15.07.2025 • ThemenInterviewGunter LipowskyTransformation

Die Zukunft der Chemieindustrie

© Oulailux - stock.adobe.com

Die Chemieindustrie in Deutschland und Europa steht vor erheblichen Problemen. Die hohen Energiekosten und die Nachfrageschwäche setzen viele Unternehmen unter Druck und belasten ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Interview mit Gunter Lipowsky, Advancy, und Martin Bastian, Houlihan Lokey

In welchen Sektoren und mit welchen Strategien deutsche Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben können

Die geopolitischen Entwicklungen schüren zusätzlich die Verunsicherung. In dieser Gemengelage stellt die notwendige multiple Transformation der Branche mit den Themen Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung die Unternehmen sowohl vor riesige Herausforderungen, eröffnet aber auch Chancen im Hinblick auf künftige Innovations- und Technologieführerschaft. Gunter Lipowsky, Partner und Geschäftsführer bei Advancy in Frankfurt, und Martin Bastian, Managing Director/Head of Chemicals, Europe von Houlihan Lokey, analysieren die Situation und erläutern, wie die Branche gestärkt aus dem tiefgreifenden Strukturwandel hervorgehen kann.

CHEManager: Beginnen wir mit der wichtigsten Frage: Unter welchen Bedingungen und in welchen Bereichen ist Deutschland als Chemiestandort noch wettbewerbsfähig, und wo nicht?

Gunter Lipowsky: Deutschland ist aktuell in der Basischemie, also bei den großen, energieintensiven Anlagen wie den Crackern der Petrochemie oder der Ammoniakproduktion nur sehr eingeschränkt wettbewerbsfähig. Die hohen Rohstoff- und Energiepreise, der regulatorische Druck und die Kosten für CO2-Zertifikate und günstigere Alternativen weltweit setzen die Branche massiv unter Druck. Teilweise führt das zu Kostennachteilen von 20 bis 30 % oder mehr. Viele internationale Konzerne wie Dow, LyondellBasell oder SABIC ziehen sich schrittweise aus der Basischemie in Europa zurück.

Die deutsche Chemie kann global wettbewerbsfähig bleiben, aber nicht durch volumenorientierte Produktion, sondern durch die Fokussierung auf besondere Kompetenzen wie Technologieführerschaft, Kundenintegra­tion, Anwendungsexpertise und regulatorisch intelligente Standortstrategie. Mögliche Ansätze wären der gezielte Rückzug aus wenig profitablen Segmenten und der Fokus auf margenträchtige, technologiegetriebene Segmente in der Spezialchemie, auf Kreislauflösungen oder die Biochemie, wie es Evonik, Lanxess oder Clariant machen.

In der Spezialchemie, bei der es eher auf Know-how, Funktionalität der Produkte, Flexibilität der Lieferkette und Anpassung der Produkte an Kundenanforderungen ankommt, kann Deutschland noch sehr gut mithalten. Teilweise sind wir auch noch führend, müssen uns aber stetig strecken, um den Vorteil zu halten, da gerade China und Indien massiv aufgeholt haben.

Also sollten wir alles auf Spezialchemie setzen und die Basischemie anderen Regionen überlassen?

G. Lipowsky: Auch wenn die Basischemie kein lohnendes Segment mehr zu sein scheint, ist sie als Ausgangspunkt für höherwertige Spezialprodukte und -polymere notwendig. Wir brauchen sie in gewissem Umfang, um die regionale Spezialchemie sinnvoll zu unterstützen. Das richtige Maß muss gefunden werden. Mit gezielten Investitionen in Innovation, in die weniger kapitalintensive Spezialchemie, in Infrastruktur und transnationale Partnerschaften könnte Deutschland seine Führungsrolle in vielen Bereichen behaupten, aber nicht mehr als globaler Champion in der Basischemie. Diese erlebt weltweit eine tiefgreifende Transformation. Länder mit günstigeren Produktionskosten, wie der Mittlere Osten und die USA, gewinnen Marktanteile.

Martin Bastian: Aus Sicht der deutschen Industriepolitik wurde der Basischemiesektor bis vor Kurzem kaum als strategisch betrachtet. Die Transformation wurde weitgehend dem Markt überlassen. Die neue Regierung kann hier aber entscheidende Impulse setzen.

Wie können die Bundesregierung – und auch die EU – die Chemieindustrie unterstützen?

„Wir sollten es als Chance für den Standort Deutschland begreifen, in der Zukunft einen Wettbewerbsvorteil mit „grünen” Innovationen zu erlangen.“

Gunter Lipowsky, Partner/Geschäftsführer Frankfurt, Advancy

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