30.07.2010 • NewsBASFChapter 11Dow

Die Chancen einer Krise

In den 16 Monaten, in denen sich LyondellBasell im Gläubigerschutzverfahren nach Chapter 11 befand, hieß es für den weltweit drittgrößten Petrochemiekonzern, den Gürtel enger zu schnallen und sich strategisch neu auszurichten. Nachdem das Unternehmen im April das Gläubigerschutzverfahren erfolgreich verlassen hat, ist die Nettoschuldenlast von einst 24 Mrd. US-$ auf rund 5 Mrd. US-$ gesenkt und eine neue Konzerngesellschaft gegründet worden. Darüber hinaus ist für das 3. Quartal der Gang an die New Yorker Börse geplant. Brandi Schuster und Michael Reubold sprachen mit Anton de Vries, LyondellBasell's Senior Vice President Olefine und Polyolefine in Europa, Asien und International, über die Entschlossenheit des Konzerns, Vertrauen und Glaubwürdigkeit wiederherzustellen.

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HEManager Europe: Herr de Vries, was ist der Unterschied zwischen Lyondellbasell vor und nach Chapter 11?

A. de Vries: Der wichtigste Unterschied liegt natürlich in unserer Bilanz. Vor Chapter 11 waren wir ein hoch verschuldetes Unternehmen mit einer Nettoschuldenlast von mehr als 20 Mrd. $. Unsere jetzige Nettoverschuldung liegt bei nur noch etwa 5 Mrd. $ und das Verhältnis von Eigenkapital und Fremdkapital liegt bei etwa 2:1. Das ist ein wirklich gravierender Unterschied, der unser Unternehmen in eine ganz andere Position rückt. Der zweite Unterschied ist der, dass wir uns über 16 Monate hinweg in einer echten Krisensituation befunden haben. Das heißt, dass der Druck, notwendige Strukturveränderungen voran zu treiben, viel größer war als wenn wir diese Krise nicht erlebt hätten. Diese Situation haben wir genutzt indem wir unsere eigenen Kosten erheblich reduziert und unsere Produktionsstruktur entsprechend konsolidiert haben. Wir haben uns dabei ein Leitmotiv wirklich zu Herzen genommen: "Nutze stets die Chancen, die in einer Krise liegen."

Wo wird nun der Schwerpunkt Ihrer Unternehmensstrategie liegen?

A. de Vries:
Unser Schwerpunkt ist nun darauf gerichtet, verloren gegangene Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurück zu gewinnen - und das vor allem auch in der Finanzwelt. Wir arbeiten daran, unsere Kunden weiterhin gut zu bedienen, unsere Anlagen entsprechend zu betreiben und zu beweisen, dass wir hochdiszipliniert sind im Umgang mit unseren Finanzen. Ich sehe uns in nächster Zeit nicht in der Position, größere Schritte zu machen - das würde nicht zu der Situation passen, in der Lyondellbasell die vergangenen Jahre war.

Inwieweit, glauben Sie, hat die Glaubwürdigkeit Ihres Unternehmens bei Ihren Kunden gelitten?

A. de Vries: Wenn ein Unternehmen in eine Chapter 11-Situation hinein gerät, ist es wohl unvermeidlich, dass die Glaubwürdigkeit leidet - bei Zulieferern, bei Kunden, in der Finanzwelt und ehrlich gesagt auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Was aber unsere Kunden anbetrifft, so gab es während des Chapter 11-Verfahrens niemals eine Situation, in der wir diese nicht beliefert haben. Ebenso haben wir uns stets an alle vertraglichen Verpflichtungen gehalten, wie unser Volumen-Rabatt-System im Polymergeschäft. Unsere Kunden waren zwar im Verlauf der ersten Monate im Chapter 11-Verfahren verunsichert, als wir aber bewiesen hatten, dass es keine Auswirkungen auf unsere Lieferfähigkeit gibt, haben wir dieses Vertrauen auch sehr schnell wieder zurück gewinnen können. Das heißt natürlich nicht, dass wir überhaupt keine Konsequenzen gespürt haben. So gab es Kunden, bei denen wir alleiniger Lieferant waren, denen es wichtig war, sich mit einem zweiten Lieferanten abzusichern.

Sie befanden sich in Chapter 11 als die Finanz- und Wirtschaftskrise insbesondere auch die Chemie- und Kunststoffbranche hart traf. Nun erholen sich die Märkte wieder. Können Sie diese Gunst der Stunde nutzen?

A. de Vries:
Wir sehen auch die kommenden Jahre als schwierig an, insbesondere für unser Polymerportfolio aus Polyethylen und Polypropylen. Die Angebots- und Nachfragesituation ist nicht mehr die, die wir in 2006 kannten - vor vier Jahren war der Markt eher angebotsgetrieben, heute nicht mehr. Diese Veränderung setzt die Margen erheblich unter Druck, was eben heißt, dass sowohl wir als auch unsere Wettbewerber weiteren herausfordernden Jahren entgegen sehen.

Wie ist Ihr Unternehmen auf diese kommenden herausfordernden Jahre vorbereitet?

A. de Vries:
Es gilt zu berücksichtigen, wie schnell die neuen Kapazitäten in Betrieb genommen werden und wie schnell diese auch weltweit von den Märkten aufgenommen werden können. Unsere Position ist immer noch sehr stark. In etablierten Märkten wie Europa haben wir nicht nur eine gute Präsenz am Markt, sondern sind auch mit unseren Produktionsstätten gut vertreten. Ebenso haben wir in unserem Portfolio den Anteil an Spezialitäten in Anwendungen mit hoher Lebensdauer erhöht. Das wird uns helfen, das Unternehmen auch in dieser schwierigen Phase abzusichern.

Gibt es Absichten, das Portfolio zu erweitern oder wird Lyondellbasell sich auch weiterhin auf den Polyolefinmarkt fokussieren?

A. de Vries:
Wenn wir über Polymere sprechen, dann werden wir auch weiterhin auf Polyethylen, Polypropylen und dazugehörende Technologien setzen. Wie ich schon sagte, müssen wir zuerst unsere Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen. Nur dann können wir auch weitere Entwicklungen in Betracht ziehen. Wenn Sie aber Lyondellbasell in der jetzigen Form betrachten, ist die Firma bei weitem mehr als nur ein Kunststoffhersteller. Mit Kunststoffen erwirtschaften wir etwa ein Drittel unseres Umsatzes, doch verfügen wir auch über ein großes Portfolio an Chemikalien und Zwischenprodukten und natürlich über ein großes Geschäft mit Kraftstoffen und Raffinerieprodukten. Unser Unternehmen umfasst heute also weit mehr als zu Zeiten der Basell, die sich fast ausschließlich auf das Polyolefingeschäft konzentrierte.

Wie sieht Ihr Unternehmen den Wettbewerb aus dem asiatischen Markt? Die indische Reliance Industries hatte im Lauf der letzten Monate mehrfach versucht, Angebote für Lyondellbasell abzugeben.

A. de Vries: Ehrlich gesagt, waren wir nicht überrascht, dass unter den Übernahmeangeboten auch eines von einem asiatischen Wettbewerber war. Der Wettbewerb aus Asien wird immer stärker. Zumeist sind dies Unternehmen, die nur lokal oder auf nationaler Ebene, wenn auch in sehr großen Ländern, agieren. Deshalb haben viele den Ehrgeiz, ein Global Player zu werden. SABIC ist dafür ein gutes Beispiel. Das ist im Übrigen gar nicht negativ zu sehen, sondern kann auch durchaus ein gesunder Prozess sein.

Wie wollen Sie von den Wachstumschancen im asiatischen Markt profitieren? Lyondellbasells Stärken liegen zurzeit noch im amerikanischen und europäischen Markt, beide verlieren im Vergleich zu Asien an Bedeutung.

A. de Vries:
Für ein Unternehmen unserer Größe sind wir in Asien noch unterrepräsentiert, so wie fast alle europäischen oder amerikanisch-europäischen Unternehmen. Nichtsdestotrotz haben wir unser Geschäft in Asien entwickelt - zumeist über unsere Joint Ventures in Japan, Südkorea und Thailand. Die großen Investitionen in Asien aber werden von den asiatischen Unternehmen selbst vorangetrieben, wie von Reliance in Indien oder PTT in Thailand. Ebenso auch von den großen Öl- und Chemiefirmen wie Shell, BASF oder Dow.

Gibt es denn Pläne, die Präsenz des Unternehmens in Asien zu erweitern?

A. de Vries:
Zurzeit haben wir wie eingangs erwähnt keine Pläne, größere Investition in Europa, Amerika oder auf anderen Kontinenten vorzunehmen. Dafür ist es einfach zu früh. Sobald wir unsere Glaubwürdigkeit über einen längeren Zeitraum unter Beweis gestellt haben, könnte das ein Thema sein.

Heißt das im Umkehrschluss, dass Europa für Lyondellbasell weiterhin von zentraler Bedeutung sein wird?

A. de Vries:
Wenn Sie unsere Standorte und die europäischen Märkte betrachten, ist Europa selbstverständlich wichtig für unser Unternehmen. Mit den Produktionsstätten in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Großbritannien und unserem JV mit der polnischen PKN, haben wir die Märkte hier in jeder Hinsicht entsprechend bedient. Und natürlich beliefern wir auch den europäischen Markt teilweise aus den JVs, die wir im Verlauf der letzten 10 Jahre im Nahen Osten aufgebaut haben.

Sprechen wir über den Nahen Osten. Lyondellbasell hat drei JVs in Saudi Arabien - Saudi Polyolefins Company (SPC), Saudi Ethylene and Polyethylene Company (SEPC) und Al-Waha. Welche Märkte wollen Sie mit den Produkten aus den dortigen Anlagen bedienen?

A. de Vries: Ein Großteil der Produkte aus dem Nahen Osten geht nach Indien und China. China wird eher ein großer Importeur von Polyolefinen bleiben. Eine kleinere Menge der Produkte geht in den europäischen Markt, das wird sich auch in den nächsten Jahren nicht wesentlich ändern. Wenn der Großteil der Produktion aus dem Nahen Osten nach Asien gehen wird, so sind wir auch in gewisser Weise von der Geschwindigkeit des Wachstums in diesem Teil der Welt abhängig. Sollten diese Wachstumsszenarien nicht den Erwartungen entsprechen, werden die Volumen in andere Weltregionen gehen müssen. Eines aber bleibt sicher: Die Anlagen im Nahen Osten sind mit die kosteneffizientesten der Welt. Das heißt, dass Produkte aus diesen Anlagen in nahezu alle Weltregionen geliefert werden können.

LyondellBasell wurde stets als der Marktführer bei Polyolefintechnologien betrachtet. Wie wollen Sie diese Position behaupten?

A. de Vries:
Wir waren und sind nach wie vor der führende Technologieanbieter bei Polyolefinen und Polypropylen - und wir haben nicht die Absicht, unsere Strategie in der Hinsicht zu ändern. Vielmehr haben wir vor, eine beträchtliche Summe in die Polyolefinforschung zu investieren, mehr als fast alle unserer Wettbewerber. Solche Investitionen sind notwendig, um innovativ zu bleiben und stets neue Produkte, neue Katalysatoren und neue Prozesse in den Markt zu bringen - genau so, wie wir es vor einigen Jahren mit unserer Spherizone Polypropylentechnologie getan haben. Es ist durchaus noch möglich, in dieser Industrie innovativ zu sein, und wir investieren die notwendigen Forschungsgelder, um unsere Position weiterhin aufrecht zu erhalten oder noch auszubauen. 

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