01.07.2011 • NewsAllessaAllessaChemieBASF

Zehn Jahre AllessaChemie: Dr. Karl-Gerhard Seifert im Interview

Im Jahr 1870 gründete die Frankfurter Farbengroßhandlung Leopold Cassella & Comp. in Fechenheim eine Chemiefabrik, die sich schon bald zum größten Textilfarbstoffunternehmen der Welt entwickelte. Die spätere Cassella AG hatte ihre Konzernzentrale in Frankfurt-Fechenheim.

Heute befindet sich hier der Hauptsitz der 2001 gegründeten AllessaChemie.

Dr. Andrea Gruß befragte den Unternehmer und Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. Karl-Gerhard Seifert anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Frankfurter Unternehmens für Spezialchemie und Exklusivsynthese.

CHEManager: Herr Dr. Seifert, im Jahr 2001 gründeten Sie gemeinsam mit vier weiteren ehemaligen Hoechst-Managern die AllessaChemie. Wie sah das Unternehmen zur Zeit der Gründung aus?

Dr. K.-G. Seifert: Wir waren eine verlängerte Werkbank des ehemaligen Eigentümers, der Clariant. Etwa 70 % des Umsatzes entfielen auf Produkte, größtenteils ‚alte‘ Produkte des Hoechst-Konzerns, die wir an den drei Standorten Fechenheim, Griesheim und Offenbach exklusiv für den Schweizer Konzern hergestellt haben. Zu unserem Portfolio zählten Exklusivsynthesen für Katalogprodukte von Clariant sowie die Reflex-Blau-Marken des Schweizer Konzerns, Additive für schwarze Druckfarben, die bis 2010 am Standort Offenbach produziert wurden.

Was wurde aus dieser Allessa?

Dr. K.-G. Seifert: Die ersten fünf Jahre haben wir restrukturiert und dabei einige Anlagen und Betriebe in Griesheim und Offenbach geschlossen, die nicht mehr wettbewerbsfähig waren. Erst danach begann der Aufbau neuer Geschäftsfelder.

Im Jahr 2004 kam die AllessaSyntec als Schwesterunternehmen hinzu, eine ehemalige Aktivität von Hoechst, die 1997 aus dem Konzern herausgelöst wurde und danach unter dem Namen Siemens Axiva als Dienstleister am freien Markt agierte. AllessaSyntec überträgt Synthesen in den technischen Maßstab und stellt Muster-, Erst- und Produktionsmengen her. Dabei verfügt sie über ein außergewöhnlich breit angelegtes Technologie- und Synthese-Know-how und ergänzt damit das Leistungsangebot der heutigen AllessaChemie ideal.

Heute umfasst unser Produktportfolio ein breites Spektrum verschiedener Zwischenprodukte zur Weiterverarbeitung in der Spezialchemie. Daneben entwickeln wir maßgeschneiderte Spezialchemikalien für verschiedenste Anwendungen und haben uns zu einem der größten Lohnfertiger für nicht-GMP Chemikalien in Europa entwickelt.

Inwieweit konnten Sie die Abhängigkeit der AllessaChemie vom ehemaligen Eigentümer Clariant reduzieren?

Dr. K.-G. Seifert: Wir sind heute ein unabhängiges, mittelständisches Unternehmen ohne Bankschulden, mit einem Pro-forma-Umsatz von über 200 Mio. € pro Jahr und 800 Mitarbeitern an den Standorten Frankfurt-Fechenheim und Griesheim. Pro-forma-Umsatz deshalb, weil wir von vielen Kunden die Rohstoffe beigestellt bekommen und nicht selbst kaufen müssen.

Unsere Kunden stammen aus den Bereichen Industrie, Pharma, Kosmetik und Agro und sind zu 80 % in Europa angesiedelt. Inzwischen entfallen nur noch 30 % unseres Umsatzes auf das Geschäft mit der Clariant. Der ursprüngliche Kaufvertrag hatte eine Laufzeit von zehn Jahren und endete am 30. Juni 2011. Damit beginnt eine neue Zeitrechnung für die AllessaChemie.

Wie ist Ihnen der Schritt in die Unabhängigkeit gelungen?

Dr. K.-G. Seifert: Wir konnten in den vergangenen Jahren unser Pharma- und Agrogeschäft im Bereich der Exklusivsynthese deutlich ausbauen und so einige Einbrüche, die die Wirtschaftskrise mit sich brachte, kompensieren. Parallel dazu haben wir seit 2007 neue Linienprodukte eingeführt. Unter dem Markennamen Allessan vertreiben wir Performance-Chemikalien, die in unterschiedlichen Branchen eingesetzt werden. Hierzu zählt Allessan CAP, ein Produkt zur chiralen Verknüpfung von Bausteinen für die Herstellung von Pharmawirkstoffen.

Auch Phenothiazin - ein Hoechst-Produkt - zählt zu unseren Performance-Chemikalien. Es wirkt als Stabilisator für ungesättigte Monomere, beispielsweise Acrylsäure, und wird bei der Produktion von Superabsorber eingesetzt. Außer der AllessaChemie gibt es nur noch zwei weitere Hersteller, in den USA und Japan, die Phenothiazin in einer speziellen Granulatform anbieten. Diese lässt sich u.a. sehr staubarm verarbeiten und wird daher von großen Superabsorber-Herstellern bevorzugt eingesetzt.

Der weltweite Markt für Superabsorber, und damit auch für unser Phenothiazin, wächst rasend schnell. Als wir 2001 starteten, produzierten wir 2000 t/a an Phenothiazin. Mit geringsten Investitionen, quasi on-board-Mitteln, ist es unseren Mitarbeitern gelungen, die Produktionskapazität auf 4.000 t/a auszubauen - damit sind wir Weltmarktführer. Wir erzielen heute über 10 % unseres Umsatzes mit diesem Produkt und planen weitere Investitionen, um die Produktionskapazität nochmals zu verdoppeln.

Übrigens, wussten Sie, dass Superabsorber bei Cassella erfunden wurden? Ich war damals im Aufsichtsrat der Cassella als die erste Produktionsanlage gebaut wurde. Leider ist es damals nicht gelungen, das Herstellverfahren für große Produktionsmengen zu optimieren. Dieses Know-how kam später aus Japan in den Hoechst-Konzern und 1990 entstand hier in Fechenheim eine Superabsorber-Produktion, die wir die ersten Jahre für die BASF betrieben haben.

Welche weiteren Produkte trugen zum Wachstum der Allessa bei?

Dr. K.-G. Seifert: Derzeit spüren wir eine starke Nachfrage nach Aminen. Amine sind Vorstufen für Pigmente, Farbestoffe und viele Agrochemikalien. Die Nachfrage ist nach der Krise so stark gestiegen, dass wir Probleme bei der Beschaffung der Rohstoffe bekommen hatten. Wir haben daher Abkommen u. a. mit chinesischen und indischen Lieferanten geschlossen, die uns mit Nitroverbindungen versorgen, die wir an unserem Standort in Griesheim hydrieren. Der Wasserstoff dafür gelangt über eine spezielle Pipeline vom Industriepark Höchst nach Griesheim. Wir sind der größte Wasserstoffverbraucher im Rhein-Main-Gebiet.

Wo sehen Sie künftige Wachstumstreiber?

Dr. K.-G. Seifert: Große Hoffnung setzen wir auf unser Geschäft mit wasserlöslichen Polymeren. Mit der Performance-Chemikalie Allessan UTF-S haben wir einen Hilfsstoff für die tertiäre Erdölförderung entwickelt. Das neue vollsynthetische Polymer erhöht die Fließfähigkeit von Erdöl. Mit ihm gelingt das sogenannte Fracturing in größeren Tiefen oder bei höheren Temperaturen. Auf diese Weise lässt sich die Ausbeute von Ölfeldern um bis zu 11 % erhöhen.

Herr Dr. Seifert, welche Aufgaben übernehmen Sie in Zukunft bei der AllessaChemie?

Dr. K.-G. Seifert: Nächsten Monat werde ich 65 Jahre alt. Meine Promotion in der Chemie liegt 40 Jahre zurück. Damit bin ich der Oldie im Team. Als „active Chairman" und Inhaber bringe ich auch weiterhin meine Jahrzehnte lange Erfahrung in der chemischen Industrie in die Firma ein. Das Unternehmen wird von einer sehr kompetenten Geschäftsleitung unter Vorsitz von Almuth Poetz geleitet.

Wenn Sie zehn Jahre zur Gründung der AllessaChemie zurückdenken, konnten Sie Ihre Ziele von damals verwirklichen?

Dr. K.-G. Seifert: Mit dem Aufbau der AllessaChemie haben wir bewiesen, dass man in Frankfurt eine stadtgängige und zugleich technologisch hochwertige Chemie betreiben kann. Beste Voraussetzung dafür sind gut ausgebildete und hochmotivierte Mitarbeiter, die unternehmerisch denken. Diese Kultur haben wir von Anfang an bei der AllessaChemie gefördert. Nur so ist es uns gelungen, die schwierigen Restrukturierungen in den ersten Jahren nach der Gründung und die zurückliegende Wirtschaftskrise zu bewältigen und eine wettbewerbsfähige AllessaChemie aufzubauen.

Heute können wir mit Stolz sagen, wir sind Frankfurts größtes deutsches Chemieunternehmen und führen die Tradition der Cassella fort. 

Anbieter

AllessaChemie

Alt Fechenheim 34
60386 Frankfurt
Deutschland

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