Kapital für den Wandel
Private-Equity-Investoren wirken als Katalysatoren für die Konsolidierung der Chemieindustrie.
Inmitten globaler Krisen und wirtschaftlicher Unsicherheiten steht die deutsche Chemieindustrie vor einem grundlegenden strukturellen Wandel. Private-Equity-Investoren können in dieser Situation nicht nur das Kapital für dringend notwendige Investitionen bieten, sondern auch als Katalysator für nachhaltige Transformationen wirken. Andrea Gruß sprach mit Ronald Ayles, Managing Partner bei Advent, darüber, wie der Investor mit gezielten Investitionen und langfristigen Strategien Unternehmen wie Röhm und Envalior zu globalen Marktführern entwickelt und welche Chancen Private Equity für den Chemiestandort Deutschland bietet.

CHEManager: Herr Ayles, Energiekrise, Ukrainekrieg, Inflation und aktuell eine unberechenbare Zollpolitik, initiiert durch die USA – wie wirken sich diese Entwicklungen auf das Private-Equity-Geschäft aus?
Ronald Ayles: Das Marktumfeld der Chemieindustrie, aber auch das Geschäft der Private-Equity Industrie ist in den vergangenen Jahren sicherlich nicht einfacher geworden. Aber wirklich einfach war es noch nie: Die Chemieindustrie ist eine zyklische Branche. Die Wertschöpfungsketten sind global und sehr komplex, die Abnehmerbranchen heterogen. Wie sich die neuen Zölle auf die Wertschöpfung der Branche auswirken werden, kann man noch nicht abschließend beurteilen. Gerade in Phasen hoher Unsicherheit entstehen aber auch Chancen: Veränderungsprozesse werden schneller angestoßen und Unternehmen öffnen sich für strategische Gespräche mit Partnern und Investoren, weil Geschäftsbereiche nicht mehr wettbewerbsfähig sind oder weil sie Liquidität benötigen. Genau das erleben wir aktuell.
Welche Rolle kann Advent bei der Konsolidierung der Branche spielen?
R. Ayles: Es gibt in großen Chemiekonzernen viele unterschiedliche Geschäfte, die im Wettbewerb um Kapital stehen. Insbesondere die europäische Chemiebranche steht zudem unter einem hohen Dividendendruck. Die Konzerne können daher die erwirtschafteten Gewinne häufig nicht in dem Maße in das Geschäft reinvestieren, wie das teilweise sinnvoll wäre – und wie wir das tun. Denn unser Geschäftsmodell ist ein komplett anderes. Wir verfügen über ausreichend Kapital um zu investieren, schütten in der Regel aber keine Dividenden aus und werden nicht an Quartalsergebnissen gemessen. Das ist unser großer Vorteil gegenüber börsennotierten Unternehmen. So können wir auch längerfristige Transformationen nachhaltig unterstützen.
Wir wollen eigenständige
Weltmarktführer schaffen.
Wie schaffen Sie dabei Werte für Ihre Investoren?
R. Ayles: Wir kaufen Unternehmen mit gewissen Marktpositionen und sorgen für organisches und anorganisches Wachstum. Das tun wir, indem wir in Produktion sowie Forschung und Entwicklung investieren oder gezielt neue regionale Märkte erschließen. Wir setzen insbesondere darauf, Zukunftstechnologien zu implementieren, und halten dabei Unternehmen länger als andere im Portfolio. Auf diese Weise haben wir ausreichend Zeit, die Attraktivität der Unternehmen zu steigern und können sie zu einem höheren Wert wieder verkaufen. Davon profitieren wiederum unsere Investoren.
Wie finanzieren Sie Ihre Aktivitäten?
R. Ayles: Insgesamt verwaltet Advent ein Vermögen von rund 86 Mrd. USD. Aktuell investieren wir aus unserem zehnten Fond, dem GPE X Fond. Mit einem Kapital von 25 Mrd. USD handelt es sich aktuell um einen der größten Private-Equity-Fonds weltweit. Zu unseren globalen Investoren gehören institutionelle Investoren wie Versicherungen, Stiftungen und Pensions- oder Staatsfonds. Einige davon begleiten uns schon seit einigen Jahrzehnten und sind gemeinsam mit uns gewachsen.
Die Herausforderungen der deutschen Chemieindustrie sind groß und es muss sich einiges ändern, aber das geschieht mit viel Kompetenz.
Advent hat bereits zahlreiche Transkationen in der Chemiebranche begleitet. Wie erklären Sie Ihren Erfolg in dieser Branche?
R. Ayles: Es gibt viele Gründe, nicht in die Chemieindustrie zu investieren: Kapitalintensität, Zyklizität, niedriges Wachstum, Rohstoff- und Energiekosten und teilweise Überkapazitäten. Aber genau deswegen haben wir uns langfristig auf diese Branche ausgerichtet, weil sie einerseits tiefe Kenntnisse erfordert und gleichzeitig die genannten Faktoren viele Investoren abschrecken. In über 30 Jahren haben wir über 30 Firmen in der Chemiebranche begleitet und dabei unser Verständnis für die Chemie vielfach unter Beweis gestellt. Das wird anerkannt und öffnet uns viele Türen. Aktuell haben wir drei große Chemieunternehmen in unserem Portfolio: das Darmstädter Unternehmen Röhm, ein Carve-out des Methacrylat-Verbunds von Evonik, das niederländische ehemalige Familienunternehmen Caldic, weltweit Nummer drei in der Spezialchemiedistribution, und mit Lanxess das Joint Venture Envalior, das im Jahr 2023 aus der Fusion von DSM Engineering Materials und Lanxess High Performance Materials entstand. Wir unterstützen die Unternehmen dabei, durch notwendige Veränderungen optimale Wachstumsmöglichkeiten zu entfalten. Wir wollen eigenständige Weltmarktführer schaffen.
Bei Röhm investieren Sie in die internationale Aufstellung der Produktion, in neue Technologien, aber auch in Forschung und Entwicklung (Anmerkung der Redaktion: vgl. Interview CHEManager 10/2024). Ist Letzteres nicht ein eher risikoreiches Unterfangen für einen Investor?
R. Ayles: Als wir Röhm übernahmen, wussten wir genau, wo das Unternehmen steht und was es braucht. Unser Prinzip ist es, über den gesamten Konjunkturzyklus hinweg in die Transformation von Unternehmen zu investieren. Daher bleiben unsere Beteiligungen auch länger im Portfolio als branchenüblich. 2019 entschied Evonik, ihr Methacrylat-Geschäft zum Verkauf zu stellen, obwohl sie eine sehr vielversprechende neue C2-basierte Produktionstechnologie entwickelt hatten. Evonik wollte das Kapital nicht investieren und das damit verbundene Risiko nicht eingehen. Wir sahen darin eine Chance und haben seither rund 1,5 Mrd. EUR in Röhm investiert – etwa so viel wie der aktuelle Jahresumsatz. Unser Ziel: Röhm als Technologieführer bei Methacrylaten weiter auszubauen. Im März 2025 nahm das Unternehmen die neue C2-basierte LiMA-Produktionsanlage für MMA in Texas in Betrieb. Mit dieser neuen Technologie sind wir nun Marktführer in den USA mit einer deutlich höheren Produktausbeute und deutlich geringeren CO2-Emissionen im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren. Die Investition in die World-Scale-Anlage stärkt Röhms Position im wachsenden US-Markt und kommt im aktuellen politischen Umfeld genau zur richtigen Zeit.
Welche Strategie verfolgen Sie bei Ihrem Joint Venture mit Lanxess?
R. Ayles: Envalior entstand 2023 durch die Fusion von DSM Engineering Materials und Lanxess High Performance Materials. Obwohl der Name neu ist, bringt das Unternehmen viele Jahrzehnte Erfahrung in der Entwicklung und Herstellung von Hochleistungswerkstoffen mit. Eine Fusion der beiden Unternehmensteile war schon länger im Gespräch. Gemeinsam mit Lanxess konnten wir die Transaktion partnerschaftlich im Rahmen eines Joint Ventures ermöglichen. Dabei entstand ein globaler Top-3-Player bei technischen Kunststoffen. Dass wir ein Unternehmen aus zwei parallelen Carve-outs geschaffen haben, ist sicher eine Besonderheit. Wir haben dabei eine einmalige Chance für eine notwendige Konsolidierung ergriffen. Nun geht es darum, die beiden Carve-Outs zu einem eigenständigen Unternehmen zu integrieren und entsprechende Effizienzen zu heben. Wir machen dabei große Fortschritte und sind mit den Fortschritten trotz der schwierigen Makrolage sehr zufrieden.
Sie sind nicht nur Investor, sondern auch Unternehmer und Eigentümer eines mittelständischen Chemieunternehmens. Wie kam es dazu?
R. Ayles: Ich habe 1988 eine Ausbildung in der chemischen Industrie absolviert und war nach dem Studium rund zehn Jahre für Degussa, der Vorgängergesellschaft der heutigen Evonik, in unterschiedlichen Bereichen tätig, bis ich mich vor rund 25 Jahren dazu entschied, auf die Investorenseite zu wechseln und direkt in die Chemieindustrie zu investieren. Dabei beschäftige ich mich nicht nur mit Konzernverkäufen, sondern auch mit vielen Nachfolgethemen im Mittelstand. Im Jahr 2017 suchte der Eigentümer von Brüggemann, ein 1868 gegründetes Familienunternehmen im Bereich Spezialchemie, nach einem privaten Nachfolger, der die entsprechenden Branchenkompetenzen mitbringt und bereit ist, sich langfristig privat als Familienunternehmer zu engagieren. Diese Aufgabe hat mich gereizt und ich bereue den Schritt bis heute nicht. Zum einen habe ich als Unternehmer mit der Verantwortung für einen Mittelständler nochmal eine zusätzliche Perspektive auf die Chemieindustrie erhalten, zum anderen hat sich das Unternehmen sehr gut entwickelt. Wir haben in Kapazitätserweiterungen und Akquisitionen investiert und Brüggemann ist auch heute eine Perle des deutschen Mittelstands. Die langfristige Ausrichtung eines Unternehmens und das komplette Sich-Einlassen auf ein Geschäft mit seinen spezifischen Chancen und Herausforderungen ist im Übrigen etwas, das Advent mit einem Familienunternehmer durchaus vereint.
Deutschland kann Chemie und wird das auch in Zukunft nicht verlernen.
Welche Perspektive haben Sie als Investor auf die mittelständische Chemie in Deutschland …?
R. Ayles: Nicht nur den börsennotierten Konzernen, auch im Mittestand fehlt es oft an Kapital, um Unternehmen zukunftsfähig zu gestalten. Mit den Instrumenten, Methoden und Strategien, die uns als Private-Equity-Eigentümer zur Verfügung stehen, können wir nachhaltige Unternehmen schaffen, die als Weltmarktführer agieren. Wir tragen auch dazu bei, die Wertschöpfungsketten der deutschen Chemie zu repositionieren. Eine große Chance für den Standort Deutschland.
… und welche als Unternehmer?
R. Ayles: Der Mittelstand ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Auch der Chemie tut es gut, dass neben den großen Konzernen viele kleinere und mittlere Unternehmen erfolgreich am Markt vertreten sind – oft über Generationen in Familienhand. Denn der Mittelstand stellt in der deutschen Chemieindustrie nach wie vor mehr Arbeitsplätze als die Großchemie. Unternehmen brauchen Planungssicherheit, das gilt für mittelständisch organisierte Familienunternehmen besonders. Jeder Grad an Regulierung mindert ihre Chancen im weltweiten Wettbewerb. Deutschland ist hier am Anschlag, da verrate ich kein Geheimnis. Die neue Bundesregierung sollte großes Augenmerk auf die Bedürfnisse der Industrie und insbesondere des Mittelstands legen – auch mit Blick auf das Thema Generationswechsel, das sich irgendwann bei jedem Familienunternehmen stellt.
Wie ist Ihre Vision einer wettbewerbsfähigen Chemieindustrie in Deutschland im Jahr 2050?
R. Ayles: Deutschland kann Chemie und wird das auch in Zukunft nicht verlernen. Entscheidend wird sein, weiter in Innovationen und Internationalisierung zu investieren. Dabei kommt uns zugute, dass viele Unternehmen in Deutschland bei Forschung und Entwicklung sehr gut aufgestellt sind und oft eng mit ihren Kunden zusammenarbeiten. Wir haben ausgezeichnete Chemielehrstühle, die Grundlagenforschung auf Weltklasseniveau betreiben und für exzellenten wissenschaftlichen Nachwuchs sorgen. Hinzu kommt die Sozialpartnerschaft in der Chemie, die mit viel Pragmatismus von beiden Seiten gelebt wird und aus meiner Sicht ein echter Wettbewerbsvorteil ist. Um all das beneiden uns viele und es wird die Basis für eine leistungsfähige Chemie in den kommenden Jahrzehnten sein. Die Herausforderungen der deutschen Chemieindustrie sind groß und es muss sich einiges ändern, aber das geschieht mit viel Kompetenz.

ZUR PERSON
Ronald Ayles ist Managing Partner bei Advent, einem globalen Private Equity Fund mit 86 Mrd. USD verwaltetem Kapital. Er ist verantwortlich für die globale Chemiesparte und Mitglied des European Investment Advisory Committee. Zuletzt leitete er die Investitionen in Envalior, Caldic, Röhm, Allnex und Oxea. Das aktuelle Chemieportfolio von Advent umfasst global rund 7 Mrd. EUR Umsatz und 12.000 Mitarbeiter. Bevor er zu Advent kam, arbeitete Ayles für 3i, wo er die Chemiesparte des Investors aufbaute. Davor arbeitete er zehn Jahre in der chemischen Industrie bei der Degussa (heute Evonik).