Mehrwert durch Digitalisierung
Chemielogistik: Großes Potenzial durch Digitalisierung muss komplett abgerufen werden
Digitalisierung ist eine verlockende Chance – auch für die Lieferkette und die Logistik in der Chemie. Von autonomen Transporten und vernetzten Planungstools über eigenständig fahrende Züge und LKWs bis hin zur unbemannten Seeschifffahrt stehen viele Möglichkeiten offen. Die Digitalisierung in der Chemielogistik birgt nachhaltige Chancen sowohl für die Chemieunternehmen, die die Produkte verladen, als auch für Kunden, Arbeitnehmer und die Umwelt.
Doch Achtung: Industrie 4.0 und Digitalisierung sind kein Selbstzweck. Im großen Potpourri an Ideen wird sich nur durchsetzen, was auch tatsächlich Kundennutzen, steigende Produktivität und optimierte Abläufe generiert. Man denke beispielsweise an einen sicheren und zuverlässigen Transport, der Kunden kostengünstige Warenlieferungen ermöglicht und die Zahl der Leertransporte reduziert. Oder an entlastete Mitarbeiter entlang der Logistikkette, die ihre täglichen Aufgaben dank Digitalisierung leichter bewältigen können. Trotz aller neuen Wege: Die Sicherheit von Chemikalientransporten muss immer an erster Stelle stehen.
Die Logistik ist ein komplexes Zusammenspiel verschiedenster Faktoren. Externe Aspekte wie der Verkehr oder das Wetter sind für Unternehmen kaum beeinflussbar. Anders sieht es bei internen Stellhebeln aus: Transportkontingente, Routenplanung oder den Verpackungsprozess haben Unternehmen selbst in der Hand. Allerdings können sie nur agieren, wenn ihnen auch sämtliche dafür nötigen Informationen vorliegen. Ein umfassender Datenfluss fungiert in diesem Zusammenhang quasi als Nebelscheinwerfer: Man sieht mit den gewonnenen Informationen besser.
„Autonomer Transport“ in der Lieferkette
Genau dort kann die Digitalisierung ansetzen und helfen, diese Gesamtheit an Informationen bereitzustellen. Zum Beispiel, indem sie die Integration sogenannter „autonomer Transporte“ in die Lieferkette ermöglicht – eine Cloud- oder RFID (Radio Frequency Identification)-Chip-unterstützte Planung der Warenströme, bei der sämtliche verfügbaren Daten aus dem System gezogen werden und der Prozess autonom entlang der Warenwirtschaftskette gesteuert wird. Das schließt eine multimodale Verteilung auf die verschiedenen Verkehrswege Straße, Schiene und Binnenschifffahrt ein, die situative Auslastungen einplant, Ausfälle – wie bei Baustellen – kompensiert, und die Infrastruktur bestmöglich auslastet. Im Optimalfall kann genau der Transportträger ausgewählt werden, der am klimafreundlichsten ist und die Ware im erforderlichen Zeitrahmen zum Kunden befördert. Alles in allem wird also eine optimierte Steuerung von Verkehrsträgern bei der Belieferung der Kunden möglich, die so analog auch beim Bezug von Rohstoffen und Vorprodukten funktioniert.
Es gibt auch schon Projekte zu fahrerlosen Zügen, deren Fahrbefehle und Geschwindigkeiten von einer Leitstelle aus bestimmt werden. Oder Ideen zum sogenannten „Platooning“, bei dem LKWs selbständig fahren und der Fahrer lediglich noch für übergeordnete Steueraufgaben zuständig ist. Die Kommunikation mit der Umgebung erfolgt durch die intelligente Vernetzung mit existierenden Sicherheitssystemen. Solche Maßnahmen könnten nicht nur den bestehenden Fahrermangel kompensieren. Sie entlasten auch die Fahrer, die nun Kapazitäten für andere Tätigkeiten wie Dispositionsaufgaben haben.
Gewährleistung einer stabilen physischen Infrastruktur
Damit die Digitalisierung Mehrwert generieren kann, braucht sie die richtige Infrastruktur – d.h., sowohl eine stabile physische, als auch digitale Infrastruktur. Wesentliche physische Transportachsen sind insbesondere die Verkehrsträger-Hauptrouten innerhalb der Transeuropäischen Netze (TEN). Auch Deutschland ist hierin zentral verankert. Die physische Infrastruktur hierzulande ist jedoch überlastet: Brücken auf Straßen und Bahnstrecken müssen dringend saniert werden. In der Binnenschifffahrt gibt es Nachholbedarf bei Schleusen, Wehren und Dükern. Der neue Bundesverkehrswegeplan 2030 des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur ist ein erster Schritt in die richtige Richtung: Er zeigt, dass die Bedeutung des Themas in der Politik angekommen ist.
Doch darüber hinaus muss auch neue Infrastruktur aufgebaut werden, die einen Mehrwert garantiert: indem sie beispielsweise eine Sensorik für die automatische Meldung von Belastungen und Störungen, eine Datenerfassung in Echtzeit, Unterflur-Transportsysteme oder intermodale Übergabepunkte zwischen Straße, Schiene und Binnenschifffahrt ermöglicht.
Digitalisierung benötigt zuverlässige IT
Neben der physischen Infrastruktur ist auch das digitale Pendant entscheidend, denn ohne eine zuverlässige IT wird die Digitalisierung nicht gelingen: Der reibungslose Datenfluss muss gewährleistet sein. Es braucht sowohl ein flächendeckendes, leistungsfähiges Breitbandnetz als auch einen sicheren Datenfluss bei Cloud-Lösungen. Selbstverständlich gehen damit auch wichtige Rechtsfragen einher: Global agierende Hersteller benötigen einheitliche Rahmenbedingungen. Auch der Datenschutz muss stets gewährleistet sein, aber nicht durch Überregulierung. Es geht nicht um eine Einschränkung von Daten, sondern um eine Anonymisierung.
Nicht zuletzt sind für den Erfolg der Digitalisierung auch die Unternehmen selbst in der Pflicht. Noch hat keine Branche ein einheitliches Konzept bei der Digitalisierung ihrer Lieferketten. Es gibt bisher keine ausgeprägte Neigung zur Zusammenarbeit. Dabei werden branchenübergreifende Standards und Transparenz dringend gebraucht, damit sich die Datenströme auch gewinnbringend verteilen können. Für die Chemie, deren Produkte in nahezu alle Wirtschaftszweige fließen, ist eine solche Kooperation immens wichtig. Generell gilt: Digitalisierung geht nicht ohne Kompromisse. Deshalb braucht es die Bereitschaft zur Dezentralisierung von Daten. Nur dann können digitale und analoge Welt zusammengeführt und das Potenzial der Digitalisierung auch wirklich abgeschöpft werden.