Riesiger Nachholbedarf beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur
Kapazitätsengpässe und unzureichende Infrastruktur treffen auch die Chemieindustrie
In Bezug auf die Verkehrsinfrastruktur häufen sich seit geraumer Zeit die Hiobsbotschaften: Kapazitätsengpässe, schlechter Straßenzustand, Lücken im Schienennetz und über allem schwebt die CO₂-Debatte. Schnelle und einfache Lösungen sind nicht in Sicht. Sonja Andres befragte Tilman Benzing, Referent Logistik und Verkehrsinfrastruktur im Verband der Chemischen Industrie (VCI) zur Lage im Transportwesen für die Chemieindustrie, zur CO₂-Problematik und den Chancen durch die Neue Seidenstraße.
CHEManager: Herr Benzing, wie beurteilt der VCI die künftige Entwicklung von Chemikalientransporten regional, europa- bzw. weltweit?
Tilman Benzing: In der internationalen Logistik bleiben die Folgen der Pandemie nach wie vor deutlich bemerkbar: Sowohl die See- als auch die Luftfracht sind von starken Kapazitätsengpässen geprägt. Bei den europäischen Transporten spielen für die chemisch-pharmazeutische Industrie neben dem Straßenverkehr die Eisenbahn und die Binnenschifffahrt eine bedeutsame Rolle. Die politischen Ziele, diese Verkehrsträger in Deutschland und in der EU zu stärken, begrüßen wir deshalb.
Doch der Nachholbedarf beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur ist riesig – egal, ob es um defekte Schleusen, fehlende Kapazitäten im Schienennetz oder um das Problem mit Niedrigwasser im Rhein geht. Zweierlei ist daher zwingend notwendig: Erstens müssen die Finanzmittel für die Verkehrsinfrastruktur dauerhaft erhöht werden. Zweitens brauchen wir schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren.
Das gilt genauso für die Straßeninfrastruktur, die für viele Transporte unserer Branche unverzichtbar ist. Mehrere Sperrungen maroder Straßenbrücken im Umfeld von Chemiestandorten haben dies schmerzhaft vor Augen geführt. Hinzu kommt der „Green Deal“, mit dem die EU-Kommission auch dem Verkehrssektor sehr ambitionierte Klimaschutzziele vorgibt. Hier bestehen derzeit aber noch viele Fragenzeichen, wenn es um die Umsetzung im Detail geht.
„Das Potenzial zur CO₂-Reduktion steht und fällt mit der Verfügbarkeit alternativer Kraftstoffe.“
Wo sehen Sie Potenzial in Bezug auf CO2-Reduktionen im Transport von Chemikalien?
T. Benzing: Es gibt verschiedene Stellschrauben, um die Emissionen beim Transport zu senken: Unsere Unternehmen optimieren zum Beispiel das Ladegewicht oder die Art und Weise, wie sie Stückgut zusammenstellen. Außerdem setzen die Firmen auch auf Verkehrsverlagerung, etwa auf den kombinierten Verkehr oder die Nutzung des Seeverkehrs anstelle von Luftfracht. Allerdings sind die weiteren Potenziale zur Reduktion von CO2-Emissionen in den genannten Bereichen gering, weil unsere Chemie- und Pharmaunternehmen diese Instrumente bereits seit Langem und schon aus Kostengründen zur Optimierung der Transporte nutzen. Daher dürften für die Chemietransporte auch die Potenziale für weiteren Modal Shift begrenzt sein, zumal es auf der Schiene an Netzkapazität und Zuverlässigkeit mangelt.
Die wichtigsten Stellschrauben, um die Emissionen im Transport zu reduzieren, sind daher alternative Antriebe und Kraftstoffe. Dies gilt für den Straßengüterverkehr ebenso wie für den See- und Luftverkehr. Technologieoffenheit ist dabei der Schlüssel – aus zwei Gründen: So lassen sich für den jeweiligen Einsatzzweck die am besten geeigneten Antriebe und Kraftstoffe finden. Und wir benötigen Technologieoffenheit, um die Klimaschutzziele zu erreichen.
Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Das Potenzial zur CO2-Reduktion steht und fällt mit der Verfügbarkeit alternativer Kraftstoffe. Dafür wiederum sind gewaltige Mengen „grüner“ Energie erforderlich, die in Zukunft nicht nur für den Verkehrssektor, sondern auch für andere Sektoren wie Industrie und Energieversorgung zur Verfügung stehen und dabei auch bezahlbar sein müssen.
Welchen Stellenwert wird der Kombiverkehr für die Chemieindustrie in Zukunft haben? Sind hier Verschiebungen in Bezug auf die Transportmittel zu erwarten?
T. Benzing: Der kombinierte Verkehr verbindet die Vorteile von Schiene und Straße. Er hat für unsere Branche einen hohen Stellenwert; das gilt besonders für den Verkehr über die Alpen und den Warentransport von den Seehäfen ins Hinterland. Für weiteres Wachstum bedarf es allerdings zusätzlicher Terminals in heute noch nicht gut erschlossenen Regionen. Auch auf dem Schienennetz müssen zusätzliche Kapazitäten geschaffen werden. Und bei den Wasserstraßen gehört die Anhebung von Brücken im Kanalnetz zu den Infrastrukturmaßnahmen, mit denen der kombinierte Verkehr gestärkt werden sollte.
Welche Rolle spielen zurzeit Transporte über die neue Seidenstraße? Wie schätzen Sie hier die Entwicklung in den kommenden Jahren ein?
T. Benzing: Unter normalen Bedingungen sind Transporte über den Schienenweg nach Asien schneller, aber auch teurer als auf dem Seeweg. Die „Eiserne“ Seidenstraße hat im vergangenen Jahr stark von der Kapazitätsknappheit in der Luft- und vor allem in der Seefracht profitiert. Ob die Transporte mit der Eisenbahn zwischen Europa und Asien aber in diesem Tempo weiterwachsen, bleibt abzuwarten – der internationale Eisenbahnverband UIC rechnet im optimistischen Szenario mit einer Verdreifachung bis 2030. Wenn sich die Lage im Luft- und im Seeverkehr wieder normalisiert, dürfte es abhängig von den Kosten- oder Zeitvorteilen auch erneut zu Rückverlagerungen auf diese Verkehrsträger kommen. Dem Seeweg wird aber auch in Zukunft eine große Rolle zukommen.
Vor allem für Ziele im Landesinnern Chinas wird der Landweg über die neue Seidenstraße eine interessante Option bleiben. Für die weitere Entwicklung der Chemietransporte über die neue Seidenstraße ist ebenfalls wichtig, wie sich die Regularien für den Eisenbahntransport flüssige Güter und gefährliche Güter in Tankcontainern entwickeln werden.
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