DART: Ein neues Kapitel aus der Innovationsgeschichte
08.07.2011 -
Gekochtes Essen machte aus Affen Menschen, das ist die aufsehenerregende Erkenntnis des Harvard-Forschers Richard Wrangham. Erst als unsere Vorfahren lernten, mit Hilfe des Feuers gegarte Nahrung herzustellen, konnte der entscheidende Entwicklungssprung der Menschheit einsetzen.
Die wichtigste Innovation in der Menschheitsgeschichte war zweifelsfrei die Nutzung des Feuers. Feuer lieferte drei Vorteile zugleich: Schutz, Wärme und Nahrung. Für die frühen Menschen waren die Abwehr von Raubtieren und die Notwendigkeit, an Nahrung zu gelangen, stets überlebenswichtig. Die Situation der Nahrungsversorgung verbesserte sich grundlegend, als das Erhitzen stärkehaltiger Knollen neben dem Ausschalten von Parasiten und Giftstoffen eine Aktivierung bisher unzugänglicher Nährstoffe ermöglichte. Zusätzliche Nahrungsquellen waren nun verfügbar und der Energiebedarf des Gehirns konnte dauerhaft gedeckt werden.
Innovationen sind Wegbereiter der menschlichen Entwicklung
Durch die Innovation des Kochens - so wird vermutet - stand dem Gehirn nun durch die kleiner werdenden Backenzähne mehr Platz und durch den kürzer werdenden Darm mehr Energie zum Wachstum zur Verfügung. Durch die Nutzung des Feuers wurde der Übergang vom „homo faber" (dem Handwerker) zum „homo sapiens" (dem Vernunftbegabten) eingeleitet. Muskelkraft und körperliche Ausdauer verloren ihre Monopolstellung im täglichen Überlebenskampf. Die intellektuellen und kreativen Fähigkeiten des Gehirns konnten fehlende Muskelkraft ausgleichen, ersetzen - oder sogar übertreffen.
Das gewachsene abstrakte und kreative Denkvermögen machte es möglich, das Wissen über das Feuer und die damit verbundenen Technologien zu erhalten und an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben.
In enger Verbindung mit Feuerstellen entstanden vor etwa 500.000 Jahren zeltartige Hütten und erste stationäre Arbeitsplätze. Sie bezeugen die Fähigkeit des frühen Menschen, sich eine eigene künstliche Mikroumwelt zu schaffen, die ihn nun weitgehend von den natürlichen Verhältnissen unabhängig machte.
„Homo sapiens" hatte sich durch diese frühen Innovationen nicht nur selbst erschaffen, sondern er hat tief in seinem Innersten die Erkenntnis verankert, dass Innovationen das Überleben und das Fortkommen seiner Rasse sichern. Deshalb sind Innovationen für uns Menschen meist positiv besetzt, wecken unser Interesse und genießen unser Vertrauen.
Wie wird aus einer Idee eine Innovation?
Dank unserer Vorgeschichte sind viele Menschen kreative Denker. Besonders in den Ingenieursdisziplinen besitzt die Kreativität einen überaus hohen Stellenwert, da letztlich nur sie den Ausgangspunkt für Innovationen schaffen kann. Doch selbst eine sehr gute Idee ist für sich genommen noch keine Innovation. Innovationen entstehen erst durch eine praxistaugliche Umsetzung dieser Idee.
Gelungene Innovationen der Automatisierungstechnik sind an der Akzeptanz der Anwender zu erkennen. Indikator des Erfolges ist, dass die jeweiligen Märkte die Innovation annehmen und einbinden. Ein innovativ ausgerichtetes Unternehmen muss folglich neben Ideen auch das Durchhaltevermögen besitzen, um diese bis zur Marktreife führen zu können. Kein Wunder, dass die meisten Innovationen auf das Lösen konkreter und somit greifbarer Anforderungen des jeweiligen Marktsegmentes zurückzuführen sind. Erst wenn Problemlöser (Hersteller) und Anwender (Kunden) auf gleicher Augenhöhe gemeinsame Lösungen finden und diese sich in der Praxis bewähren, werden aus Ideen Innovationen. Bildlich gesprochen können die unterschiedlichen Innovationsstränge als die Muskelfasern der Wirtschaft betrachtet werden, welche letztlich den Antrieb des Fortschritts garantieren.
Diese Erkenntnis gilt für alle Branchen, natürlich auch für die chemische Industrie und die Automatisierungstechnik.
Wie werden aus Innovationen Erfolge?
Jede Innovation hat ihre eigene Vorgeschichte. Begleitumstände können Innovationen verhindern, um Jahre verschieben oder zu überraschenden Lösungen führen. Eine Innovation kann Wegbereiter („Enabler") für weitere, noch ausstehende Innovationen sein, die ihrerseits wieder auf den oder die Wegbereiter positiv zurückkoppeln können. Innovationen sind also nie isolierte Ereignisse, sondern immer lebende Prozesse, bei denen sich Produktentwicklung, Marktplatzierung und Marktanforderungen durch ihre Wechselwirkungen so lange in einem dynamischen Zustand halten, wie die technologische Anwendung selbst besteht.
Je länger dieser dynamische Zustand anhält, umso relevanter und kräftiger wird der entstehende Innovationsstrang, da er sich aus der Abfolge der Einzelinnovation aufbaut, und mit seinem Verlauf den jeweiligen Stand der Technik darstellt.
So erstreckt sich der Innovationsstrang der Dampfmaschine zwar über 200 Jahre, aber er besteht sicherlich aus Tausenden von kleinen und großen Einzelinnovationen. Der Markt für Dampfmaschinen existiert nicht mehr. Er wurde durch andere Innovationsstränge der Energietechnik (Elektrotechnik, Verbrennungsmotoren, Turbinen etc.) abgelöst.
Die Suche nach dem Stein der Weisen
Der Innovationsstrang der heutigen chemischen Industrie hat eine umfangreiche Historie. Frühe Entdecker und Erfinder waren die Alchemisten. Allerdings führten ihre Entdeckungen nur in den seltensten Fällen zu Innovationen. Sie mussten scheitern, bei ihrer Suche nach dem Stein der Weisen: Mit seiner Hilfe sollten leicht verfügbare Ausgangsstoffe, vorzugsweise unedle Metalle, in Gold verwandelt werdenh. Die Herstellung von Gold scheiterte - der schnelle, unmittelbare Erfolg blieb aus. Er musste ausbleiben, da die Auftraggeber andere Ergebnisse als Gold nicht akzeptierten.
Schade um den goldenen Tunnelblick, schade um die verpassten Innovationen und Chancen, denn viele Alchimisten fanden anstelle von Gold andere Stoffe, entwickelten Geräte, Vorrichtungen und Arbeitsmethoden. Destillationsapparaturen wurden so verfeinert, dass wir auch heute noch nach dem Prinzip der Alchemisten destillieren. Das Wissen um alle wichtigen Metalle, deren Verbindungen und um Verhüttungsmethoden entstand. Bodenschätze gewannen an Bedeutung. Erzlager erforderten den Untertagebau.
Später wurden Entwässerungspumpen für den Abbau in den Stollen und Wassermühlen für die Weiterverarbeitung der Erze benötigt. Noch später Kohlebergwerke, um den Energiebedarf der Schmelzöfen und Dampfmaschinen zu befriedigen. Schließlich folgte die Elektrifizierung der Bergwerke. Häufige Explosionen in den Kohlebergwerken führten nahezu zum Zusammenbruch der damaligen Energieversorgung. Erst nachdem funktionierende Maßnahmen zum Explosionsschutz zur Verfügung standen, war weiterer technischer Fortschritt überhaupt möglich. Bereits damals begann die Innovationslinie der Eigensicherheit.
Von der Alchemie zur Technischen Chemie
Das siebzehnte Jahrhundert leitete den Übergang von der Alchemie zur technischen Chemie ein. Mit der Entwicklung der Anilinfarben etablierte sich die chemische Industrie um 1860 in Deutschland. Heute - im weltweiten Jahr der Chemie - kann man sie zu Recht als einen Motor für den Fortschritt bezeichnen.
Die unterschiedlichen Innovationslinien der Chemie entwickelten sich rasch zu Schlüsselelementen für die Innovationen anderer Industrien. Eine besondere Wechselwirkung besteht zur Elektroindustrie. Beide Innovationsstränge sind so eng miteinander verflochten, dass keiner der beiden ohne den anderen seinen heutigen Stellenwert erreicht hätte. Ebenso wie die Chemie ist die Elektrotechnik ein weiterer wichtiger Enabler anderer Innovationen.
Chemie und Elektrotechnik: Wegbereiter neuer Technologien
Die Wertschöpfungsketten der chemischen Industrie benötigen sehr hohe Energiemengen. Die notwendige Antriebsenergie zum Verarbeiten der Stoffe (Zerkleinern, Mischen, Rühren, Pumpen, Verdichten, Transportieren, etc.) konnte vor der Elektrifizierung nur die Dampfmaschine zuverlässig und ganzjährig liefern. Durch die Dynamomaschine und die elektrischen Antriebsmaschinen entstand eine eigene Innovationslinie, die eine vollständige Umstellung der Antriebe auf elektrische Energie einleitete.
Prozesstemperaturen und Prozessdrücke wurden früher direkt in den Anlagen, also „vor Ort" durch das Anlagenpersonal abgelesen. Das Personal musste deshalb große Wege innerhalb der Anlage zurücklegen und war ständig den vorhandenen Gefahren der Anlagen ausgesetzt. Bis 1950 beschränkte sich die Mess- und Regeltechnik auf mechanische und pneumatische Sensoren und Aktoren. Erst mit dem Einsatz von Transistoren begann ein neues Kapitel der Eigensicherheit. Nun war es möglich, Produktionsbereiche mit hohen Gefahrenpotentialen räumlich vom Anlagenpersonal zu trennen.
Die Leitwarten entstanden und wurden als „sichere Bereiche" fester Bestandteil der Anlagenkonzepte. Bereits hier ist die typische Aufteilung in „eigensichere elektrische Betriebsmittel" (Montage im Ex-Bereich) und in „zugehörige elektrische Betriebsmittel" (Montage im sicheren, nicht-explosionsgefährdeten Bereich) zu erkennen. Im Ex-Bereich wird das Signal erfasst (Sensor), im sicheren Bereich wird die Energiebegrenzung der Sensorspeisung vorgenommen und das Signal ausgewertet (zunächst durch Magnetverstärker, später durch transistorisierte Trennübertrager und Verstärker).
NAMUR: Schnittstellen der Automatisierungstechnik
Die Erfindung des Induktiven Näherungsschalters löste ab 1958 nicht nur Kontaktprobleme in explosionsgefährdeten Bereichen, sondern legte auch den Grundstein für eine der ersten Standardisierungen in der Prozessautomation.
Die 1949 entstandene NAMUR (Normenarbeitsgemeinschaft für Mess- und Regeltechnik in der chemischen Industrie) verfolgte das Ziel, die elektrischen Pegel zwischen dem neuen Sensor und den Auswertegeräten festzuschreiben, um die Kompatibilität weiterer Entwicklungen und den Nutzen für die chemische Industrie sicherzustellen. Mit dem Arbeitsblatt "NA01" zog der sogenannte "NAMUR-Sensor" 1958 in die Prozesstechnik ein und wurde 1990 über die DIN 19234 und im Jahr 2000 als IEC/EN 60947-5-6 in seinen Parametern beschrieben.
Diese Schnittstelle „NA01" war richtungweisend für einen weiteren wichtigen Signalpegel der Prozessautomation - das (0 bzw.) 4 - 20 mA Analogsignal. Es eignete sich optimal für analoge Anwendungen in der Prozesstechnik. Die NAMUR gab ihre Empfehlung (jetzt NE43) am 6.10.1966 bekannt, Nordamerika folgte durch den ANSI/ISA 50.1 Standard 1972.
Der Induktive Näherungsschalter
Im Jahr 1958 entwickelte die Firma Pepperl + Fuchs in Mannheim den ersten induktiven Näherungsschalter. Was zunächst als kundenspezifische Problemlösung für einen eigensicheren Stromkreis in einer Chemieanwendung gedacht war, hat sich nachfolgend zum weltweit anerkannten Industriestandard für berührungsloses Schalten entwickelt.
Damit ist der Näherungsschalter eine der ältesten und erfolgreichsten elektronischen Komponenten der Automatisierung. Weil er über 50 Jahre mit den technologischen Veränderungen dynamisch Schritt halten konnte, hat er sich immer wieder neu erfunden. Er ist ein robustes Bauteil, das in der aggressiven Atmosphäre eines Chemiewerks auch nach vielen tausend Schaltspielen und kleinsten Signalströmen noch zuverlässig seinen Dienst leistet.
In den ersten Jahren blieb die Anwendung des induktiven Näherungsschalters auf die chemische Industrie beschränkt. Hier waren die Kontaktprobleme mechanischer Befehlsgeber bei eigensicheren Anwendungen vordringlich zu lösen. Doch schon zu Beginn der 60er Jahre lernte man die nahezu unbegrenzte Lebensdauer und Zuverlässigkeit dieser Innovation auch in den restlichen Automatisierungsanwendungen zu schätzen.
Der Transistor: Von der Erfindung zur Innovation
Bereits 1874 beschreibt Ferdinand Braun den Halbleitereffekt zwischen einer Metallspitze und einem Kristall aus Bleisulfid. 50 Jahre später, im Jahr 1925 erhielt Julius Edgar Lilienfeld ein Patent über eine Drei-Elektroden Verstärkervorrichtung für elektrische Ströme, aufgebaut auf der Basis von Kupfersulfid. Seine Erfindung entspricht in verblüffender Weise den späteren Transistoren, jedoch ist nicht bekannt, ob er sein Patent jemals in die Praxis umgesetzt hatte.
1947 erreichten John Bardeen & Walter Brattain eine 100-fache Stromverstärkung, indem sie hochreines Germanium mit Goldfolie kontaktierten. Aus dem Labormuster wurde rasch ein industrielles Bauteil. 1952 bestellte die U.S. Army bereits 5.000 Transistoren pro Woche zu einem damaligen Preis von 6 USD pro Stück. Der praktische Einsatz und die greifbaren Vorteile für die Anwender machten aus dieser Idee eine Innovation. Der Transistor fand bald auch seinen Weg nach Deutschland, wo Pepperl + Fuchs wohl eines der ersten Unternehmen war, das Transistoren einsetzte.
DART: Leistungsgrenze der Eigensicherheit wird erhöht
War seit etwa 100 Jahren der maximale Energieumsatz durch das statische Prinzip der Eigensicherheit in den Ex-Zonen auf ca. 2 - 3 Watt begrenzt, so kann DART (Dynamic Arc Recognition and Termination) über die Funkenerkennung und die dynamische Abschaltung einen sicheren Energieumsatz von etwa 50 Watt ermöglichen.
DART erkennt einen ungewollten Funken und reagiert innerhalb von rund 1,4 µs um den Stromkreis abzuschalten. Dadurch können Funken selbst bei hohen Stromstärken niemals zündfähig werden. Besonders der Kommunikationstechnik in Ex-Bereichen wird im Vergleich zur traditionell vorgenommenen Energiebegrenzung mit der 20-fachen Energiemenge ein deutlicher Innovationsschub ermöglicht. In Zusammenarbeit mit der Physikalisch Technischen Bundesanstalt arbeitet Pepperl + Fuchs an der DART-Technologie.
Die Technologie nutzt den bei Funkenbildung typischen Verlauf von Spannung und Strom und unterbricht bei der Gefahr einer Funkenbildung innerhalb sehr kurzer Zeit den Stromkreis. Neue und existierende Anwendungen der Prozessautomation können mit DART bei hoher Leistung und bei Kabellängen bis zu 1.000m eigensicher betrieben werden.
DART kann die Grenzen der Eigensicherheit neu definieren und den dynamischen Gegenpol zu der traditionellen, statischen Energiebegrenzung der Eigensicherheit darstellen. Dies ist möglicherweise der Anfang einer neuen Innovationslinie.