Mikroreaktoren: Schlüsseltechnologie für die Prozessintensivierung
27.02.2012 -
Mikroreaktoren: Schlüsseltechnologie für die Prozessintensivierung
Die Mikroreaktionstechnik hat sich zu einer Schlüsseltechnologie in der Prozessintensivierung entwickelt. Hersteller von Mikroreaktorsystemen vermarkten ihre Produkte mit Slogans wie „Lab on a chip“ oder „Eine chemische Fabrik in einem Aktenkoffer“. Worin liegen die Perspektiven und Vorzüge dieser Mikroreaktionstechnik, die bereits 1986 in einem Patent der Akademie der Wissenschaften der DDR erstmalig skizziert wurde? Welche Produktionsmengen bzw. Tonnagen eignen sich für diese Technik? Welche Reaktionstypen kommen in Frage?
Um diese Fragen beantworten zu können, bedarf es zunächst einer Definition, was unter Mikroreaktorsystemen verstanden wird. Als Mikroreaktoren werden heute Reaktorsysteme bezeichnet, deren Dimensionen im Bereich von 10 – 100 μm liegen. Durch Anwendung von Fertigungstechniken aus der Halbleiter-Chipproduktion wie Lithographie- Techniken in Kombination mit Plasma- oder Galvanoformung, mikromechanischer Strukturierung als auch Laser-Techniken, ist es möglich, diese Mikrostrukturen auf der Basis von Metallen, Silizium, Keramik, Polymeren und Gläsern zu fertigen. Bekannte Namensreaktionen der präparativen Chemie wie Wittig-Reaktion, Knoevenagel-Kondensation, Michael- Addition, Diels-Alder- Reaktion, Suzuki-Kopplung u.a. wurden in Mikroreaktoren mit überwiegend verbesserten Selektivitäten und Umsätzen erfolgreich durchgeführt.
Teilweise schnellere und selektivere Reaktionen
Wo sind nun die Ursachen zu suchen, dass in Mikroreaktoren zum Teil bessere Ergebnisse erhalten werden als in konventionellen Reaktoren? Damit eine chemische Reaktion optimal ablaufen kann, müssen in einem Reaktor verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein: Zunächst sollte eine annähernd ideale Durchmischung der Edukte realisiert werden, verbunden mit einer großen Phasengrenzfläche bei mehrphasigen Reaktionen. Anschließend muss die benötigte Reaktionszeit durch eine Verweilzeitstrecke mit bevorzugt enger Verweilzeitverteilung gewährleistet und die für die Reaktion notwendige bzw. dabei freigesetzte Reaktionswärme zu- bzw. abgeführt werden.
Dass dies möglich ist, konnte eindrucksvoll am Beispiel der Synthese von a- bzw. b-Dipeptiden gezeigt werden. Unter Verwendung eines Mikroreaktors mit Mikromischer gelingt es, die Reaktionszeiten von 24 Stunden im Batchbetrieb auf nur noch 20 Minuten unter kontinuierlichen Bedingungen zu verringern. Die Ursachen liegen im verbesserten Durchmischen der Edukte. Mikromischer zeigen für Flüssigkeiten Mischzeiten im Bereich von 1 s bis 1 ms, die deutlich unter denen konventioneller Mischer liegen. Dies bewirkt einen intensiveren Stofftransport, der wiederum zu einer deutlichen Verringerung der Reaktionszeit und Zunahme der Raumzeit- Ausbeute führt.
Schneller Wärmetausch – fast isotherm
Der Wärmeübergang in einem Wärmetauscher nimmt mit abnehmender Wandstärke zu. In einem mikrostrukturierten Wärmetauscher führt dies aufgrund seiner geringen Dimensionen zu Wärmeübergangskoeffizienten von bis 25 kW m2 K-1. Gleichzeitig steigt das Oberflächen/Volumen- Verhältnis bis auf mehrere 10.000 m2/m3 an. Wird nun ein Mikrowärmetauscher in einen Mikroreaktor integriert, so lassen sich beide Effekte zu Gunsten einer schnellen Wärmezufuhr in den Reaktor bzw. -abfuhr aus dem Reaktor miteinander kombinieren. In der Praxis können mit diesen Mikroreaktorsystemen stark exotherme Reaktionen wie Chlorierungen, Oxidationen, Nitrierungen und selbst Fluorierungen mit elementarem Fluor (in Mikroreaktoren aus Nickel) unter nahezu isothermen Bedingungen durchgeführt werden.
Unter dem Gesichtspunkt der Prozesssicherheit schneiden kontinuierlich betriebene Mikroreaktoren im Vergleich zu Reaktoren, die im Satzbetrieb betrieben werden, ebenfalls besser ab. Einerseits wird durch den kontinuierlichen Betrieb eine Anreicherung an problematischen Reaktanden vermieden, andererseits sind kontinuierliche, stationäre Prozesse einfacher zu regeln als diskontinuierliche, instationäre Prozesse. Letztendlich bergen die geringen Reaktionsvolumina in Mikroreaktoren ein wesentlich geringeres Gefahrenpotential, für den Fall, dass eine Reaktion trotz aller Vorkehrmassnahmen dennoch durchgehen sollte.
Eignung und Vorteile bei bestimmten Reaktionen
Hinsichtlich des Einsatzes von Mikroreaktoren in der Produktion müssen Druckverlustanforderungen, ggfs. gekoppelt mit Verweilzeitforderungen, berücksichtigt werden, die zur Begrenzung des Durchsatzes pro Mikroreaktormodul führen. Ein Scaling-Up zum Erreichen größerer Produktionsmengen ist prinzipiell durch Parallelschaltung beliebiger einzelner Module möglich, allerdings treten dabei neue Probleme auf, wie die Gewährleistung einer gleichmäßigen Eduktverteilung auf die verschiedenen Module. Aus diesem Grund sollten sich Mikroreaktoren eher zur Produktion kleiner und mittlerer Produktionsvolumina eignen, wie sie bei der Produktion von Spezial- und Feinchemikalien bzw. pharmazeutischer Wirkstoffe vorherrschen.
Lonza führte Untersuchungen durch, inwieweit diese Annahme auf ihre eigenen Produktionsstufen angewandt werden kann. Üblicherweise werden die in diesen Bereichen auftretenden Tonnagen bisher im Falle von Flüssigphasenreaktionen durch Batchoder Semibatchprozesse abgedeckt. Die Untersuchungsergebnisse ergaben, dass sich 50 % der 22 untersuchten Produktionsprozesse für ein kontinuierliches Verfahren eignen würden.
Für die weitere Bewertung wurden die einzelnen Reaktionen der Prozessstufen hinsichtlich der Reaktionsgeschwindigkeit in drei Klassen A, B, C eingeteilt: Reaktionen vom Typ A sind sehr schnell ablaufende Reaktionen mit Reaktionszeiten unter 1 s. Reaktionen vom Typ B zeigen Reaktionszeiten zwischen 1 s und 10 min. Alle langsamer ablaufenden Reaktionen mit Reaktionszeiten größer als 10 min gehören zum Typ C. Reaktionen vom Typ A laufen noch während der Durchmischung ab. Sie werden durch den Mischprozess bestimmt. Der Einsatz eines Mikroreaktors mit Mikromischer sollte die Durchführung solcher Reaktionen optimieren.
Da unter diesen Bedingungen die Abführung der Reaktionswärme schwierig ist, ist bei exothermen Reaktionen vom Typ A der Einsatz von mikrostrukturierten Wärmetauschern notwendig, um lokalen Temperaturgradienten entgegenzuwirken. Reaktionen vom Typ B werden nicht mehr durch den Mischprozess, sondern durch die Kinetik der Reaktion kontrolliert, welche in dem Mischer nachgeschalteten Verweilzeitmodulen abläuft. Trotzdem sollten auch diese Reaktionen vom Einsatz von Mikroreaktoren dadurch profitieren, dass Stoff- und Wärmetransport verbessert werden, die zusammen mit einer engeren Verweilzeitverteilung des Mikroreaktors zu höheren Umsätzen und Selektivitäten führen. Langsam ablaufenden Reaktionen vom Typ C sind zunächst prädestiniert für die Durchführung in Batchreaktoren. Der Einsatz von Mikroreaktoren könnte zwar die Sicherheit der Durchführung dieser Reaktionen erhöhen, würde jedoch entsprechend lange Verweilzeitstrecken voraussetzen.
Trotz aller aufgeführten Vorteile finden sich Mikroreaktoren in der Produktion bisher jedoch nur vereinzelt wieder. Ihre heutigen Defizite zeigen sich, wenn der Labormaßstab, dem ein Großteil aller in der Literatur beschriebenen Untersuchungen zugeordnet werden kann, verlassen wird. Innerhalb der Mikrostrukturen besteht immer das Problem von Verstopfungen. Heutige Mikroreaktoren sind noch nicht oder nur bedingt dafür ausgelegt, in Gegenwart von Feststoffen zu arbeiten. Dabei betrifft dies nicht alleine die Produktseite, sondern auch die ebenfalls mikrostrukturierte Wärmeträgerseite, auf der Feststoffe durch Fouling-Prozesse des Wärmeträgers freigesetzt werden können.
Seitens der chemischen Industrie wurden zuletzt Mikroreaktoranlagen für den Produktionsmaßstab entwickelt und gegenwärtig unter Produktionsbedingungen getestet. Hierzu zählen eine Anlage zur Produktion von 80 t/a Spezialpigmenten von Clariant als auch ein unter der Federführung von Degussa im Rahmen des Demis-Projektes entwickelter Reaktor zur Gasphasen- Epoxidierung von Propen zu Propylenoxid. Mit letzterem Reaktor soll erstmalig die bisherige Grenze von 5.000 t/a Produktionsmenge eines Mikroreaktors durchbrochen werden. Es bleibt abzuwarten, wie sich dieses spannende Gebiet der Prozessintensivierung weiterentwickeln wird.