Solar Impulse 2: eine saubere technologische Leistung
Werkstoffe aus der Chemie demonstrieren ihre Leistungsfähigkeit in aufsehenerregendem Pilot-Projekt
Die beiden Piloten Bertrand Piccard und André Borschberg haben die erste Weltumrundung in einem Solarflugzeug erfolgreich beendet. Mit der Landung in Abu Dhabi, dem Ausgangspunkt der Mission, hat Bertrand Piccard am 26. Juli 2016 die letzte Etappe einer als unmöglich geltenden Reise gemeistert: die Weltumrundung in einem allein von der Sonne getriebenen Elektroflugzeug, das mehrere Tage und Nächte hintereinander ohne Treibstoff fliegen kann. Damit schließt sich nach insgesamt 23 Flugtagen, 17 Etappen und mehr als 40.000 km der Kreis der historischen Weltumrundung.
Piccard und Borschberg wechselten sich am Steuer des „Solar Impulse 2“ (Si2) getauften Einsitzers ab, um über Asien, den Pazifik, die USA, den Atlantik, das Mittelmeer und den Nahen Osten die Welt zu umrunden. Dabei stellten sie mehrere Weltrekorde auf, insbesondere die historische Pionierleistung von Borschberg, an fünf aufeinanderfolgenden Tagen und Nächten den Pazifik von Japan nach Hawaii zu überqueren und die erstmalige Überquerung des Atlantiks in einem Solarflugzeug durch Piccard.
Die Si2 kann eine Geschwindigkeit von 50 bis 100 km/h und eine maximale Flughöhe von 8.500 m erreichen. Dafür wird kein Kerosin benötigt. Angetrieben wird die Karbonfasermaschine von vier Elektromotoren mit einer maximalen Leistung von je 13,5 KW. Den Strom dafür produzieren mehr als 17.000 Solarzellen, die – auf den Tragflächen montiert – Sonnenlicht einfangen und in Hochleistungsakkus speichern, so dass der Flieger auch nachts und bei schlechtem Wetter unterwegs sein kann. Diese Batterien sind so groß, dass sie ein Viertel des Gesamtgewichts der Solar Impulse 2 ausmachen. Dennoch wiegt das Flugzeug mit 2,3 t nur etwa so viel wie ein großer PKW.
Die Idee für Solar Impulse kam Piccard im Anschluss an die erste erfolgreiche Weltumrundung im Heliumballon, die er 1999 gemeinsam mit Brian Jones meisterte. Als ihm nämlich bewusst wurde, dass sein Abenteuer leicht aufgrund von Treibstoffmangel hätte scheitern können, fasste er den Entschluss, erneut eine Weltumrundung in Angriff zu nehmen – dieses Mal jedoch ohne Treibstoff und ohne Schadstoffausstoß.
2004 begann er, die finanziellen und technischen Partner für dieses Abenteuer zusammenzubringen und tat sich mit Borschberg zusammen, um ein flugtaugliches Solarflugzeug zu entwickeln.
Das Ziel von Solar Impulse wurde bereits in dem von Piccard 2004 verfassten Manifest für saubere Technologien formuliert: „Forschung und Innovation müssen einen Beitrag zur Entwicklung erneuerbarer Energien leisten; sie müssen die Bedeutung sauberer Technologien für eine nachhaltige Entwicklung zeigen; und sie müssen Träume und Emotionen zurück ins Zentrum des wissenschaftlichen Abenteuers stellen.”
Damit ein Fluggerät, das mit solch niedrigem Tempo wie Si2 fliegt, überhaupt in der Luft bleibt, muss es sehr leicht sein und braucht riesige Tragflächen. Die Spannweite des Flugzeugs ist mit 72 m größer als die einer Boeing 747, die auf 60 m kommt.
Der Pilot fühlt sich allerdings gar nicht wie in einer solch großen Maschine: Nur 3,8 m2 misst das Ein-Personen-Cockpit. Im Vergleich zur Solar Impulse 1 bietet der Nachfolger aber mehr Komfort: Es gibt eine Toilette, einen Business-Class-Sitz, in dem sich der Pilot auch ausstrecken kann, und einen Autopiloten. Nur so waren die Ozeanüberquerungen möglich, bei denen der Pilot sich mehrere Tage an Bord aufhalten und versorgen musste. Denn zweit Piloten gleichzeitig kann Si2 nicht transportieren, dafür bräuchte es größere Batterien.
Si2 ist eine Ansammlung sauberer Technologien und ein wahres fliegendes Labor, das die Grenzen der Innovation und des technischen Know-hows weiter vorangetrieben hat.
Technologiepartner Solvay
Seit 2004 und somit von Anfang an war Solvay Technologiepartner des Solar Impulse-Projekts. Der belgische Chemiekonzern hat zahlreiche neue Werkstoffe und Verfahren zu diesem Projekt beigesteuert. Die im Flugzeug verbauten Solvay-Produkte (siehe Abb. 1) haben den Energiehaushalt deutlich verbessert, die Sicherheit und den Komfort der Piloten erhöht und das Flugzeuggewicht auf ein Minimum reduziert.
Nachts wird das Flugzeug mit Strom aus leistungsfähigen Akkus angetrieben. In der Energiekette ist die Speicherung der Engpass. Darum musste die Energiedichte der Akkus optimiert werden. Die Lösung sind spezielle Lithium-Ionen-Akkus, deren Elektrolyt bis zu 20 % F1EC (Monofluorethylencarbonat) enthält. F1EC verbessert die Wiederaufladekapazität von Li-Ionen-Akkus. Vorteil: Bei gleichem Gewicht können die Akkus mehr Strom speichern. Im Alltag wird die neue Verbindung hauptsächlich in Handys und Laptops verarbeitet.
Darüber hinaus entwickelte Solvay eine neue Type des Bindemittels PVDF Solef. Dieses bietet eine optimale Haftung auf den Elektroden und trägt dazu bei, das Gewicht der Akkus zu verringern. Außerdem verbessert es die elektrochemische Stabilität der Zellen.
Mechanische Teile wie Verbindungselemente und Schrauben sind aus robusten und leichten Werkstoffen wie den Spezialpolymeren Keta Spire PEEK und Primo Spire SRP. Sie wurden im Vergleich zum Prototyp nochmals verbessert und für Solar Impulse 2 im Spritzgussverfahren hergestellt. Das Risiko von Rissen oder Brüchen konnte dadurch deutlich reduziert werden.
Die Flügel von Si2 bestehen aus einer Wabenstruktur aus Papier, die mit dem Polymer Torlon PAI imprägniert ist. Dadurch werden sehr gute mechanische Eigenschaften in Bezug auf Stärke, Drehung, Krümmung oder Vibration erzielt.
Technologiepartner Covestro
Covestro, vormals Bayer MaterialScience, ist seit 2010 Projektpartner von Solar Impulse und außerdem offizieller technischer Partner. Das Leverkusener Unternehmen ist verantwortlich für Design und Konstruktion des Cockpits im Si2. Darin sind modernste Polyurethan- und Polycarbonatsysteme eingesetzt, die das Gewicht des Flugzeugs deutlich reduzieren und für größtmöglichen Schutz des Piloten sorgen.
Die von Covestro gestaltete Cockpit-Hülle aus einem speziellen Polyurethan-Hartschaum bspw. wiegt nur 30 kg. Bei geringem Gewicht dämmt sie das Cockpit bestmöglich gegen Kälte und Hitze. Bei Außentemperaturen zwischen -40°C und +40°C ist dies entscheidend für ein Solarflugzeug ohne Klimaanlage und Heizung, das so leicht wie möglich sein muss.
Polyurethan-Hartschaum kommt auch im Alltag zum Einsatz: Er erhöht die Energieeffizienz von Kühlgeräten oder macht als Dämmstoff Gebäude zu Niedrigenergiehäusern.
Die Scheibe des Cockpits der Si2 besteht aus dem Hochleistungskunststoff Polycarbonat, der extrem stabil, beliebig formbar, gut dämmend und nur halb so schwer wie Glas ist.
Ein Großteil der Flugzeughülle ist zudem mit einer Beschichtung auf Basis von Polyurethan-Rohstoffen überzogen. Das silbern glänzende Material reflektiert die Sonne und ist unempfindlich gegen Wind und Wetter. Im Alltag sorgt die Beschichtung für unempfindliche und rostfreie Autos und Brücken.
Dank neuer Prozesstechnologie können solche Beschichtungen und Lacke mit weniger Lösemittel hergestellt werden, brauchen weniger Wärme, um zu trocknen oder heilen sich sogar selbst.
Umweltschonend in die Zukunft
Wie viel Technik von Solar Impulse in die kommerzielle Luftfahrt gelangen wird, ist offen. Die Leistung heutiger Solarzellen ist viel zu gering, um größere Massen, also Fracht oder Passagiere, in die Luft zu heben und vor allem dort sicher zu transportieren. Doch die Industrie sucht nach Möglichkeiten, um das Fliegen umwelt- und klimafreundlicher zu machen – nicht zuletzt, weil sparsame Flugzeuge billiger zu betreiben sind. Als offizielles Ziel wurde in Europa der „Flightpath 2050“ ausgegeben, wonach der Ausstoß von Kohlendioxid bis dahin um 75 % sinken soll.
Mit der umweltschonenden Reise um die Erde sollte die Erforschung von erneuerbaren Energien beflügelt werden. Das Si2-Team wollte demonstrieren, "wie saubere Technologie den Verbrauch der natürlichen Ressourcen und unsere Abhängigkeit von fossilen Energien verringern können", so Piccard.
„Solar Impulse 2 soll nicht die Luftfahrt revolutionieren, sondern unser Denken“, sagte Piccard einmal in einem Interview. Solarflugzeuge könnten nur wenig Last transportieren, das werde sich auf absehbare Zeit kaum ändern. „Solar Impulse 2 soll vielmehr die Menschen für die neuen Techniken begeistern. Würden diese überall auf der Welt eingesetzt, könnten wir den fossilen Energieverbrauch sofort halbieren. Und die andere Hälfte können wir zur Hälfte aus erneuerbaren Quellen decken, das restliche Viertel mit Öl und Gas. Das wäre ein akzeptables Maß für die Umwelt.“
Die Weltumrundung der Si2 ist zwar zu Ende, die Reise des Projekts geht allerdings weiter.