Wasser-, Pulver- & High-Solids-Systeme - Flexibile Lösemittel
27.01.2011 -
Wasser-, Pulver- & High-Solids-Systeme - Flexibile Lösemittel: Die Farben- und Lackindustrie ist der größte Markt für Lösemittel - aber zugleich der dynamischste. Strikte gesetzgeberische Auflagen und ein intensiver Wettbewerb zwingen die Anbieter zu einem Höchstmaß an technischer Innovation. Mehr als 50% der globalen Lösemittelproduktion werden heute von der Farben- und Lackindustrie verbraucht. Für diese Industriezweige ist die Auswahl der richtigen Lösemittel zu einem entscheidenden Kriterium geworden. Verbesserte Produkteigenschaften bei gleichzeitig niedrigen Kosten sollen ebenso erreicht werden wie die Einhaltung ständig schärferer gesetzgeberischer Auflagen.
In der Folge wurden in den vergangenen Jahren neue Beschichtungstechnologien auf der Basis von Wasser-, Pulver- und High-Solids- Systemen entwickelt - und sie alle haben die Hersteller von Lösemitteln vor neue Herausforderungen gestellt.
Shell Chemicals, der Chemiebereich von Shell, produziert heute eines der weltweit größten Portfolios an chemischen Lösemitteln, Kohlenwasserstoff-Lösemitteln, Glykolen und Glykolethern. Ein solches Portfolio und die damit verbundene Bandbreite an Produkteigenschaften bietet die Grundlage, um Kunden bei der Neuentwicklung oder Umformulierung von Rezepturen schnell helfen zu können. Die Forscher und Anwendungstechniker sind somit flexibel, um beispielsweise ein bestimmtes Lösemittel durch ein anderes ersetzen zu können und damit die geforderten Eigenschaften zu erreichen.
Die Mitarbeiter des Forschungs- und Entwicklungsbereichs, Shell Global Solutions, setzen hierfür mit „BlendPro 5.0" eine eigene Software ein: Sie hilft den Produktentwicklern dabei, Lösemittelformulierungen exakt nach Kundenwunsch zu entwickeln oder etwa auch, neue Umweltstandards für Farben und Lacke zu erfüllen - z.B. bei der Reduzierung der Emissionen von VOC (flüchtige organische Verbindungen) oder anderer Luftschadstoffe.
Verschärfte Umweltauflagen
Gerade die verschärfte Umweltgesetzgebung war es auch, die in der jüngsten Zeit die Verwendung von Lösemitteln bzw. die Art der verwendeten Lösemittel stark beeinflusst hat. In Europa haben die VOC- und die sog. Decopaint-Richtlinie strenge Höchstwerte für die Emission flüchtiger organischer Verbindungen bzw. für den Gehalt an flüchtigen organischen Verbindungen in Bautenanstrichstoffen festgesetzt. Die Hersteller haben zum Teil Alternativen zu den herkömmlichen VOC-haltigen Produkten entwickelt, zum Teil helfen auch Abscheidetechniken dabei, die Emissionen bei der Verwendung konventioneller lösemittelhaltiger Anstriche zu verringern.
So erwarten Fachleute, dass Wasserlacke, die als Antwort auf die Direktiven zur VOC- Emissionssenkung entwickelt wurden, in einigen Märkten nunmehr bedeutende Steigerungsraten erzielen werden. In Europa und Nordamerika werden sie bereits heute im „do-it-yourself"-Bereich der Bautenanstrichstoffe beinahe ausschließlich verwendet.
Doch auch ein Wasserlack ist nicht lösemittelfrei: Er enthält bis zu 15% zumeist wasserlösliche Lösemittel, darunter Glykolether. Sie tragen vor allem zur längeren Haltbarkeit der Produkte bei und sind entscheidend für das äußere Erscheinungsbild, etwa den Glanz der Farbe.
Die steigende Verwendung von Wasserlacken war übrigens einer der wesentlichen Gründe für Shell, eine neue Glykolether-Anlage in Pernis bei Rotterdam in den Niederlanden zu errichten; weltweit zählt sie zu den größten ihrer Art. „Die Entscheidung, unsere Propylenglykolether-Kapazitäten zu erweitern, ermöglicht es uns, gerade auch die Kunden zu bedienen, die mehr und mehr Wasserlack-Produkte entwickeln. Eine solche Anlage stellt eine Investition in die Zukunft dar", so Ekkehard Kuestermann, Technischer Manager für Lösemittel in Europa.
Weniger ist mehr
Bei industriellen Anwendungen, z.B. in der Automobilindustrie, sind es hingegen andere Kriterien, die zur Auswahl von Lösemitteln führen. Emissionen flüchtiger Verbindungen lassen sich hier - anders als etwa bei Bautenanstrichen - während des Farb- oder Lackauftrages zurückgewinnen. Während einige Automobilhersteller Wasserlacke verwenden, setzen andere weiterhin auf die Vorteile von lösemittelbasierten Lacken und effizientere Techniken zum Farbauftrag. Automobilhersteller suchen nach Möglichkeiten, Kosten zu sparen und tragen deshalb immer dünnere und weniger Farbschichten auf. Ebenso versuchen sie, die Trocken- und Härtungszeiten der einzelnen Lackschichten weitestmöglich zu reduzieren. Dirk Frankenberger, Geschäftsführer des Tochterunternehmens Deutsche Shell Chemie, erklärt: „Dies reduziert sowohl den Energie- als auch Zeiteinsatz. Klassische Lösemittel haben in diesem Verfahren aufgrund ihrer geringen Verdampfungszeiten sowie hohen Lösekraft klare Vorteile".
„High-Solid" für Brücken und Rohre
In anderen Bereichen wie der Rostschutzbeschichtung von Brücken und Rohrleitungen wiederum gibt es einen Trend zu möglichst umweltschonenden Beschichtungstechnologien, z.B. sog. „High-Solid"-Rezepturen: Hierbei können in einem Gang dicke Schichten aufgetragen werden, wo sonst zwei Arbeitsgänge notwendig sind. Der Vorteil: Ein Prozessschritt entfällt, und es kommt zu geringeren Emissionen.
„High-Solid"-Anstriche haben typischerweise einen niedrigeren Lösemittelanteil. Diese Eigenschaft wirkt sich auf ihre Viskosität sowie ihr Härtungsverhalten aus. Um allerdings den Anteil des Lösemittels im Produkt senken zu können, müssen die Hersteller ein Lösemittel mit besonders hoher Lösekraft wählen, z.B. ein Keton oder ein aromatisches Lösemittel, um die gleiche niedrige Viskosität und die gleiche Anwendungscharakteristik zu erreichen.
Nanotechnologie ist die Zukunft
Die Auswahl der richtigen Lösemittel für die Farb- und Lackindustrie wird künftig mehr durch Spitzentechnologien wie die Nanotechnologie beeinflusst. Diese Technologie hilft dabei, die klassischen Produkteigenschaften der Lacke weiter zu verbessern. Aber sie kann auch bei der Entwicklung neuer Rezepturen mit speziellen Eigenschaften helfen, wie z.B. schmutzabweisenden Oberflächen.
Trotz des hohen Preisdrucks und der zunehmenden gesetzgeberischen Auflagen: Die Nachfrage nach Lösemitteln durch die Farb- und Lackindustrie steigt weltweit mit zum Teil hohen Wachstumsraten an. Treiber sind vor allem Produzenten in Osteuropa sowie im asiatisch-pazifischen Raum, wo bereits 30% der globalen Farbproduktion beheimatet ist.
„Kein Wunder, dass auch die Lösemittelhersteller gefordert sind. Das Eigenschaftsbild von organischen Lösemitteln kann nur schwer von anderen Ersatzstoffen überboten werden" fasst Kuestermann zusammen. „Unsere Kunden werden weiterhin vor allem auf die Flexibilität von Lösemitteln setzen."