EU-Biozidrecht: Neue Anforderungen an behandelte Waren
EU-Biozid-Verordnung sorgt für Handlungsbedarf bei Herstellung, Import und Handel mit behandelten Waren
Seit dem 1. September 2013 gilt in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) die neue EU-Biozid-Verordnung. Darin werden erstmals Waren besonders reguliert, die im Vorfeld mit Bioziden behandelt wurden oder hiermit in Berührung gekommen sind (sog. behandelte Waren). Infolgedessen sind eine Vielzahl von Waren und Industriebranchen von biozidrechtlichen Vorschriften betroffen. Zur Erfüllung der rechtlichen Anforderungen werden die betroffenen Unternehmen u. a. ihre bestehenden Lieferantenstrukturen und -verträge überprüfen und ggf. anpassen müssen.
In der Praxis werden üblicherweise eine Vielzahl von Produkten und Waren bei ihrer Herstellung mit Bioziden behandelt. Ziel ist es, die jeweiligen Waren vor einer mikrobiellen Schädigung zu schützen und haltbarer zu machen. Die behandelte Produktpalette ist sehr groß. Sie reicht z. B. von Spielzeug, Textilien jeder Art, Baustoffen, Verpackungsmaterialien bis hin zu Elektrogeräten. Aus Sicht der Unternehmen ist wichtig: Bei der Vermarktung derartiger Waren mussten bislang keine besonderen Rechtsvorschriften beachtet werden. Behandelte Produkte mussten - wie sonstige unbehandelte Waren auch - nach der Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG sowie den ggf. gesondert bestehenden produktspezifischen Richtlinien lediglich sicher sein. Insbesondere war keine behördliche Zulassung oder Genehmigung vor Vermarktung erforderlich. Die zuständigen Behörden konnten im Markt befindliche Ware allenfalls im Nachhinein prüfen und ggf. beanstanden, was allerdings nur selten geschah.
Dies ist seit dem 1. September 2013 anders. Die neue EU-Biozid-Verordnung (EG) Nr. 528/2012 stellt für die Vermarkung von Waren, die mit Biozidprodukten behandelt wurden oder mit diesen in Berührung gekommen sind, erstmals besondere Anforderungen auf. Behandelte Waren unterliegen seitdem weitreichenden Verkehrseinschränkungen und müssen speziell gekennzeichnet werden. Darüber hinaus stehen den Verbrauchern Auskunftsansprüche gegenüber Unternehmen zu, die derartige Produkte in der EU vermarkten. Die EU-Biozid-Verordnung stellt damit einen Wendepunkt dar. Anders als bei der bisherigen EU-Biozid-Richtlinie 98/8/EG müssen nunmehr auch Unternehmen, die gar keine Biozidprodukte, sondern bloß hiermit behandelte Waren vermarkten, sich mit dem Biozidrecht vertraut machen. Angesichts der Vielzahl und Heterogenität der betroffenen Industrien und Branchen stellt dies die Unternehmen vor nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Die Vermeidung von Rechtsverstößen und Beanstandungen durch Dritte werden geeignete Compliance-Prozesse und Lieferantenverträge notwendig machen.
Neue Verkehrseinschränkungen
Nach Art. 58 Abs. 2 der Verordnung darf eine behandelte Ware nur noch in Verkehr gebracht werden, wenn alle in den Biozidprodukten enthaltenen Wirkstoffe, mit denen sie behandelt wurde, in der EU für den entsprechenden Produkttyp und Verwendungszweck genehmigt wurden. Das bedeutet: Eine behandelte Ware, die im Vorfeld mit einem Biozidprodukt behandelt wurde, das einen in der EU nicht oder nicht für diesen Zweck genehmigten Wirkstoff beinhaltet, ist nicht mehr verkehrsfähig. Der Handel hiermit ist illegal.
Dieses Verkehrsverbot wird durch Art. 58 Abs. 1 der Verordnung weiter verschärft. Denn auch, wenn das jeweilige Produkt selbst gar nicht behandelt wurde, kann es gleichwohl an der Verkehrsfähigkeit fehlen. Danach gilt das Verbot nämlich auch für solche Waren, deren „Behandlung" allein in der Begasung oder Desinfektion von Anlagen oder Behältern bestand, die zur Beförderung oder Lagerung der jeweiligen Ware verwendet wurden. Dies ist sehr weitgehend. Schließlich kommt es in der Praxis nicht selten vor, dass Waren in Containern oder Behältnissen transportiert werden, deren Oberflächen mit Bioziden behandelt wurden. Zwar soll das Verbot nicht greifen, sofern von der Behandlung der jeweiligen Anlage oder des jeweiligen Behälters „keine Rückstände zu erwarten sind". Für die Unternehmen wird dies dadurch aber nicht unbedingt einfacher. Es bleibt zu hoffen, dass die EU-Kommission durch entsprechende Durchführungsrechtsakte gemäß Art. 58 Abs. 7 der Verordnung hier zusätzlich Klarheit schafft.
Welche Konsequenzen drohen bei Rechtsverstößen durch die Unternehmen? Zumindest in Deutschland gibt es noch keine Bußgeld- oder Straftatbestände, die einen Verstoß sanktionieren würden. Die Einführung derartiger Vorschriften ist immerhin bereits angekündigt worden. Ohnehin liegen die Risiken auf einer anderen Ebene. So sehen sich entsprechende Unternehmen bei Verstößen Klagen von Wettbewerbern sowie Verbraucherverbänden ausgesetzt. Gerade bei „sensiblen" Konsumgütern, wie z.B. Baby- und Kinderprodukte, bei denen mit einer entsprechenden Berichterstattung in den Publikumsmedien zu rechnen ist, können erhebliche Reputationsschäden die Folge sein. Schließlich drohen Gewährleistungs- und Haftungsansprüche der Kunden und Abnehmer.
Betroffene Unternehmen tun daher gut daran, ihre Lieferantenstrukturen sowie -verträge daraufhin zu überprüfen, ob sie der neuen Regulierung entsprechen. Ggf. sind die bestehenden Verträge und Strukturen zu überarbeiten. Insbesondere ist zu gewährleisten, dass durch geeignete Maßnahmen und Prozesse die Herstellungs-, Liefer- und Lagerungsketten diesbezüglich kontrolliert werden.
Kennzeichnung und Auskunft
Sofern eine Ware ausschließlich mit Biozidprodukten behandelt wurde, deren Wirkstoffe zu diesem Verwendungszweck in der EU genehmigt wurden, darf die behandelte Ware in der EU frei verkauft werden. Eine Verkehrseinschränkung gilt dann nicht. Allerdings sind bei der Vermarktung des behandelten Produktes weiterhin besondere Anforderungen zu beachten. So sieht Art. 58 Abs. 3 der Verordnung vor, dass das Etikett der behandelten Ware eine Reihe von zusätzlichen Informationen enthält, die die Biozidbehandlung betreffen.
Diese Informationspflichten greifen keineswegs immer. Sie gelten nur dann, wenn das Produkt mit bioziden Eigenschaften beworben wird oder aber wenn die Genehmigungsbedingungen der eingesetzten Wirkstoffe dies erfordern. Liegt einer dieser Fälle vor, muss u.a. angeben werden, dass die Ware behandelt wurde, mit welchen Wirkstoffen dies geschehen ist und welche Vorsichtsmaßnahmen ggf. zu beachten sind. Dies muss „deutlich sichtbar, gut lesbar und hinreichend dauerhaft" sein. Es wäre wünschenswert, wenn die EU-Kommission durch entsprechende Durchführungsrechtsakte den Umfang der Kennzeichnungspflichten näher klarstellen würde. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass nicht jede Vertriebs- und Handelsstufe diesen Pflichten unterliegt. Verantwortlich für die Kennzeichnung ist allein derjenige, der die behandelte Ware erstmalig in der EU in Verkehr bringt.
Neben diese Vorschriften treten weitreichende Auskunfts- und Informationsansprüche der Verbraucher. Diese gelten unabhängig davon, ob die behandelte Ware auf dem Etikett besonders zu kennzeichnen ist oder nicht. So regelt Art. 58 Abs. 5 der Verordnung, dass binnen 45 Tagen die Lieferanten einer behandelten Ware den Verbrauchern kostenlos Informationen über die biozide Behandlung zur Verfügung stellen müssen. Wer als Lieferant anzusehen ist, wird zwar nicht näher definiert. Es liegt jedoch nah, darunter - wie im Rahmen der REACh-Verordnung - alle Akteure innerhalb der Lieferkette zu verstehen.
Weniger klar ist demgegenüber, welche Informationen den Verbrauchern im Einzelnen zur Verfügung zu stellen sind. Die Verordnung sieht leider nicht vor, dass die EU-Kommission dies in einem Durchführungsrechtsakt näher konkretisiert. Es ist vorherzusehen, dass über den Umfang dieser Verpflichtung in Zukunft gestritten werden wird. Unternehmen sind schon jetzt gut beraten, durch weitgehende vertragliche Regelungen mit ihren Lieferanten dafür zu sorgen, dass sie Anfragen von Verbrauchern in jedem Fall hinreichend beantworten können.
Frühzeitiges Handeln ist geboten
Die beschriebenen Einschränkungen und Pflichten bei der Vermarktung behandelter Waren gelten seit dem 1. September 2013. Seitdem dürfen keine neuen Produkte mehr in der EU in Verkehr gebracht werden, die mit Biozidprodukten ohne genehmigten Wirkstoff behandelt wurden. Enge Ausnahmen gelten bislang lediglich für Altware. Hierbei handelt es sich um behandelte Ware, die sich zumindest ihrem Typ nach bereits am 1. September 2013 in Verkehr befand und bei der eine Genehmigung des Wirkstoffs bis spätestens zum 1. September 2016 beantragt wird.
Dieses Übergangsregime ist sehr restriktiv und führt zu großen Problemen bei der Einführung neuer Produkte. Es wirft außerdem die Frage auf, nach welchen inhaltlichen Kriterien alte von neuen Produkttypen zu unterscheiden sind. Für die Unternehmen sind die Folgen erheblich. Auch die EU-Kommission sieht daher Handlungsbedarf. Sie hat bereits im Mai letzten Jahres einen Vorschlag unterbreitet, um dieses Problem zu entschärfen. Hiernach soll für alle behandelten Waren - und damit auch für Neuware - eine pauschale Übergangsfrist bis zum 1. März 2017 gelten.
Der Vorschlag befindet sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren. Mit welchem Inhalt und zu welchem Zeitpunkt er in Kraft treten wird, kann noch nicht abgesehen werden. An der geltenden Rechtslage ändert dies daher (noch) nichts. Die Unternehmen werden sich in der Zwischenzeit daran halten müssen. Ungeachtet dessen ist zu beachten, dass für die Kennzeichnungs- und Auskunftspflichten ohnehin keine Übergangsvorschriften existieren oder diskutiert werden. Diese Pflichten gelten seit dem 1. September 2013 uneingeschränkt für alle behandelten Waren. Zur Vermeidung nachteiliger Folgen ist den Unternehmen daher zu empfehlen, die neue Regulierung zeitnah umzusetzen.
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