Produktpiraten das Handwerklegen
Anti-Counterfeiting-Strategien im Pharmamarkt
Gefälschte Produkte sind in allen Lebensbereichen zu finden und fast jeder ist damit bereits in Berührung gekommen. Anti-Counterfeiting bedeutet, Strategien gegen das Fälschen von Produkten zu entwickeln. Die Produktpiraterie betrifft neben Luxus- und Konsumgütern auch Geldscheine und Medikamente.
Laut IACC (International Anti-Counterfeiting Coalition) beläuft sich der Schaden für die Volkswirtschaften global auf mindestens 600 Mrd. US$ pro Jahr, mit stark zunehmender Tendenz. Die World Customs Organization schätzt, dass es sich bei 5-7 % aller Waren auf dem Weltmarkt um Fälschungen handelt. Die Dunkelziffer dürfte aber deutlich höher liegen.
Anti-Counterfeiting
Medikamente gelten als gefälscht, wenn sie nicht über die offiziellen Kanäle als zugelassene Medikamente in den Markt gelangen. Das schließt ein, dass Produzenten ohne Zulassung Medikamente herstellen und der falsche oder richtige Wirkstoff in falscher Menge (bzw. abwesend) verabreicht wird. Im besten Fall ist ein Medikament „nur" unwirksam. Im schlimmsten Fall ist es tödlich, wenn das Medikament seine Wirkung nicht entfacht oder zu weiteren Krankheiten aufgrund der falschen Inhaltsstoffe führt. Die Fälscher stellen Imitate von allen Arzneimitteln her (z.B. Generika sowie Originator-Produkte).
Aufgrund dessen hat die WHO (World Health Organisation) bereits 2006 IMPACT ins Leben gerufen (International Medical Products Anti-Counterfeiting Task Force), um Maßnahmen zu treffen und zu koordinieren. Für IMPACT geht die Kontrolle über die Versorgungskette bis zum Apotheker beziehungsweise dem Distributor und endet beim Patienten.
Die üblichen Anti-Conterfeiting-Strategien bestehen aus bestimmten Technologien (Tab.). Wie können diese Technologien mit Leben und Beispielen gefüllt werden?
- Overt-Technologie
Dabei werden z.B. Hologramme auf Faltschachteln, Blister oder Etiketten aufgedruckt, die schwer zu kopieren sind. Es gibt farbverändernde Sicherheitstinten und -filme, die in unterschiedlichen Farben je nach Betrachtungswinkel leuchten. Eine einfache Möglichkeit besteht in der Veränderung der Faltschachtelformate z.B. durch teilweise schräge Kanten o.ä. Weiterhin gibt es die Variante der Sicherheitsgrafiken, die aus Mikrotexten oder -bildern bestehen: Mit dem bloßen Auge sieht der Betrachter ein Bild oder eine Linie, mit der Lupe kann er einen zusätzlichen Text o.ä. erkennen.
- Semi-Overt Technologie
Hierbei handelt es sich um eine sequentielle Produktnummerierung, die offen aufgedruckt wird. Im Gegensatz zu der Serialisierungsnummer (s.u.) ist sie nicht EU- oder weltweit im Einsatz sondern auf ein bestimmtes Produkt beschränkt. Damit können bei unterschiedlichen Produkten identische Nummern vorkommen.
- Covert-Technologie
Es gibt im Tageslicht unsichtbare Tinten, mit denen ein Packmittel bedruckt sein kann und die nur unter speziellen Lichtquellen wie UV- oder IR-Licht sichtbar werden. Digitale Wasserzeichen können verwendet werden, die nur mit Hilfe von spezieller Software dekodiert werden. Die Technik des Sicherheitspapieres für die Geldnoten kann auf Packmittel übertragen werden, indem Papiere mit speziellen Fasern und evt. zusätzlichen Wasserzeichen verwendet werden. Weiter kann mit einem sogenannten Anti-Copy oder Anti-Scan-Design gearbeitet werden, das sich als hochaufgelöstes, fein strukturiertes Basismuster darstellt und bei dem durch Kopieren/Scannen die Qualität nicht überträgt.
- Forensische Marker
Forensische Marker können weder mit bloßem Auge noch mit einem einfachen analytischen Verfahren erkannt werden. Dabei handelt es sich beispielsweise um Tinten, denen chemische Marker, sog. Taggants, zugesetzt wurden. Diese ergeben einen charakteristischen Peak im IR-Spektrum oder spezielle chemische Reaktionen. Alternativ können Tinten mit biologischen Markern oder DNA-Reagenzien eingesetzt werden. Weiterhin besteht die Möglichkeit, die Packmittel auf ihr Isotopen-Verhältnis zu untersuchen, das als natürlicher Fingerprint gespeichert wird. Als weitere Alternative stehen Micro-Taggants zur Verfügung: Das sind mikroskopisch kleine Zusätze mit codierten Informationen, die sowohl in als auch auf den Packmaterialien eingesetzt werden können und mittels Mikroskop detektiert werden.
- Supply Chain-Maßnahmen
Eine klassische Maßnahme ist der Originalitätsverschluss, der die Erstöffnung durch den Kunden beweist. Eine weitere Möglichkeit stellt der Data-Matrix-Code dar, der Produktinformation und variable Daten wie Charge, Verfall und eine eindeutige, auf die Packung bezogene Serialisierungsnummer enthalten kann. Das Ziel ist, dass dieser Code sowohl innerhalb der Supply Chain als auch in der Apotheke bzw. vom Patienten entschlüsselt werden kann z.B. via Internetanschluss oder per SmartPhone. Die detaillierten Rahmenbedingungen für die Nummerngenerierung, -verwaltung und -speicherung sind gerade in der Klärung. Das RFID-Etikett kontrolliert und dokumentiert jegliche Produktbewegung und ist damit für die Bestandskontrolle im Hause sowie die Authentifizierung geeignet. Eine weitere Maßnahme stellt die Oberflächenmarkierung oder -topografie dar, die auf der Oberfläche der Verpackung randomisiert Punkte aufträgt und dieses Muster dann pro Packung speichert oder die individuelle Unebenheit jeder Oberfläche speichert. Diese Daten können mit potentiellen Fälschungen abgeglichen werden.
- Produkt-Maßnahmen
Bei Filmtabletten können sog. Kippfarben zugesetzt werden, so dass ein Farbwechsel je nach Lichteinfall und Betrachtungswinkel stattfindet. Das Prinzip funktioniert analog zu dem der Overt-Technologie. Bei einer weiteren Maßnahme werden Micro-Taggants als elektronische Marker dem Filmcoating zugesetzt, welche mit Hilfe von speziellem Equipment identifiziert werden können. Die Individualisierung von Produkten in Bezug auf Farben, Formen, Aufdrucke (grafisch und mechanisch) schützt die Konsumenten in einem gewissen Masse vor Fälschungen, da sie aufwändiger zu kopieren sind.
Kombinationsstrategie
Üblicherweise wird eine Kombinationsstrategie verwendet, die dem Risiko der Fälschung, dem Budget und der internen technischen Möglichkeiten gerecht wird. Dabei sollten Kombinationen aus verschiedenen Technologien zum Tragen kommen, denn nur so kann ein Produkt ausreichend geschützt werden. Dabei muss es sich nicht um die teuerste Lösung handeln. Eine weitere Selbstverständlichkeit besteht in der Geheimhaltung der durchgeführten Maßnahmen: Nur wenn z.B. Covert-Technologien nicht öffentlich zugänglich sind, können sie als Schutz vor Produktpiraterie dienen.
Das Europäische Parlament verabschiedete im Februar 2011 die "EU Falsified Medicine Directive". Die detaillierte Umsetzung wird in Arbeitsgruppen abgestimmt. Die Industrie bereitet sich auf die Einführung des Data-Matrix-Code in Kombination mit dem Originalitätsverschluss als Minimalanforderung vor, was die EFPIA (European Feaderation of Pharmaceutical Industries and Associations) empfiehlt. Weitere Anforderungen sind zu erwarten, im Detail aber noch nicht abzuschätzen. Die Serialisierung, das heißt eine eindeutige Nummer pro Packung (nicht nur pro Produkt) wird zentral umgesetzt werden. Insgesamt begrüßt die Industrie laut EFPIA die Änderung der bestehenden Richtlinie 2001/83/EG.
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