Biokorrosion in der Lebensmittelindustrie

Das war einer der wichtigsten Erkenntnisse aus dem Human-Genom-Projekt: Wir sind mehr als die Summe unserer Körperzellen – da sind auch noch ein paar Bakterien und Pilze, in unserem Darm, auf unserer Haut und unseren Schleimhäuten.Pro Erwachsenen rund 1,5 kg, also 1014 Zellen und damit rund zehnmal mehr sind als wir an eigenen Körper­zellen haben [13]. Doch entscheidend ist, dass sich unsere Mitbewohner perfekt an unsere Biochemie angedockt haben und mit uns symbiotisch verbunden sind.

Sie haben mit der Zeit humananaloge Botenstoffe und Rezeptoren entwickelt, um unseren Immunstatus (mit)lesen und beeinflussen zu können [5]. Mittlerweile gehen die Forscher davon aus, dass sogar unser Genom auch mikrobiologisch durchdrungen ist. Deshalb sprechen wir vom Mikrobiom, der Gesamtheit des Genpools in einem Lebensraum.
Das gilt nicht nur für Menschen, auch in abiotischen Lebensräumen wurden Mikrobiome festgestellt. Ihre Manifestation beschreibt man als Biofilm. Darunter versteht man eine ubiquitär vorkommende, hoch spezialisierte Lebensform. An Maschinen und Anlagen können Biofilme erhebliche Schäden anrichten [3]. Neben einer Beeinträchtigung der Lebensmittelqualität erzeugen Biofilme, wenn sie sich unbehelligt ausbreiten und vermehren, ein verändertes, ihnen angepasstes Milieu, welches aber für die Lebensmitteltechnik hochkorrosiv sein kann. Dann entstehen durch biologischen Lochfraß Schäden an Maschinen und Anlagen, fallen aufgrund von Leckagen und Verstopfungen Pumpen und Ventile aus, die Permeatausbeuten von Filter- und Osmoseeinheiten gehen zurück [9, 10].
Biofilme haben die Eigenschaft, sich lange Zeit unerkannt in Lebensmittelmaschinen auszubreiten. Daher lassen sich Auffälligkeiten und Kontaminationen im Produkt häufig erst dann nachweisen, wenn der Biofilm bereits etabliert ist und ggfs. schon Materialschäden auftreten.
Im Rahmen von GMP und Produkthygiene sind eine Reihe von Vorschriften zur Aufrechterhaltung der Keimfreiheit von Produkt und Anlagen vorgesehen [8]. Moderne Betrachtungen mikrobiologischer Prozesse werfen jedoch die Frage auf, ob diese Verfahren noch zeitgemäß und vor allem, ob sie überhaupt effektiv sind. Denn die aktuelle Forschung zeigt: die Lebensform Biofilm verschafft den Mikroorganismen erhebliche Vorteile [6]! Neben Schutz vor Abscherung und Resuspension schützt die Biofilmmatrix auch vor Schwankungen im pH-Wert und vor Desinfektionsmitteln. Daraus resultieren Probleme, die bisher vernachlässigt wurden: durch ein ungeeignetes Monitoring werden Biofilme erst gar nicht erfasst und durch eine falsch verstandene Sicherheit beim Einsatz von Desinfektions- und Reinigungsverfahren Biofilme im System womöglich noch begünstigt [3, 4, 10, 12].

Biofilme als Ursache von Produkt­kontaminationen und Schäden an ­Maschinen und Anlagen
Mikroorganismen sind äußerst erfolgreich, wenn es ums Überleben geht und bedienen sich hierbei einer Vielzahl von Mechanismen. Sie bilden Schleimhüllen gegen Austrocknung, UV-Schutz-Pigmente, bombardieren konkurrierende Mikroben mit Zellgiften oder aber opfern sich selbst beim Kontakt mit Desinfektionsmitteln [10]. Sie kommunizieren und gestalten auf diese Weise nicht nur ihre Erscheinungsform als einzelne, herumschwimmende Organismen sondern vergesellschaften sich. Diese Vergesellschaftung unterschiedlichster Mikroorganismen wird als Biofilm bezeichnet. Die Protagonisten eines solchen Biofilms können sogar völlig unterschiedliche Lebensansprüche haben. Durch das symbiotische Zusammenwirken vieler unterschiedlicher Spezialisten erhöht sich im Biofilm die Überlebensfähigkeit der Mikroben erheblich – eine kleine Welt für sich.
Gerade über das Mikrobiom im Biofilm profitieren sie von frei vagabundierender DNS, die gemeinsam genutzt werden kann. Das wird auch als horizontaler Gentransfer bezeichnet. Damit können Gene an- oder ausgeschaltet werden, über Stoffwechselaktivität und Reproduktionszustand entschieden werden. Aber auch nützliche Features anderer Gattungen können derart ausgetauscht und übernommen werden [5]. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das Ausbilden von mikrobiellen Footprints, d. h. Abdrücke abgestorbener Zellen aus Schleim [7, 11]. Darin hinterlassen sie über Prote­ine und Botenstoffe Informationen, die von den nächsten Besiedlern ausgelesen werden können. Hinterlässt z. B. der Primärbesiedler Proteine, die eine bestimmte Schutzfunktion codieren, kann der Sekundärbesiedler diese aktivieren, ohne sich wie der Primärbesiedler dieser Information auf „schmerzliche“ Weise anpassen zu müssen. Somit kann es Adaptionen an z. B. Biozide oder thermische Behandlungen geben, ohne dass eine Konditionierung, also ein Kontakt mit dem Agens stattgefunden hat.
Die Entstehung eines Biofilms wird in der Regel als Antwort auf einen Mangel oder Umwelteinfluss durch die Mikroben eingeleitet, indem sie sich per Mehrheitsbeschluss über Boten- und Signalstoffe über ihr Erscheinungsbild abstimmen. Damit werden aus einzelnen suspendierten Zellen plötzlich Zellverbände, welche mittels extrazellulären polymeren Substanzen (EPS) an Oberflächen anheften und Mikrostrukturen ausbilden. So entstehen aerobe und anaerobe Bereiche, Kanäle, Belüftungselemente und mehr. Gerade die aus Polysacchariden, Proteinen und Lipiden bestehende Biofilmmatrix ist Erfolgsgarant im Überlebenskampf. In der Gelmatrix reichern sich Nährstoffe an, die Mikroorganismen sind vor extremen pH-Werten, Bioziden und hydraulischen Belastungen geschützt. Damit sind Mikroorganismen fest im Biofilm arretiert, eine kontinuierliche Abgabe an das umgebende Medium ist nicht zu erwarten. Damit ist ein Biofilm-Monitoring durch regelmäßige Anzüchtung aus dem Produkt nahezu unmöglich. Stattdessen wird es immer mal wieder Auffälligkeiten geben. Plötzlich treten erhöhte Keimbelastungen auf und verschwinden auch gleich wieder. Gesetzmäßigkeiten lassen sich nicht erkennen. Manchmal treten solche Auffälligkeiten gerade nach der CIP oder Desinfektion auf und sind ein Zeichen dafür, dass durch die Behandlung die Biofilmmatrix destabilisiert wurde und nun Scherkräfte Teile des Biofilms im System verteilen [12].

Biofilme – Biofouling – Biokorrosion
Bis aus natürlich vorkommenden Biofilmen ein gefährliches Potential erwächst, durchläuft der Biofilm zunächst ein Zwischenstadium, das sogenannte Biofouling [9, 10]. Darunter versteht man die unerwünschte und übermäßige Vermehrung der Mikroorganismen. Zunächst noch ohne korrosive Wirkung aber dennoch mit Konsequenzen für Maschinen und Anlagen: das Stadium des Biofoulings ist gekennzeichnet durch starke und nun auch visuell erkennbare Belagsbildung, Geruchsentwicklung, Verstopfungen. Im Betriebsablauf treten erste Störungen an Pumpen, Membranen und Kühlern auf. Nun ist Handlungsbedarf gegeben. Wenn möglich und zugänglich sollte endoskopiert und mit sterilen Tupfern Oberflächenabstriche gemacht werden. Diese sollten mikroskopiert werden. Eine KBE-Bestimmung durch Ausstreichen auf Nährböden kann gleichzeitig, sollte aber nie als alleinige Maßnahme in Betracht gezogen werden. Oftmals leben im Biofilm viele Keime, welche

  • a) produktuntypisch und daher nicht beprüft werden und
  • b) als Wildstämme womöglich gar nicht kultivierbar oder in einem inaktiven Zustand sind.

Bei der Suche nach Biofilmen sollte man nicht nur den produktführenden Teil der Anlage, sondern auch das Disposable, Prozess- und Brauchwassersystem betrachten oder im Kühlwasserbereich nachschauen. Werden diese Anzeichen nicht beachtet oder falsch gedeutet, so kann nun ungehindert Biokorrosion auftreten.
Dabei folgt die mikrobiell induzierte Korrosion an Metallen im Wesentlichen elektro-chemischen Prozessen. So beeinflussen die Mikro­organismen das Redoxpotential, den pH-Wert und die Sauerstoffkonzentration auf der Metall­oberfläche. Sie depolarisieren den Werkstoff, bilden lokale Kathoden oder Belüftungszellen. Im Biofilm werden zudem Elektrolyte aufkonzentriert, die korrosiv auf das Metall wirken. So entsteht biogener Lochfraß, welcher auf den ersten Blick wie gewöhnlicher Rost aussieht [3, 6, 11].
Fast immer vernachlässigt wird die Tatsache, dass auch abgetötete Biofilme nach einer Desinfektion immer noch ihr korrosives Potential entfalten können. Insbesondere austenitische Stähle reagieren besonders empfindlich auf Korrosion unter Belägen. Ein toter Biofilm ist nicht anderes und stellt zudem eine neue Besiedlungsgrundlage inklusive Microbial Footprints dar.
Auch polymere Werkstoffe wie z.  B. Dichtungen werden Mikroorganismen angegriffen. Im Vergleich zu Stählen liefern diese Materialien dummerweise gleich auch noch die passenden Nährstoffe: so werden durch Exoenzyme Weichmacher, Additive oder niedermolekulare Copolymere aus dem Werkstoff herausgelöst.

Vermeidung von Biokorrosion
Der beste Ansatz, Biokorrosion zu vermeiden, ist die Entstehung von Biofilmen einzuschränken. Dabei steht an erster Stelle die Vermeidung von sogenannten Conditionial Films. Das sind erste Ablagerungen von Makromolekülen und Schmutz, wie sie durch Rückstände von Produkt an Leitungen usw. entstehen können. Im Hygienic Design ist dies bereits durch Vorgabe entsprechender Oberflächenmodifikationen und Rauhigkeiten berücksichtigt. Hinzu kommen zu validierende Reinigungsverfahren, denn Biomasse und Produktreste müssen entfernt werden [14, 15]. Eine Desinfektion allein reicht nicht aus, kann zwar die Vitalität des Biofilms einschränken, ist aber nicht geeignet, Biokorrosion zu vermeiden.
Dennoch werden sich Biofilme nicht vollständig unterdrücken lassen. Zum einen bringen gerade viele Lebensmittel produktbedingt eine Reihe von Mikroorganismen mit, zum anderen sind Produktionsbetriebe und Mitarbeiter im besten Falle keimarm aber nicht keimfrei. Daher muss regelmäßig kontrolliert werden, ob und wie weit eine Biofilmbildung im System stattfindet.
Noch einmal: die Anwesenheit von Biofilmen im System lässt sich nur selten durch eine erhöhte Keimzahl im Produkt nachweisen. Man läuft also Gefahr, beim „normalen“ Hygienemonitoring, Biofilme zu übersehen. Andere Möglichkeiten zur Biofilmdetektion sind endoskopische Verfahren, z. B. auch mit UV-Anregung [kleinste Biofilme werden im Streulicht sichtbar], das Einhängen von Testcoupons [hier lässt sich auch verfolgen, ob Biokorrosion auftritt] oder sogar spezielle Biofilmsensoren, welche in Rohrwandungen eingebaut werden können und vor Ort die Biofilmbildung überwachen. Aber auch ohne spezielle Technik können Biofilme durch aufmerksames Beobachten der Betriebsparameter aufgespürt werden. Geringere Pumpleistungen, erhöhte DOC-Werte, Leckagen im Disposable, geringere Wärmeübergänge – da können Bio­filme dahinter stecken.

Fazit
Biofilme sind naturgegeben, können aber durch geeignete Materialauswahl, Hygienic Design und ein geeignetes Monitoringverfahren kleingehalten werden. Damit lassen sich sowohl Biofouling als auch Biokorrosion deutlich verringern und sogar vermeiden. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass der Biofilm eine Lebensform darstellt, welche sich immer neu den Umgebungsbedingungen anpassen wird. Wer dies berücksichtigt und dabei immer ein Auge auf die Betriebsparameter hat, wird auf diese Weise die eine oder andere böse Überraschung vermeiden können.

 

Literatur
[1] H. G. Schlegel (1992), Allgemeine Mikrobiologie, Thieme Verlag
[2] W. Fritsche (1998), Umwelt-Mikrobiologie, Gustav Fischer Verlag
[3] W. Sand: Microbial Corrosion and its Inhibition, in Biotechnology - Second, Completely Revised Edition, Wiley-VCH 2001
[4] C. Messal: Biokorrosion – Schadensbilder, Ursachen und Prophylaxe, Korrosionsschutz in der maritimen Technik 2 Tagungsband, Germanischer Lloyd, Hamburg, 2003, 98 - 110

[5] A. Hartmann: Horizontaler Gentransfer – ein natürlicher Prozess, mensch+umwelt spezial
17. Ausgabe 2004/2005, 59 – 64
[6] C. Messal: Der Biokorrosion auf der Spur – Moderne Diagnostik, 4. Tagung Korrosionsschutz in der maritimen Technik, Tagungsband, Germanischer Lloyd, Hamburg, 2005, 125 - 135
[7] S. Mangold, K. Harneit, T. Rohwerder, G. Claus, W. Sand: Novel Combination of Atomic Force Microscopy and Epifluorescence Microscopy for Visualization of Leaching Bacteria on Pyrite, APPLIED AND ENVIRONMENTALMICROBIOLOGY, Vol. 74 No 2, 2008, 410–415
[8] VDMA Fachverbandsschrift Nahrungsmittelmaschinen und Verpackungsmaschinen, Nr. 16/2010
[9] C. Messal: Angriff aus dem Mikrokosmos, Biofilme – eine unsichtbare Gefahr in der Food- und Pharmaindustrie, Pharma & Food 3/2010; 68 - 70
[10] C. Messal: Biofilme und Biokorrosion in Lebensmittelanlagen, Molkerei-Industrie 05/2010; 11 – 12
[11] R. Stadler,L. Wei, W. Fürbeth, M. Grooters, A.Kuklinski: Influence of bacterial exopolymers on cell adhesion of Desulfovibrio vulgaris on high alloyed steel: Corrosion inhibition by extracellular polymeric substances (EPS), Materials and Corrosion 2010,Vol 61, No.12, 1008 - 1016
[12] C. Messal: Wie steril ist steril?, Flüssiges Obst 1/2011
[13] F. Goeser: Mikrobiomforschung: Wie körpereigene Keime als „Superorgan“ agieren, Deutsches Ärzteblatt 2012; 109(25): A-1317 / B-1140 / C-1120

[14] EHEDG-Guidelines Document 45: General Principles of Cleaning Validation in the Food Industry (2014)
[15] R. Schmitt: Prinzipien der Reinigungsvalidierung und ihre Umsetzung in einem Lebensmittelbetrieb; Vortrag Schüttgut Basel, 2015

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