Standorte & Services

Am sächsischen Standort Nünchritz entwickelte sich ein Chemiewerk von Weltrang

15.07.2015 -

Die Stoffe, die im sächsischen Nünchritz produziert werden, lesen sich als wäre man im kalifornischen Silicon Valley gelandet. Nur dass es sich hier nicht um Computertechnik handelt, sondern um chemische Stoffe auf Silicium-Basis wie Silane und Siloxan, Siliconöle, Siliconemulsionen, Siliconkautschuk, hochdisperse, pyrogene Kieselsäuren und neuerdings auch hochreines polykristallines Silicium zur Nutzung von Sonnenenergie. Des Weiteren betreibt der Standort eine Kartuschen-Abfüllanlage für Silicon Kleb- und Dichtmassen. Im Oktober 1998 wurde der Traditionsstandort vom Wacker-Chemiekonzern übernommen und avancierte schon bald zu einer wichtigen Stütze des Geschäftsbereichs Silicones.

Investitionen und Werkausbau

Der Chemiekonzern hat seit der Übernahme über 1,5 Mrd. EUR in den Ausbau und Modernisierung des Standortes investiert. Meilensteine waren 2002 die Errichtung der Alkoxy-, H-Siloxan- und Methylchloranlagen, 2003 die Inbetriebnahme einer Anlage zur Herstellung von pyrogener Kieselsäure sowie 2005/2006 die Fertigstellung der zweiten Ausbaustufe der Siloxananlagen, die inzwischen auf eine Kapazität von 130.000 t/a erweitert wurden. 2009 begann der Bau eines neuen Anlagenkomplexes zur Herstellung von hochreinem polykristallinem Silicium für die Solarindustrie. Die neue Anlage, die erste ihrer Art außerhalb des Werks Burghausen, ging 2011 in Betrieb mit einer Jahreskapazität von 15.000 t Polysilicium. Heute zählt Nünchritz zu den weltweit modernsten Produktionsstandorten für Silicone und Polysilicium.

Rohstoffe und Produktion

Elementares Silicium und Methanol sind die wichtigsten Rohstoffe für den sächsischen Standort. Zur Herstellung von Siliconen wird gemahlenes Silicium mit Methylchlorid durch Direktsynthese (Müller-Rochow-Synthese) zu Methylchlorsilanen umgesetzt. Das gewonnene Rohsilan wird in der Destillation gereinigt, die Methylchlorsilane nach ihrem Siedepunkt getrennt. In der letzten Prozessstufe, der Hydrolyse, wird Dimethyldichlorsilan mit Wasser zu Siloxan – dem wichtigsten Vorprodukt für die Siliconherstellung – umgesetzt. Alle Produktionsanlagen am Standort bilden ein hochintegriertes Verbundsystem. Auf diese Weise können Nebenprodukte äußerst effizient recycelt und Rohstoffe nahezu verlustfrei verwertet werden.

  • Silane, die als Nebenprodukte entstehen, werden entweder zu Verkaufsprodukten, z.B. H-Siloxan für Bautenschutzanwendungen, verarbeitet oder verbleiben im Produktionsverbund, wo sie in anderen Prozessen eingesetzt werden.
  • Chlorwasserstoff, der bei der Hydrolyse in diversen Produktionsanlagen entsteht, wird unter anderem mit Methanol zu Methylchlorid umgesetzt. Methylchlorid wird im Kreislauf zurück zur Methylchlorsilan-Synthese gefahren, wo es zur Produktion eingesetzt wird.
  • Tetrachlorsilan, das bei der Herstellung von Polysilicium entsteht, wird unter anderem zur Herstellung von pyrogener Kieselsäure verwertet oder durch Konversion wieder zu Trichlorsilan umgesetzt. Der dabei entstehende Chlorwasserstoff wird bei der Herstellung von Chlorsilanen wiederverwertet. Tetrachlorsilan dient auch der Herstellung von Ethylsilikaten. Ethylsilikate werden unter anderem in der Chipherstellung, beispielsweise in der Gasphasenabscheidung, eingesetzt.

Umweltschutz und Nachhaltigkeit

Das Chemiewerk Nünchritz liegt an der Elbe in ländlicher Umgebung; in unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich die Gemeinde Nünchritz. Themen wie Sicherheit, Umweltschutz und Nachhaltigkeit haben deshalb einen hohen Stellenwert am Standort. Der Mutterkonzern hat seit der Übernahme des Werks in großem Umfang in Sicherheit und Umweltschutz investiert. Modernste Sicherheitstechnik für bestehende und neue Anlagen sowie eine erfahrene, erstklassig ausgestattete Werkfeuerwehr gewährleisten ein hohes Maß an Sicherheit und minimieren mögliche Risiken für Mitarbeiter, Produktion, nachbarschaftliches Umfeld sowie die Umwelt. Die Zahl der Arbeitsunfälle im Werk liegt seit Jahren deutlich unter dem Branchendurchschnitt. Das Qualitäts- und Umweltmanagementsystem des Standortes ist seit September 2000 nach DIN EN ISO 9001 und DIN EN ISO 14001 zertifiziert.

Seit der Übernahme wurden seine spezifischen Abwasser-, Abluft- und Abfallmengen deutlich reduziert. 2014 wurde gemessen an der Gesamtproduktion, 88 % weniger Abwasser produziert als im Jahr 1999. Ähnliche Erfolge konnte der Standort auch bei den Abfallmengen, den Luftemissionen und dem Kohlendioxidausstoß erzielen. Auch hier gingen die spezifischen Emissionen um über 90 % zurück. Dass der Standort mit seinen Ressourcen äußerst effizient umgeht, zeigt auch folgendes Beispiel: Durch diverse Prozessverbesserungen und Wärmeverbundmaßnahmen ist es gelungen, den spezifischen Energiebedarf deutlich zu senken. In der Siliconproduktion wurde bspw. der spezifische Strombedarf seit 1999 um über 60 %, der spezifische Dampfverbrauch über 80 % reduziert. 2014 musste nur 41 % des benötigten Wärmebedarfs im eigenen Kraftwerk produziert werden. Der Rest, rund 60 % des Dampfs, wird durch intelligente Rückgewinnung der Abwärme bereitgestellt.

Mitarbeiter und Ausbildung

Als der Chemieriese 1998 den Standort übernahm, waren hier 759 Mitarbeiter beschäftigt. Heute hat sich diese Zahl verdoppelt. Mit rund 1.500 Mitarbeitern zählt der Chemiestandort inzwischen zu den größten industriellen Arbeitgebern in der Region. Den größten Mitarbeiterzuwachs verzeichnete das Werk zwischen 2009 und 2011. Mit dem Bau einer Produktionsanlage zur Herstellung von Polysilicium wurden innerhalb von nur zwei Jahren mehr als 500 neue Stellen geschaffen. Dank eines guten Angebots von Fachkräften auf dem lokalen Arbeitsmarkt gelang es, alle Stellen mit qualifizierten Mitarbeitern zu besetzen. Der Chemieproduzent setzt sich auch aktiv für die Ausbildung von Berufsanfängern ein. Derzeit absolvieren 80 junge Menschen hier ihre Ausbildung. Der Standort bleibt damit jung und scheint gute Aussichten für die Zukunft zu haben.

Gerd Kunkel, geboren 1956, begann nach dem Studium der Verfahrenstechnik seinen beruflichen Werdegang als Betriebsingenieur bei den Chemischen Werken Lowi, einem mittelständischen Chemieunternehmen. Ab 1986 arbeitete er als Projektingenieur in der Technischen Planung bei Wacker am Standort Burghausen. Nach Stationen in der Konzernentwicklung und als Technischer Leiter des Werkes Köln, übernahm er 1999 die Leitung des Standortes Nünchritz. Unter seiner Führung entwickelte sich der Standort innerhalb weniger Jahre zu einem Chemiewerk von Weltrang.

Nünchritz ist ein Chemiestandort mit langer Tradition. Im Jahr 1900 vom Chemiker Friedrich von Heyden (1838–1926) gegründet, produzierte das Werk zunächst anorganische Massenprodukte wie z.B. Schwefelsäure und Chlor. Anfang der 1940er Jahre führte die Müller-Rochow-Synthese zu einem stürmischen Aufschwung der Siliconchemie und beeinflusste auch die Entwicklung des Chemiewerkes maßgeblich. Der Chemiker Richard Müller (1903−1999), der zeitgleich mit dem US-amerikanischen Chemiker Eugene G. Rochow die Direktsynthese von Methylchlorsilanen entdeckt hatte, prägte die Siliconproduktion in Nünchritz, die 1954 begann.

 

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