Positionspapier „Industriewasser 4.0“
27.04.2018 -
Das Positionspapier „Industriewasser 4.0“ beantwortet Fragen wie „Wo liegen die Potenziale für Industriewasser 4.0?“, „Welche Barrieren gibt es?“, „Wie lassen sich diese überwinden?
Vor allem im industriellen Bereich ist die Wassertechnik durch die enge Verbindung mit der Produktion gefordert. Wo die Produktion zunehmend flexibilisiert und vernetzt wird – um z. B. kleinere Losgrößen bis hin zum personalisierten Produkt anbieten zu können – muss auch die industrielle Wasserwirtschaft flexibler und vernetzter werden. Das Konzept dazu heißt „Industriewasser 4.0“. Es verbindet Industrie 4.0 und Wasser 4.0 und zielt auf drei wesentliche Punkte ab:
- die Digitalisierung in der industriellen Wasserwirtschaft selbst
- die enge Verzahnung mit der Digitalisierung der industriellen Produktion sowie
- die Verknüpfung mit einer digitalisierten kommunalen (Ab-)Wasserwirtschaft und dem Wasserressourcenmanagement
Digitalisierung in der industriellen Wasserwirtschaft
Um die industrielle Wassertechnik vertikal über die Hierarchieebenen zu integrieren, müssen alle Ebenen vom Sensor im Feld über die Steuerungs- und Bedienungsebene und die Management- und Controlling-Ebene bis zur Modellierung und Simulation verknüpft werden. Dadurch werden erhebliche Optimierungen und Kosteneinsparungen möglich. So können bspw. durch vorausschauende Wartung Ausfälle von Komponenten und Produktionsanlagen reduziert und so die Betriebssicherheit erhöht werden. Auch die Potenziale der Einzelkomponenten lassen sich besser ausschöpfen und Engpässe können durch simulationsgestützte Verbesserungen beseitigt werden. Und bei Neuinvestitionen lässt sich viel Geld sparen, indem Neuanlagen mit Hilfe von Simulationen exakt an den Bedarf angepasst und die Inbetriebsetzung mit Hilfe von Schulungen an virtuellen Anlagen deutlich verkürzt werden.
Industrielle Wasserwirtschaft mit Produktion vernetzt
Wo die industrielle Produktion digitalisiert und flexibilisiert wird, sind auch die Schnittstellen zur industriellen Wasserwirtschaft betroffen: die Wasserbereitstellung und die Abwasserbehandlung.
Die horizontale Integration des industriellen Wassermanagements bietet die Möglichkeit der fortschreitenden Vernetzung von Produktionsschritten und wassertechnischen Anlagen (Wasseraufbereitung, Abwasserreinigung, Kühlwasserkreisläufe) über den gesamten Anlagenzyklus hinweg. Dabei lassen sich auch erhebliche wirtschaftliche Potenziale erschließen: Durch abgestimmte Planung, einheitliche messtechnische Ausrüstung, Interoperabilität der Lösungen für Hard- und Software oder den abgestimmten Betrieb der vernetzten Anlagen. Neben der reinen Erfassung von Volumenströmen, die über Zähler und Durchflussmesser bereits heute standardisiert möglich ist, spielt im betrieblichen Wassermanagement die online-Messung von Stoffparametern eine entscheidende Rolle, um eine optimale Produktqualität und Produktionseffizienz zu erreichen.
Das Potenzial für verkürzte Reaktionszeiten und eine Flexibilisierung reicht aber auch noch deutlich über die Einzelanlage hinaus: Besonders bei batchweise betriebenen Produktionsprozessen wie z. B. der biotechnologischen Herstellung von Wirkstoffen oder den überwiegenden Prozessen der Stahlherstellung lassen sich Prozesswasserströme aus unterschiedlichen Produktionseinheiten besser abschätzen und zusammenführen – ein wesentlicher Faktor beim Aufbau einer industriellen Symbiose zum Beispiel in Chemie- und Industrieparks.
Weiter denken: „Industriewasser 4.0“, kommunale (Ab-)Wasserwirtschaft und Wasserressourcenmanagement
Die industrielle Wasserwirtschaft kann nur in Wechselwirkung mit ihrem externen Wasserumfeld agieren. Dies sind vor allem die kommunale (Ab-)Wasserwirtschaft und das Management natürlicher Wasserressourcen (Grund- und Oberflächenwässer – überwiegend vertreten durch die öffentliche Hand/öffentliche Stellen). In dem Maße, in dem in der kommunalen (Ab-)Wasserwirtschaft mit Wasser 4.0 die Digitalisierung voranschreitet, entstehen an den Schnittstellen zwischen Kommunen und Industrie neue Anforderungen vor allem bei der Optimierung von Informationsströmen. Für Standorte, an denen natürliche Wasserressourcen Bestandteil des Wassermanagements sind, wird die Digitalisierung künftig für die Informationsschnittstelle zu den Genehmigungs- und Vollzugsbehörden im Rahmen von Überwachung und Compliance immer wichtiger werden.
So müssen zusätzliche Behandlungsstufen in den Reinigungsprozess integriert werden oder vorhandene Prozesse angepasst werden, um strengere Grenzwerte zu erfüllen. Daneben sollten Anlagenbetreiber möglichst sicherstellen, dass bei Naturereignissen wie Starkregen oder Unwettern eine Überflutung der Abwasseranlagen und damit verbunden eine unkontrollierte Freisetzung von belasteten Abwässern weitgehend verhindert wird. Die zunehmende Flexibilisierung der Produktion führt zudem zu Schwankungen sowohl beim Bedarf nach Wasser als auch bei der anfallenden Wassermenge, sodass die entsprechenden Ver- und Entsorgungssysteme ebenfalls eine größere Flexibilität aufweisen müssen.
Nachholbedarf bei der Digitalisierung
Während die Digitalisierung in der industriellen Produktion und der Prozessindustrie (z. B. Chemie, Stahl, Glas/Keramik) sowohl national als auch international (z. B. Industrial Internet Consortium, Made in China 2025) schnell fortschreitet, hat der Digitalisierungsgrad in der Wasserwirtschaft noch kein vergleichbares Niveau erreicht. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von ungeklärten Fragen der Daten- und IT-Sicherheit über inkonsistente Datenerhebungen und fehlende Harmonisierung, aber auch fehlende organisatorische Strukturen und Wissenslücken bis hin zu den erheblichen Investitionen, die für die Umsetzung notwendig sind. Auch bei den Simulations- und Modellierungswerkzeugen bestehen erhebliche Lücken.
Perspektive für Wettbwerbsfähigkeit
Unter Ausschöpfung aller Potenziale für die Anlagenplanung in Kombination mit einem bedarfsgerecht und dynamisch an die Erfordernisse der Produktionsprozesse angepassten Betrieb kann der Ressourcenverbrauch sehr stark reduziert und die Wasserversorgungs- und Entsorgungssicherheit deutlich erhöht werden.
Die Digitalisierung in der industriellen Wasserwirtschaft unterstützt zudem eine zunehmende Entkopplung von Produktion und Frischwasserbedarf. Weltweit kann dadurch an Industriestandorten mit Wasserstress das Risiko für Einschränkungen oder gar Unterbrechungen der Produktion auf Grund mangelnder Wasserverfügbarkeit verringert werden. Gleichzeitig entstehen Potenziale für Produktionssteigerungen, ohne dabei auf zusätzliche Frischwasserressourcen angewiesen zu sein.
Industriewasser 4.0 ist daher nicht nur für die Wassertechnologiebranche und den innerdeutschen Markt von großer Relevanz. Der Industriewasser 4.0-Ansatz stärkt auch den Export von Technologien, Ausrüstungen, Ingenieur- und anderen Dienstleistungen und fördert gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der produzierenden und Prozessindustrie in internationalen Märkten.