Die Nachfrage nach chemischen Produkten steigt, gleichzeitig ist die Chemieindustrie gefragt, ihre CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren. Eine aktuelle PwC-Studie zeigt, warum sich die grüne Transformation gleich doppelt auszahlt.
Autor: Jürgen Peterseim, Director Sustainability Services, PwC Deutschland, Berlin
Wie die Chemieindustrie durch CO₂-Reduktion Milliarden sparen kann
Als Lieferant wesentlicher Grundstoffe ist der Chemiesektor einer der meistgefragten Industriezweige. Allerdings belegt er auch Platz zwei auf der Liste der weltweit größten CO2-Emittenten. Und der Blick in die Zukunft verrät, dass die Produktionsmengen der wichtigsten Basischemikalien in den kommenden Jahren weltweit immens steigen werden. Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens von 2015 und die globalen Netto-Null-Ziele dennoch zu erreichen, ist die Industrie umso mehr gefragt, die Defossilisierung zu priorisieren und aktiv voranzutreiben.
In Zahlen: Bis 2040 braucht es nach aktuellen PwC-Prognosen Investitionen von bis zu 1 Bio. USD für die Netto-Null-Transformation. Bis 2050 werden bis zu 3,3 Bio. USD benötigt. Eine große Herausforderung – und gleichzeitig die Chance, den Sektor nachhaltig zu verändern. Gelingt das Umdenken, so lassen sich durch den Einsatz erneuerbarer Energien und grüner Rohstoffe sowie die Elektrifizierung der Prozesse Emissionen senken, Abläufe effizienter gestalten und Kosten sparen.
Aus Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen lösen
Dass die Chemieproduktion bislang so emissionsintensiv ist, liegt u. a. an der Art der Energiegewinnung. Der Einsatz fossiler Brennstoffe verursacht erhebliche Treibhausgasemissionen. Entsprechend ist ein wichtiger Hebel für die Transformation, fossile Brennstoffe wie Erdgas oder Rohöl durch grüne Alternativen zu ersetzen. Statt bspw. Ammoniak – wie bislang – durch Erdgas zu gewinnen, kann dieser Prozess auf grünen Wasserstoff umgestellt werden. Hergestellt durch Elektrolyse mit erneuerbarer Energie, lassen sich hierdurch erheblich Emissionen reduzieren.
Der zweite Hebel, um Emissionen einzusparen, ist die Elektrifizierung der Produktionsprozesse. Durch den Einsatz von Strom aus erneuerbaren Quellen können viele thermische und mechanische Prozesse emissionsfrei erfolgen. Die Herstellung von Ethylen und Propylen erfolgt traditionell in Steamcrackern. Weil diese mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, entstehen hier erhebliche CO2-Emissionen. Durch den Wechsel auf elektrifizierte Cracker, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden, könnten die Ausstöße bei der Herstellung dieser Basischemikalien um bis zu 92 % gesenkt werden.

Grüne Rohstoffe für die Energiewende
Die dritte und wesentliche Option für mehr Nachhaltigkeit liegt in der Verwendung grüner Rohstoffe. Biomasse, die aus nachwachsenden Pflanzen oder Abfallprodukten gewonnen wird, punktet ebenso wie synthetisches Naphtha als CO2-neutrale Alternative und lässt sich schrittweise umwandeln. Zunächst wird Lignin aus der Biomasse extrahiert, um es im zweiten Schritt in Pyrolysegas umzuwandeln. Dieses Gas kann dann weiterverarbeitet werden, um Aromaten wie Benzol, Toluol und Xylol zu produzieren. Für eine langfristige Umstellung auf grüne Rohstoffe sollte der Chemiesektor Kooperationen mit angegliederten Teilen der Lieferkette eingehen. Eine enge Zusammenarbeit mit dem Landwirtschaftssektor ist bspw. notwendig, um die benötigten Rohstoffe in ausreichender Menge und Qualität beziehen zu können. Zugleich wären Investitionen in nachhaltige Anbaumethoden notwendig, die wiederum allen Beteiligten helfen würden.
Kombiniert und im Einklang mit der Kreislaufwirtschaft, bilden diese drei Optionen eine umfassende Strategie, um die Chemieindustrie nachhaltig zu transformieren und die notwendige Emissionsreduktion entscheidend voranzutreiben. Diese Veränderungen sind nur möglich, wenn Chemieunternehmen in die entsprechende Infrastruktur und Technologien investieren. Wer hier gezielt vorangeht und frühzeitig die Umstellung forciert, erarbeitet sich langfristig einen klaren Wettbewerbsvorteil.
Investitionen, die sich rechnen
Dass nachhaltige Produktionsmethoden neben den ökologischen auch wirtschaftliche Vorteile bieten, veranschaulichen die in der PwC-Studie berücksichtigten Marginal Abatement Cost Curves (MACCs). Diese Berechnungskurven zeigen, welche Kosten und Einsparpotenziale mit den unterschiedlichen CO2-Reduktionsmaßnahmen verbunden sind. Dabei zeichnen die Kurven ein langfristiges Bild: Die in der Studie untersuchte Elektrifizierung der Produktionsprozesse erfordert bspw. anfänglich hohe Investitionen in die elektrische Ausstattung. Dafür stabilisieren sich die Betriebskosten und die Emissionen aus elektrischen Prozessen nähern sich der Netto-Null. In der Summe bleiben erhebliche Kosteneinsparungen.
Zu einem ähnlichen Ergebnis führt die Umstellung auf grünen Wasserstoff. Während die Produktion und Nutzung aktuell noch mit höheren Kosten verbunden sind, wird die Kurve durch technologische Fortschritte sowie Skaleneffekte langfristig abflachen. Gleichzeitig gewinnen Chemieunternehmen, die bislang für ihre Produktionsprozesse vorrangig auf fossile Brennstoffe setzen, ein Stück Unabhängigkeit. Und das, während sie mit einer konsequenten Transformation nicht nur ihren Schadstoffausstoß, sondern auch die Herstellungskosten senken.

Emissionsreduktion zu überschaubaren Mehrkosten
Neben den anfallenden Kosten in der Produktion ist insbesondere interessant, wie sich die grüne Transformation finanziell auf die Endprodukte auswirkt. Denn die Studienergebnisse sehen nur minimale Veränderungen. In der Pharmaindustrie zeigt sich bspw., dass die Verwendung von grünem Methanol den Preis von Ephedrin nur um 0,003 % erhöht – dafür aber die CO2-Emissionen um 5 % senkt. Wird in der Herstellung von Verpackungsmaterialien grünes Ethylen eingesetzt, so ist eine Preisänderung von 0,3 % zu beobachten. Allerdings lassen sich auf diesem Wege auch 8 % der anfallenden Emissionen einsparen.
Die geringfügig steigenden Endproduktpreise zeigen, dass die Nachhaltigkeitsbemühungen realistisch umsetzbar sind, ohne Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen. Vielmehr können diejenigen Unternehmen, die nachhaltige Methoden etablieren, sich im Markt bewusst positionieren und zugleich ihre eigene Umweltbilanz verbessern. So kann die Chemieindustrie durch den Einsatz von erneuerbaren Energien, grünen Rohstoffen und die Elektrifizierung ihrer Prozesse eine Schlüsselrolle im nachhaltigen Wandel einnehmen – und mit ihrer eigenen Innovationskraft zum Vorbild für andere Branchen werden.
Zusammenarbeit entlang des Produktzyklus

Die Implementierung nachhaltiger Praktiken bietet die Möglichkeit, neue Märkte zu erschließen und Kunden zu gewinnen, die Wert auf umweltfreundliche Produkte legen. Unternehmen, die die grüne Transformation aktiv vorantreiben, können sich als Pioniere in der Branche positionieren. Das überzeugt wiederum Investoren, die zunehmend Nachhaltigkeitskriterien in ihre Entscheidungen einfließen lassen.
Damit diese umfassende Wende in der Chemieindustrie auch tatsächlich gelingen kann, ist es letztlich unumgänglich, die Zusammenarbeit zwischen Industrie, Politik und Wissenschaft zu stärken. Nur durch gemeinsame Anstrengungen können die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen und die Transformation hin zu einer CO2-neutralen Zukunft erfolgreich umgesetzt werden. Der Weg zu einer nachhaltigen Chemieindustrie ist somit nicht nur eine ökologische Notwendigkeit, sondern auch eine wirtschaftliche Chance, die es zu nutzen gilt.

Jürgen Peterseim
ist Director im Bereich Nachhaltigkeitsberatung bei PwC Deutschland. Er begann seine Karriere 2003 im Energiesektor mit der Planung und dem Bau von Kraftwerken und Industrieanlagen. Bei PwC, wo er seit 2019 tätig ist, unterstützt er Kunden u.a. dabei, Strategien für Dekarbonisierung, Kreislaufwirtschaft und Wasserstoff zu entwickeln und umzusetzen. Peterseim ist Wirtschaftsingenieur und hat einen Doktortitel von der University of Technology Sydney, wo er auch als außerordentlicher Professor lehrt und u.a. Kooperationsmöglichkeiten mit deutschen Forschungsinstituten identifiziert.
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