Logistik & Supply Chain

Ist Ihr Supply Chain Management effektiv organisiert?

Zehn Praktiker-Tipps zur SCM-Organisation

26.07.2024 - Das Supply Chain Management (SCM) steht immer mehr im Zentrum des Interesses von Unternehmen. Die aufgeführten Praktiker-Tipps, sollen Unternehmen beim Aufbau einer optimalen SCM-Organisation helfen.

Eine gut aufgestellte und geführte Lieferkette – innerhalb des Unternehmens und über Unternehmensgrenzen hinweg – kann der Schlüssel zum Erfolg eines Unternehmens sein, während schlecht geführte Lieferketten zu Verzögerungen und Ausfällen, erhöhten Kosten und entgangenen Umsätzen führen. Die organisationale Verankerung des SCM im Unternehmen ist die Grundlage des Erfolgs und mehr als nur ein Organigramm mit Rechtecken und Verbindungslinien. In der Ausgestaltung der Supply Chain Organisation erfolgen sowohl die Abgrenzung von Prozessen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten als auch die Festlegung der Interaktion mit anderen Abteilungen. Dabei gibt es kein Universalkonzept für die SCM-Organisation, die in einer bestimmten Branche, geschweige denn in allen Unternehmen, angewandt werden kann und zum Erfolg führt. Vielmehr muss die Organisation spezifisch auf Basis der Unternehmens- und Supply-Chain-Strategie abgeleitet werden und zur Unternehmenskultur passen. Unternehmen sehen sich dabei mit einer Vielzahl von Fragen und Herausforderungen konfrontiert: Von der Entscheidung zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung über die Gestaltung der Organisationsbreite und –tiefe bis hin zur Festlegung von Ressourcen und Rollenprofilen.

Um Ihrem Unternehmen beim Aufbau einer optimalen SCM-Organisation zu helfen, wurden zehn Praktiker-Tipps für Sie zusammengestellt:


1. Machen Sie SCM zur Top-Management Aufgabe
Das SCM ist als zentrale Funktion aller produzierenden Unternehmen von höchster strategischer Bedeutung. Die SCM-Leitung sollte demnach als eigener Organisationsbereich entsprechend hoch in der Unternehmenshierarchie angesiedelt sein, mit direktem Zugang zu den Entscheidungsträgern. Die Verankerung der SCM-Leitung nahe der Unternehmensspitze ermöglicht es, dass die Lieferkette nicht nur als operative Notwendigkeit, sondern als strategischer Wettbewerbsvorteil betrachtet wird. Dies erfordert, dass Sie die SCM-Leitung mit ausreichenden Entscheidungsbefugnissen ausstatten, um die notwendige Flexibilität und Effektivität der Lieferkette sicherzustellen. Dies ist insbesondere bei auftretenden Zielkonflikten der Fall, wie z.B. einer geforderten hohen Lieferquote bei gleichzeitig gering zu haltenden Beständen. Hier sind im Tagesgeschäft schnell Entscheidungen zu treffen, die die übergeordneten Unternehmensziele reflektieren. Die Fähigkeit, schnell und effektiv auf Veränderungen zu reagieren, kann den Unterschied zwischen Marktführerschaft und verlorenen Marktanteilen bedeuten.

2. Passen Sie die Breite und Tiefe der Organisation an
Eine zu breit angelegte Organisation kann zu einer Überkomplexität führen, die die Übersichtlichkeit der Prozesse beeinträchtigt und das Risiko eines Kontrollverlustes erhöht. Andererseits kann eine zu tiefe Struktur mit sehr vielen Hierarchieebenen die Flexibilität und Agilität der Organisation einschränken, was wiederum zu Verzögerungen in der Entscheidungsfindung führen kann. Das Ziel ist es, die Balance zu finden, bei der das Unternehmen agil genug ist, um sich rasch an Marktveränderungen anzupassen, und gleichzeitig ausreichend strukturiert, um eine effektive Kontrolle und Steuerung der Supply-Chain-Prozesse zu gewährleisten. Analysieren Sie Ihre bestehenden Prozesse und Strukturen sorgfältig und überlegen Sie, welche Ebenen und Funktionen tatsächlich notwendig sind, um die strategischen Ziele Ihres Unternehmens zu erreichen. Achten Sie darauf, dass jede Ebene innerhalb der Organisation einen klaren Wertbeitrag leistet und nicht nur als zusätzliche Bürokratieebene fungiert. Durch das Entfernen unnötiger Hierarchieebenen können die Entscheidungsfindung beschleunigt und die Reaktionsfähigkeit verbessert werden. Gleichzeitig ist es wichtig, dass die Organisation nicht zu flach wird, was zu einer Überlastung der Mitarbeiter und zu einer Vernachlässigung wichtiger Kontrollfunktionen führen kann.

3. Wägen Sie Zentralisierung vs. Dezentralisierung einzelner SCM-Funktionen exakt ab
Das Ausbalancieren von zentralisierten und dezentralisierten Funktionen innerhalb der Supply-Chain-Organisation ist von ebenso hoher strategischer Bedeutung und entscheidet maßgeblich über die Effektivität und Reaktionsfähigkeit des gesamten Systems. Zentralisierte Strukturen sind oft mit Kosteneinsparungen und einer höheren Standardisierung verbunden, wohingegen dezentralisierte Funktionen den Vorteil einer erhöhten Produktions- und Marktnähe und Flexibilität bieten, was insbesondere in dynamischen und heterogenen Marktumgebungen von hohem Wert ist. Eine Entscheidung über den Zentralisierungsgrad von Supply-Chain-Funktionen muss dabei bspw. auf Basis von qualitativen Kriterien wie der Unternehmensgröße, der geografischen Ausdehnung, den eingesetzten Technologien, der Zusammensetzung des Leistungsspektrums und der Führungsphilosophie des Managements getroffen werden.

4. Weisen Sie Aufgaben, Verantwortlichkeiten & Schnittstellen genau zu
Das SCM fungiert als Querschnittsfunktion und integriert diverse Fachbereiche im Unternehmen. Dabei können sich die spezifischen Aufgabengebiete des SCM von Unternehmen zu Unternehmen stark unterscheiden. Umso wichtiger ist es, dass Sie in Ihrem Unternehmen eindeutig festlegen, welche Abteilung für welche Aufgaben und Prozesse zuständig ist. Dies hilft dabei Überschneidungen und Lücken in der Prozesskette zu vermeiden, die Transparenz und Rechenschaftspflicht zu fördern und Herausforderungen einfacher zu identifizieren. Definieren Sie außerdem Schnittstellen zwischen den Abteilungen und etablieren Sie klare Kommunikationskanäle, die es Teammitgliedern ermöglichen, Informationen im Team und über das Team hinaus schnell und effizient auszutauschen. Dies beinhaltet regelmäßige Meetings, definierte Berichtswege und die Nutzung von Kollaborationstools. Profitieren Sie von einer gesteigerten Gesamteffektivität und einer stärkeren Ausrichtung auf gemeinsame Unternehmensziele.

5. Klären Sie die Weisungs- und Entscheidungsbefugnisse

Die Vielfalt der Positionen und Rollen innerhalb einer SCM-Organisation erfordert neben der präzisen Definition und der Abgrenzung von Rollen ebenfalls die klare Gestaltung von Weisungsbefugnissen. Diese agieren wie das Nervensystem eines Unternehmens, indem sie Informationen und Entscheidungen dorthin leiten, wo sie benötigt werden. Da im SCM bei Zielkonflikten nicht immer alle Ziele vollumfänglich erfüllt werden können, ist eindeutig zu regeln, wer in diesen Fällen entscheidet. Dabei ist wichtig, dass die disziplinarischen und funktionalen Weisungsbefugnisse nicht nur stringent definiert, sondern auch allen Beteiligten bekannt sind. Während funktionale Weisungsbefugnisse es Fachexperten erlauben, spezifische Anweisungen innerhalb ihres Expertise-Bereichs zu erteilen, regeln disziplinarische Weisungsbefugnisse die allgemeine Führung der Mitarbeiter. Diese Strukturierung schafft Transparenz und definiert eindeutig, wer wem gegenüber verantwortlich ist und an wen sich die Mitarbeiter mit fachlichen sowie organisatorischen Fragen wenden können.

6. Ermitteln Sie detailliert den Ressourcenbedarf

Ein häufiges Problem in Unternehmen, insbesondere in solchen mit einer gewissen Komplexität, ist die Unklarheit über den tatsächlichen Ressourcenbedarf, der zur Durchführung relevanter Tätigkeiten erforderlich ist. Oftmals werden die benötigten Ressourcen eher grob und nach dem Prinzip "Pi mal Daumen" geschätzt. Vermeiden Sie potenzielle Ineffizienzen oder Engpässe, die aus einem groben Abschätzen resultieren, indem Sie basierend auf einer Arbeitsverteilanalyse (Grafik) im Abgleich mit Benchmarks aus vergleichbaren Unternehmen sorgfältig und methodisch den Ressourcenbedarf ermitteln. Durch eine systematische Erfassung aller Aktivitäten im SCM und deren Arbeitslast lassen sich nicht nur der genaue Ressourcenbedarf je Aufgabenbereich besser bestimmen, sondern auch Aufwandstreiber und „Zeitfresser“ identifizieren und Optimierungspotenziale aufdecken.

 

7. Erstellen Sie Rollenprofile

Erstellen Sie klare Rollenprofile, die die erforderlichen Fähigkeiten und Erfahrungen für jede Position in der Supply Chain beschreiben. Ein gut ausgearbeitetes Rollenprofil geht über die Darstellung der aktuellen Anforderungen hinaus und beleuchtet auch die Entwicklungsperspektiven, die sich aus der jeweiligen Rolle ergeben. Die Rollenprofile dienen als wesentliches Instrument für verschiedene Personalmanagementprozesse. Sie sind die Basis für die Rekrutierung neuer Mitarbeiter und stellen sicher, dass Kandidaten mit den erforderlichen Fähigkeiten für die jeweilige Position identifiziert werden. Ebenso sind sie ein zentrales Element für die Leistungsbeurteilung, da sie Kriterien für die Bewertung der Mitarbeiterleistung bieten. Rollenprofile tragen dazu bei, dass Mitarbeiter ihre Funktion im Unternehmen und Erwartungen an sie verstehen. Sie zeigen außerdem Möglichkeiten für ihre berufliche Weiterentwicklung auf und fördern somit die Motivation und das Engagement der Mitarbeiter.

8. Bewerten Sie organisatorische Optionen umfassend

Bei der Definition der richtigen Ausgestaltung der Supply-Chain-Organisation stehen Unternehmen oft vor einer komplexen Herausforderung. Definieren Sie im Vorhinein Bewertungskriterien, die auf mögliche Optionen der organisatorischen Gestaltung angewandt werden können. Diese Kriterien sollten sorgfältig ausgewählt und basierend auf den spezifischen Bedürfnissen und Zielen des Unternehmens gewichtet werden. Beispielsweise resultieren unterschiedliche Gestaltungoptionen der Breite & Tiefe der Organisation (siehe Punkt 2) in unterschiedlichen Ausprägungen in den Dimensionen Ressourceneffizienz, Reaktionsfähigkeit, Steuerung oder Umsetzbarkeit. Analysieren Sie genau, welche dieser Dimensionen für Ihr Unternehmen welche Relevanz haben, und gewichten Sie die Dimensionen dementsprechend. Stellen Sie jedoch bei der Bewertung der Optionen sicher, keine Scheingenauigkeit abzubilden. Eine zu granulare Bewertung liefert in den meisten Fällen keinen Mehrwert zu einer fachmännischen und gut durchdachten Einschätzung auf einer Skala von z.B. „Sehr schlecht“ bis „Sehr gut“.

9. Betrachten Sie die Mitarbeiter als Dreh- und Angelpunkt

Mit der Neugestaltung der Supply-Chain-Organisation haben Sie einen entscheidenden Schritt unternommen, um die Effektivität und Effizienz Ihres Unternehmens zu optimieren. Was bisher als strategischer Entwurf vorliegt, ist das Ergebnis sorgfältiger Planung und zielt darauf ab, Ihre Supply Chain zu einem leistungsstarken Wettbewerbsvorteil zu formen. Doch dieser Plan ist zunächst nur ein theoretisches Konstrukt, das auf Ihrem Schreibtisch liegt. Die eigentliche Herausforderung besteht nun darin, dieses Konzept in die Praxis umzusetzen und in die Realität Ihres Unternehmens zu integrieren. Ein umfassendes Change-Management und die Einbindung aller betroffenen Stakeholder in den Transformationsprozess ist der Schlüssel zum Erfolg. Nur durch ihre aktive Teilnahme, ihr Verständnis für die Notwendigkeit der Umstrukturierung und für die neuen Strukturen kann die neue Supply-Chain-Organisation effektiv eingeführt werden. Schulungen und Workshops mit den Mitarbeitern sind dabei hilfreiche Instrumente, um ein tiefgreifendes Verständnis der neuen Organisationsstruktur zu fördern. Mitarbeitern müssen verstehen, welche Rolle sie in der neuen Organisation einnehmen, welche Aufgaben damit verbunden sind und wo die Grenzen und Schnittstellen liegen. Ein solches Verständnis ist unerlässlich, um die kollektive Ausrichtung auf die gemeinsamen Ziele der Supply Chain zu gewährleisten.

10. Verbessern Sie die SCM-Organisation kontinuierlich

Die inhärente Dynamik des Unternehmensumfelds – sei es durch globale Trends oder Änderungen im Kundenverhalten – und der Supply Chain – bedingt durch komplexe Liefernetzwerke und Logistikanforderungen – machen eine regelmäßige flexible Anpassung der SCM-Organisation unabdingbar. Die Supply-Chain-Organisation darf nicht als statisches Gebilde gesehen werden. Neue Geschäftsbereiche, Änderungen in Prozessen oder die Einführung neuer Technologien können dazu führen, dass die Organisation ebenfalls angepasst werden muss. Implementieren Sie deshalb einen Prozess zur kontinuierlichen Verbesserung von SCM-Organisation und -Abläufen. Dieser beinhaltet die regelmäßige Überprüfung der aktuellen Organisation und Prozesse, die systematische Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten und das Einholen von Feedback aus allen Ebenen der Organisation.

Fazit

Der Aufbau einer schlagkräftigen SCM-Organisation erfordert eine strukturierte Herangehensweise, bei der viele unterschiedliche Faktoren Berücksichtigung finden müssen. Eine durchdachte Konzeption – verbunden mit einer erfolgreichen Umsetzung – der Supply-Chain-Organisation wird im Ergebnis zu einem wesentlichen Wettbewerbsvorteil führen. Dieser resultiert nicht nur aus besseren und schnelleren Entscheidungen entlang der Supply Chain, sondern auch aus einer effizienteren Arbeitsweise der Supply-Chain-Organisation.

 

Autoren: Dennis Goetjes und Matthias Lütke Entrup, Partner, und Jakob Kaatz, Consultant, Höveler Holzmann Consulting GmbH, Düsseldorf

 

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