionsnetzwerk umfasst auch das belgische Pfizer-Werk in Puurs, dessen Anfang des Jahres begonnene Kapazitätserweiterung die Produktionsmengen zunächst reduziert hatte. Inzwischen hat die EMA eine Erhöhung der Chargengröße und ein damit verbundenes Prozess-Scale-up in der Impfstoffproduktionsstätte in Puurs genehmigt. Auch eine Anlage von Novartis am Standort Stein in der Schweiz soll für die Herstellung des Impfstoffs von BioNTech/Pfizer genutzt werden. Im Rahmen einer Vereinbarung über die Auftragsfertigung plant Novartis, den mRNA-Wirkstoff als Bulkware von BioNTech zu übernehmen und unter aseptischen Bedingungen in Fläschchen abzufüllen, die dann an BioNTech zurückgeschickt werden. Pfizer/BioNTech sind auch mit Sanofi verpartnert. Demnach wird Sanofi ab Sommer 2021 die späte Herstellung des Covid-19-Impfstoffs übernehmen.
Weitere Partner, die an der Impfstoffproduktion von BioNTech/Pfizer beteiligt sind, haben sowohl der VFA als auch die US-amerikanische Organisation DCAT (Drug, Chemical & Associated Technologies Association) recherchiert.
Demnach haben BioNTech/Pfizer AMRI ausgewählt, um die Entwicklung und Herstellung von Lipid-Hilfsstoffen für ihren Impfstoff in den USA zu unterstützen. Und Evonik hat seine an den Standorten Hanau und Dossenheim in Deutschland produzierten Speziallipide im Rahmen einer strategischen Partnerschaft mit BioNTech ausbaut. BioNTech hat zudem seine strategische Partnerschaft mit Merck erweitert, um die Lieferung von Lipiden zu beschleunigen.
Außerdem wirken den Quellen zufolge über die genannten Firmen hinaus noch Rentschler Biopharma, Dermapharm, Siegfried, Allergopharma, Delpharm; Polymun und Baxter BioPharma Solutions durch Unterstützung bei Produktion, Fertigung oder Abfüllung an der Bereitstellung des Vakzins mit.
Moderna und CureVac
In ähnlicher Weise haben auch andere Hersteller Netzwerke für die Produktion ihrer Impfstoffe aufgebaut oder Lizenzen an andere Unternehmen vergeben, die über die nötige Ausrüstung und dafür qualifiziertes Personal verfügen.
CureVac, dessen mRNA-basierter Impfstoff CVnCoV im Juni in der EU zugelassen werden könnte, hat bereits Vereinbarungen mit Partnern wie Bayer, Fareva, Wacker, Novartis, Celonic und Rentschler geschlossen. Wacker Biotech bereitet derzeit seinen Standort Amsterdam mit der Inbetriebnahme neuer Produktionslinien für die Hochdurchsatzproduktion des Impfstoffs von CureVac vor. Und Novartis wird im österreichischen Kundl ab Sommer 2021 die mRNA und den vorformulierten Wirkstoff des CureVac-Impfstoffkandidaten produzieren. Die Vorbereitungen für den Produktionsstart, für den Technologietransfer und die Testläufe in einer neuartigen Hightech-Fertigungsanlage haben bereits begonnen.
Auch die US-Firma Moderna treibt die Erweiterung der Kapazitäten für ihren Impfstoff mRNA-1273 sowie potenziellen Impfstoff-Boostern in eigenen und mit Partnern betriebenen Produktionsstätten voran. Angesichts eines sechs- bis neunmonatigen Zeitrahmens für die Kapazitätserweiterung und eines zusätzlichen Zeitrahmens für die behördliche Validierung und den Ramp-up wird geschätzt, dass bis zu 12 Monate erforderlich sein könnten, bevor die zusätzliche Produktion zur Verfügung steht. Zu den externen Partnern, mit denen Moderna in den USA und außerhalb der USA zusammenarbeitet, gehören Catalent, Baxter BioPharma Solutions und Lonza.
Die EMA empfahl Ende April die Genehmigung einer neuen Abfülllinie am Fertigprodukt-Herstellungsstandort von Moderna für die EU in Rovi, Spanien. Die neue Linie wird eine Erhöhung der Abfüllaktivitäten ermöglichen, um sie mit dem Scale-up-Prozess des Wirkstoffs am Standort der Wirkstoffherstellung, bei Lonza in Visp in der Schweiz, zu synchronisieren.
J&J und AstraZeneca
J&J hat damit beginnen, seine Produktionsanlagen rund um die Uhr zu betreiben, um den Produktionsausstoß des Covid-19-Impfstoffs Ad26.COV2.S seines Tochterunternehmens Janssen Pharmaceuticals zu maximieren. Im März gab die US-Regierung bekannt, dass sie mit Merck & Co. zusammenarbeiten wird, um bestehende Anlagen für die schnelle Herstellung von Covid-Impfstoffen und -Therapeutika für den Einsatz in Notfällen umzuwidmen. J&J wird der erste Partner sein, der die Anlagen von Merck & Co. zur Herstellung seines Covid-19-Impfstoffs nutzen wird. Merck & Co. ist der neunte Hersteller, der sich dem globalen Netzwerk von J&J zur Herstellung des Covid-19-Impfstoffs anschließt. Zu den Partnern gehört auch die deutsche Firma Vibalogics. J&J hat auch eine Produktionsvereinbarung mit Sanofi getroffen.
Zu den Produktionspartnern von J&J gehört auch die US-Firma Emergent BioSolutions, die Ende März in die Schlagzeilen geriet, weil bis zu 15 Mio. Dosen des Janssen-Impfstoffs verunreinigt wurden, weil das CDMO auch Inhaltsstoffe für den Impfstoff von AstraZeneca herstellt und Substanzen vertauscht hat.
AstraZeneca wird in den USA künftig nicht mehr auf Emergent als Produktionspartner zählen können, trifft aber weitere Vereinbarungen mit anderen Firmen, um die Herstellung seines Covid-Vakzins auszuweiten, u.a. in Deutschland.
Mitte Februar unterzeichnete der britisch-schwedische Pharmakonzern eine Vereinbarung mit IDT Biologika. Der deutsche Impfstoffhersteller wird in zusätzliche Kapazitäten für das AstraZeneca-Vakzin an seinem Hauptsitz Dessau investieren. Auch WuXi Biologics wirkt an der Produktion des Impfstoffs von AstraZeneca mit. Das Tochterunternehmen des chinesischen Konzerns hat am Bayer-Standort Wuppertal eine ungenutzte Anlage für biologische Substanzen erworben und bereitet sie derzeit vor, um den Impfstoffwirkstoff herzustellen.
Das niederländische CDMO Halix stellt die Wirksubstanz des AstraZeneca-Vakzins in seiner Anlage in Leiden her. AstraZeneca arbeitet auch mit Catalent in den USA und Europa zusammen. Der US-CDMO produziert den Impfstoff in den USA und füllt ihn u.a. an seinem italienischen Standort Anagni ab.
In manchen Fällen arbeiten die Impfstoffhersteller auch in der Produktion zusammen. So haben GSK und Novavax eine Vereinbarung getroffen, nach der GSK bis zu 60 Mio. Dosen des Covid-19-Impfstoffkandidaten des US-Biotechunternehmens in England produzieren wird.
Investitionen in Abfüllkapazitäten und Verbrauchsmaterialien
Aenova hat ein Investitionsprogramm aufgelegt, das die Installation weiterer Anlagen für die aseptische Produktion und Abfüllung im italienischen Latina vorsieht, um die Kapazitäten für die Produktion von Impfstoffen gegen das SARS-CoV-2-Virus zu erweitern. Auch am deutschen Standort Gronau hat Aenova die Abfüllkpazitäten mit einer weiteren Sterillinie für Ampullen und Vials signifikant aufgestockt.
Auch Merck erweitert seine Kapazitäten für Technologien in der Impfstoffherstellung. Am französischen Standort Molsheim investiert das Unternehmen 25 Mio. EUR in eine Anlage für Einwegverbrauchsmaterialien, die bei der maschinellen Herstellung von Coronaimpfstoffen und für andere Therapien gebraucht werden. Merck unterstützt zudem die Produktion des Impfstoffs von Oxford University/AstraZeneca.
Und Glashersteller wie Schott oder Gerresheimer fahren ihre Produktionen hoch, um jeweils mehrere Hundert Millionen Ampullen für die Impfstoffe bereitstellen zu können. Zudem sollen die Impfprogramme nicht daran scheitern, dass Verbrauchsmaterialien wie Spritzen, Kanülen oder Kochsalzlösungen fehlen. Deshalb hat der Verband der Chemischen Industrie (VCI) die Notfallplattform Corona als Vorsorgemaßnahme aufgebaut, deren Ziel es ist, die Versorgung der Impfzentren in den Bundesländern für dieses Zubehör sicherzustellen und die Logistik für die Auslieferung der Covid-19-Impfstoffe über den pharmazeutischen Großhandel an die Arztpraxen zu unterstützen.
Dieser Überblick, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und dessen Aktualität sich täglich ändern kann, zeigt wie wichtig Pharmadienstleister – auch wenn sie nicht im Rampenlicht stehen – für die Wertschöpfungs- und Lieferketten von Impfstoffen und auch anderen Arzneimitteln sind. Die Covid-19-Pandemie hat wie noch keine Gesundheitskrise zuvor verdeutlicht, dass eine enge Partnerschaft zwischen Pharma- und Biotechunternehmen auf der einen und CDMOs und Abfüllern bzw. Verpackern auf der anderen Seite essenziell für den medizinischen Fortschritt und die Gesundheitsversorgung sind.
Michael Reubold, CHEManager