Prozesse versus Funktionen managen
Kolumne Perspektivenwechsel von Prof. Carsten Suntrop
Zu Beginn der 90er Jahre wurde eruiert, was sich hinter den Begriffen Reengineering und Prozessmanagement verbirgt. Im Zusammenhang mit der Einführung von SAP-Systemen wurde ebenfalls postuliert, dass eine Standardsoftware Prozesse und nicht Funktionen unterstützen wird. Für den Naturwissenschaftler und Produktionsverantwortlichen war es eher suspekt, Prozesse in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen. So war doch seine Produktion Urbeispiel einer Prozessorientierung, da chemische Reaktionen nun mal nur in einer vorher sinnvoll festgelegten Reihenfolge ablaufen können und sollten. Warum sollte das in anderen Prozessen anders sein? Und was gibt es überhaupt noch für wichtige Prozesse außerhalb der Produktion?
Seither sind viele Initiativen wie Lean Management, Six Sigma oder Einführung Prozessmanagement im Rahmen von Zertifizierungen bei den Chemiestandortbetreibern initiiert worden. Die Chemiestandorte haben sich von außen betrachtet so viel mit Prozessen beschäftigt, dass selbst Unternehmensberater keine Chance mehr für klassische Prozessmanagement-Projekte gesehen haben und das Angebot minimiert haben. Alle waren und sind teilweise noch in dem Gedanken, dass Chemiestandorte prozessorientiert aufgestellt sind.
Die aktuelle Frage nach den erfolgskritischen, vom Wettbewerb differenzierenden, mit größter Wertschöpfung ausgestatteten Kernprozessen des Chemiestandort-Dienstleisters wird mit Vertrieb oder Leistungserstellung beantwortet. Dann erfolgt in den meisten Fällen eine hoch-philosophische Diskussion, was ist eine Funktion und was ist ein Prozess? Aus Sicht des Prozessmanagers verbindet der Kernprozess die erfolgskritischen Funktionen wie Vertrieb oder Leistungserstellung zu einer Prozesskette quer durch das Unternehmen. Die einzige Perspektive, die für den Prozessmanager zählt, ist die Kundenperspektive - welches Bedürfnis hat der Kunde und wie erfüllen wir als Chemiestandortdienstleister diesen Bedarf? Der Vertrieb bzw. das, was der Vertrieb `tut´ (Tunwörter zeigen, dass es ein Prozess ist), geht in der gesamten Prozesskette auf. Der Verantwortungsbereich der Funktion steht dabei nicht im Vordergrund, sondern die Aneinanderreihung von Aktivitäten.
Aus dieser Perspektive betrachtet stellt sich die Frage, auf welcher Stufe des Prozessreifegradmodells sich die Chemiestandortdienstleister befinden? Von Stufe 0 Chaotisch über 1 Ansatzweise, 2 Fortgeschritten bis hin zu 3 Durchgängig, 4 Gesteuert oder gar 5 Nachhaltig kann sich das Unternehmen selbst eine Perspektive aufbauen, welche durch Fremdperspektiven relativiert werden sollten. Wichtig ist dabei, dass deutlich wird, nicht das Managen von Funktionen macht den Chemiestandortdienstleister kundenorientierter, schneller, genauer, transparenter, nachvollziehbarer, fehlerfreier, sondern das Managen von Prozessen ermöglicht dies. Erfolgreiche Standortbetreiber und -manager haben dazu bereits Verantwortungen installiert, welche sich dann in Business Process Management Club´s und Zirkeln über die Möglichkeiten austauschen und so neue Perspektiven für den Betrieb eines Chemiestandortes einsammeln.