Hans-Jürgen Kröger (Infraserv Logistics) im Interview: Risiken bewusst machen
Infraserv Logistics setzt auf ganzheitliches Risikomanagement
Strenge Vorschriften alleine können die Sicherheit von Transportketten nur bedingt gewährleisten. Ein umfassendes Risikomanagement und das richtige Bewusstsein der Mitarbeiter für Fragen der Sicherheit tragen sehr zur Verbesserung der Gesamtsituation bei. Im Interview äußert sich der Geschäftsführer der Infraserv Logistics, Hans-Jürgen Kröger, zu ersten Erfahrungen mit den neuen Vorschriften zur sogenannten „sicheren Lieferkette" der EU-Luftsicherheitsverordnung 300/2008 und zum Thema „Supply Chain Security" im Industriepark Höchst. Die Fragen stellte Dr. Sonja Andres.
CHEManager: Herr Kröger, wie würden Sie den Begriff „Supply Chain Security" definieren und erhält der Begriff in Zusammenhang mit Chemikalien oder Pharmazeutika nochmals eine andere Qualität?
Hans-Jürgen Kröger: Das Thema „Sicherheit in der Lieferkette" ist nicht wirklich neu, aber es hat durch die Anschläge vom 11. September 2001 einen anderen Stellenwert bekommen. Wir verstehen unter Supply Chain Security nicht nur Zoll- und Sicherheitsaspekte sondern vielmehr die Notwendigkeit, das unternehmenseigene Risikomanagement zu erweitern.
Infraserv Logistics hat in Zusammenarbeit mit der Alanus Hochschule eine Initialstudie veranlasst, die branchenspezifische Trends deutlich aufzeigt: Der Chemie- und Pharmabranche geht es in erster Linie um Terrorschutz und Compliance. Für den Chemiesektor spielt hierbei auch die bessere Positionierung im Wettbewerb eine wichtige Rolle. Der Handel hingegen legt den Schwerpunkt primär auf Kriminalitätsprävention.
Darüber hinaus zeigt sich immer wieder, dass sich die Unternehmen vorrangig nur mit der Erfüllung von Kunden- und Behördenvorgaben beschäftigen, anstatt sich auf einen ganzheitlichen Risikomanagementansatz zu fokussieren.
Eine Supply Chain ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Wie können Sie als verantwortlicher Logistikdienstleister Ihren Kunden hier den gleichen Standard aller an der Lieferkette Beteiligter garantieren?
Hans-Jürgen Kröger: Garantien kann es meines Erachtens nicht geben. Wir haben ein eigenes Risikomanagementsystem und überprüfen auch die Risiken bei Zulieferern, bei denen vergleichbare Standards gelten müssen. Doch auch diese Praxis ist noch kein ganzheitlicher Risikomanagementansatz entlang der kompletten Supply Chain, der wirklich gelebt wird.
Es gibt noch immer zwei wesentliche Schwachstellen in der Lieferkette: der unternehmensübergreifende Austausch von Risikoinformationen, der meist nicht oder nur unvollständig stattfindet, und der Unsicherheitsfaktor Mensch.
Im Übrigen hat unsere Studie gezeigt, dass sich 10% der befragten Unternehmen heute noch nicht mit Risikomanagement beschäftigen. Hier ist die Sensibilität für dieses Thema offenbar noch nicht in dem erforderlichen Maß vorhanden.
Die EU-Verordnung 300/2008, die die „sichere Lieferkette" im Bereich Luftfracht regelt, ist nun seit fast einem Jahr in Kraft. Welchen Status besitzt Infraserv Logistics in Zusammenhang mit dieser Verordnung?
Hans-Jürgen Kröger: Bei uns hat im vergangenen Jahr die Vorbereitungsphase für die Funktion des „Reglementierten Beauftragten" begonnen. Wir schulen derzeit intern intensiv die betroffenen Mitarbeiter und werden diese Qualifizierungsmaßnahme bis Mitte des Jahres abschließen.
Haben sich die Neuerungen aus dieser Verordnung, die nach einer Übergangsfrist dann Ende April 2013 endgültig greifen wird, bereits bei Ihnen im Industriepark ausgewirkt?
Hans-Jürgen Kröger: Da Infraserv Logistics ausschließlich als „Reglementierter Beauftragter" fungiert, betreffen uns die in der Verordnung vorgesehenen Übergangsfristen nicht oder nur bedingt. Inwiefern die Unternehmen im Industriepark Höchst die Fristen nutzen oder die Neuerungen direkt übernommen haben, können wir nur bei den Kunden beurteilen, die direkt mit uns in Verbindung stehen. Wir nehmen wahr, dass die Neuerungen der Verordnung überwiegend positiv aufgenommen und umgesetzt werden. Wir sehen uns hier „in time" und auf einem guten Weg.
Bringt die neue Regelung Ihrer Ansicht nach tatsächlich mehr Sicherheit in die Abwicklung und Versendung von Luftfracht?
Hans-Jürgen Kröger: Grundsätzlich ja. Die Notwendigkeit, die Prozesse zu überprüfen und zu modifizieren sowie Mitarbeiter zu qualifizieren, führt sicherlich zu Verbesserungen bei den beteiligten Unternehmen und hat nicht zuletzt auch einen Effekt, den ich als Bewusstseinsbildung oder Sensibilisierung umschreiben würde.
Ob die Regelung aber tatsächlich mehr Sicherheit zur Folge haben wird, hängt jedoch wie immer maßgeblich von der Compliance aller am Prozess Beteiligten ab. Denn auch hier gilt, dass jede Kette nur so stark ist, wie ihr schwächstes Glied. Daher muss ein besonderes Augenmerk auf die schwächsten Glieder der Supply Chain gelegt werden.
Aus unserer Sicht gilt noch immer, dass die zu hohe Komplexität, uneinheitliche Qualitätsstandards und generell eine uneinheitliche Definition des Begriffes „Luftfrachtsicherheit" einer wirklich sicheren Lieferkette im Wege stehen. Letztlich entscheidend für die Frage, ob die Sicherheit verbessert werden kann, sind die Stringenz in der Auslegung und der Aufwand, der zur Einhaltung der Vorgaben tatsächlich betrieben wird.
Wie lassen sich Schwachstellen in der Lieferketten-Sicherheit generell aufspüren? Wie kontrolliert Infraserv Logistics die eigene Supply Chain? Wie sieht dies für die Standortbetriebe aus?
Hans-Jürgen Kröger: Es gibt bei Infraserv Logistics nicht einfach nur „eine" Supply-Chain. Die Herausforderung besteht in der Vielfalt der unterschiedlichen Lieferketten, die jeweils individuell betrachtet und analysiert werden müssen. Hierfür haben wir spezialisierte Fachleute, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen und eng mit den Kunden sowie anderen beteiligten Unternehmen zusammenarbeiten.
Dabei setzen wir auf eine Schwachstellenanalyse, die bei uns kurz GAP-Analyse genannt wird, ausgehend vom englischen Begriff für „Lücke". Dies ist ein probates und praxiserprobtes Mittel zur systematischen und systemischen Betrachtung der Supply Chain. Eine vorgeschaltete Analyse der Prozessbeteiligten hilft uns dabei, Widerstände frühzeitig zu identifizieren und so genannte „Enabler" zu gewinnen, die den Prozess von Anfang an unterstützen.
Jede Transportkette (innerhalb wie außerhalb des Industrieparks) ist quasi ein Unikat. Muss jeder einzelne Prozess für sich auf Schwachstellen analysiert werden? Oder lässt sich eine generelle, übergreifende Prozedur, die alle Fälle abdeckt, anwenden?
Hans-Jürgen Kröger: In der Tat gilt: Jeder Prozess ist einzigartig. Es gibt kein übergreifendes Prozedere, das alle individuellen Ausprägungen logistischer Dienstleistungen abdeckt. Aber es gibt Vergleichbarkeiten und Analogien, die auch in einer effizienteren Gestaltung der Schwachstellenanalyse erfasst werden können. Aus unserer Praxiserfahrung heraus geben wir einer Prozess-FMEA den methodischen Vorzug. Hierbei werden die einzelnen Prozessschritte risikobewertet - das Ergebnis lässt sich dann weitestgehend auf ähnliche Prozessschritte übertragen. Nützlicher Nebeneffekt: Ein besseres Prozessverständnis, risikobasierte Prozess-Performance-Indikatoren und eine bessere Steuerungsmöglichkeit.
Welchen Stellenwert nehmen in diesem Kontext Schulungen - intern wie extern - ein?
Hans-Jürgen Kröger: Schulungen leisten einen wesentlichen Beitrag dazu, einen einheitlichen Wissensstand zu erzielen. Zudem geht es darum, den vom Gesetzgeber geforderten Nachweispflichten zu entsprechen. Doch Schulung ist nicht gleich Schulung. Wir praktizieren mit Erfolg die Methode, Beteiligte zu Betroffenen zu machen. Nicht das reine Fachwissen ist entscheidend, sondern auch die Awareness für das Thema. Denn der einzelne Mitarbeiter beeinflusst mit seiner Einstellung zum Thema Sicherheit die Wirksamkeit eines Konzeptes sehr nachhaltig. Für dieses Konzept der aktiven Einbindung von Mitarbeitern erhalten wir sehr positive Rückmeldungen von unseren Kunden. Das zeigt uns, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind.
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