Chemiehandelsbranche: Herausforderungen erkennen und Chancen nutzen
Carl Hugo Erbslöh, Pael Kratochvil, François Minec und Christian Westphal im Interview
Der diesjährige FECC-Kongress findet vom 6. Bis zum 8. Juni in Wien statt. Die Veranstaltung steht in diesem Jahr unter dem Motto: „Turning Challenge into Opportunity". CHEManager befragte die Entscheider teilnehmender Unternehmen zu den Entwicklungen der Chemiehandelsbranche und zu den Herausforderungen und Möglichkeiten, die sie in ihrem Geschäft sehen. An der Umfrage teilgenommen haben Carl Hugo Erbslöh, Geschäftsführer von C. H. Erbslöh , Pavel Kratochvil, Executive Vice President & Board Member von Barentz, José António Magalhães, Vorstandsmitglied von Quimitécnica, François Minec, Geschäftsführer von Velox, und Christian Westphal, Vorsitzender der Geschäftsführung und Gesellschafter der Ter Group. Die Fragen stellte Brandi Schuster.
CHEManager: Was waren die wichtigsten Entwicklungen bzw. Veränderungen für den Chemikalienhandel seit der Wirtschaftskrise? Was haben Sie gelernt und in Ihrem Unternehmen umgesetzt?
François Minec: Die Wirtschaftskrise hat nicht alle Firmen in gleicher Weise getroffen. Besonders betroffen waren die Bau- und Autoindustrie. Branchen wie Pharma, Medizin, Kosmetik und Nahrungsmittel waren kaum betroffen. Während der Krise verstärkten die meisten Firmen die Kontrolle von Kosten und Lagerbeständen, um den Einsatz von Barmitteln zu begrenzen. Die meisten Unternehmen entschlossen sich jedoch in ihr Kerngeschäft und vor allem in die Suche und den Erhalt hoch qualifizierter Mitarbeiter zu investieren. Dank dieser Tatsache ist unserer Ansicht nach der Aufschwung für den größten Teil des Chemikalienhandels besonders vorteilhaft.
Carl Hugo Erbslöh: Was wir durch die Wirtschaftskrise lernen konnten ist Folgendes: Wenn eine Kleinigkeit wie eine Bank in Amerika Pleite geht, verfällt die Welt in Panik und stellt die Produktionen ein. Dieses Phänomen wird uns auch in Zukunft erhalten bleiben. Auf alle Fälle müssen wir zukünftig so aufgestellt sein, dass das Eigenkapital ausreicht, auch wenn eine solche Krise länger dauert.
Pavel Kratochvil: Die Distributionsbranche der chemischen Industrie verändert sich einerseits durch interne Entwicklungen der Chemieindustrie wie durch das Verbraucherverhalten. Das geänderte Verbraucherverhalten entsteht durch Zukunftsunsicherheit und durch negative Konjukturerwartungen. Der daraus resultierende Nachfragerückgang führte in vielen Fällen zur Verlangsamung verschiedener Entwicklungsprogramme, zu Zukunftsängsten, dem Anstieg der Arbeitslosigkeit, sowie zur Verringerung der Lagerbestände und anderen mit Besorgnis und Ängsten assoziierten Verhaltensweisen. Solche Besorgnisse beruhen oft auf Tatsachen, aber auch auf das Verhalten anderer Wirtschaftsteilnehmer. Daher folgte dem allgemeinen Nachfragerückgang eine Senkung oder zumindest sorgfältige Prüfung von Kosten - in jeder Hinsicht. Dieser letzte Punkt hatte durchaus positive Auswirkungen und wir haben dadurch viel gelernt. Es brachte uns dazu, in den Spiegel zu schauen und festzustellen, wo und was wir besser, effektiver und praktischer machen können; vereinfacht gesagt, wir kehrten zu den Wurzeln zurück - das heißt „to make business simple". Dies gilt sowohl für die Hersteller, Distributoren als auch für unser persönliches Leben. Diejenigen, die diese Anpassungen sorgfältig und mit Hinblick auf zukünftige Projekte und Perspektiven vornahmen, waren auf den wirtschaftlichen Aufschwung vorbereitet, gewannen einen Vorsprung vor anderen und gingen mit einer besseren Position aus der Krise hervor als sie vorher besaßen.
Christian Westphal: Die bedeutendste Entwicklung seit der Konjunkturschwäche war der überraschend starke Ansprung der Geschäftstätigkeit der Unternehmen, welche den Aufschwung, den wir jetzt erleben, ermöglichte. Der Preisanstieg auf dem Rohstoffmarkt in Folge des Aufschwungs ab Mitte 2009 wurde in dem Ausmaß von den meisten Marktteilnehmern nicht erwartet. Bei einem hohen Anteil von Rohstoffen besteht auch Mitte 2011 noch ein Nachfrageüberhang. Im Gegensatz zu den Epochen vorheriger Generationen, sind die Anlagenklassen und die Risikoaussetzungen in der heutigen globalen Wirtschaft verkettet. In diesem Kontext lässt sich sagen, dass isolierte Märkte der Vergangenheit angehören.
Die Globalisierung schreitet weiter fort. Wir glauben, dass es weiterhin Preis- und Währungsschwankungen geben wird. Darüber hinaus erwarten wir, dass die gewöhnlich weichen Kurven des Konjunkturzyklus zukünftig wiederholt von volatilen Turbulenzen gestört werden. Die Märkte sollten mit Respekt behandelt werden und Vorsicht ist zwingend notwendig. Eine enge Beziehung und ein intensiver Dialog mit den Herstellern und Lieferanten sind entscheidend für die Beratung unserer Kunden und ihrer Einkaufsstrategien. Durch veränderte Marktbedingungen kommt den Aufgaben und Funktion der Unternehmen im Handel und Vertrieb mit chemischen Produkten eine gesteigerte Bedeutung zu.
José António Magalhães: Der wirtschaftliche Abschwung hat die Notwendigkeit der Flexibilität und des Austausches von Risiken sowohl auf der Kunden- als auch auf der Herstellerseite erhöht. In diesem Sinn wurde die Rolle der Chemiedistributeure als aktiver Partner für Kunden und Chemieproduzenten weiterentwickelt.
Credit Management Aktivitäten der Distributeure haben vor allem für KMUs an Bedeutung gewonnen.
Chemische Produzenten erhöhen ihr Interesse an einer Partnerschaft mit Händlern zur Optimierung ihrer Marketing-Kosten und Kreditrisiken. Ebenfalls positiv ist das Interesse von Endkunden an ein Dienstleistungsangebot, das auf ihre Bedürfnisse im Hinblick auf Zeit, Quantität, Qualität und in kommerzieller Hinsicht zugeschnitten ist.
Zwei Dinge haben wir gelernt, die für eine sichere Zukunft unerlässlich sind: Erstens benötigen wir eine starke Bilanz und zweitens sollten wir mit einem diversifizierten Portfolio und in einem geographisch weit gefassten Umfeld arbeiten. Cash Management ist entscheidend, und man sollte den Gebrauch von Fremdkapital einschränken. Vielfalt und Flexibilität sind der richtige Weg zur Verteidigung und zum Überleben.
Die Lücke zwischen den drei größten Unternehmen und den anderen Betrieben im Chemikalienhandel ist erheblich. Welche Bedeutung haben Fusionen, Firmenübernahmen und Partnerschaften bei kleinen bis mittelständischen Unternehmen in der Branche? Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach Private Equity Gesellschaften?
François Minec: Mittelständische und kleinere Unternehmen sind weniger an Fusionen und Firmenübernahmen beteiligt. Sie konzentrieren sich normalerweise auf ein organisches Wachstum, durch das sie eine stabile Unternehmenskultur entwickeln und die volle Kontrolle behalten können, über das Wie und Wo sie wachsen. Größere Unternehmen, mit einem Umsatz von mehr als 250 Mio. €, sind normalerweise bei Fusionen und Firmenübernahmen aktiv. Heute jedoch besteht ein gemeinsames Verständnis, dass die Chemiebranche in Europa gegenwärtig zu fragmentiert ist und Unternehmenszusammenführungen notwendig sind, um die Herausforderungen des Chemikalienhandels wie beispielsweise geringes Wachstum in der EU, Vorschriften und die Zusammenführungen von Chemikalienherstellern anzunehmen.
Aus diesem Grunde erwarten wir, dass mittelständische Unternehmen ebenfalls bei Fusionen und Firmenübernahmen aktiv sind, zumindest aus einer Verteidigungsposition heraus. Private Equity wird sicherlich ebenso eine Rolle bei dieser Zusammenführung spielen, jedoch sind wir, aufgrund der verhältnismäßig geringen Einnahmen und der hohen Intensität von Barmitteln, nicht sicher, ob dies über einen langen Zeitraum hinweg so bleiben wird. Lieferanten von Chemikalien sind auf der Suche nach starken, langfristigen Partner. Aus diesem Grund haben privat geführte Unternehmen einen klaren Vorteil.
Carl Hugo Erbslöh: Sicher wird der Abstand zwischen den drei Großen und dem Rest des Chemiehandels größer. Das ist in den anderen Industrien, beispielsweise der Autoindustrie, nicht anders. Und dieser Trend wird auf alle Fälle zunehmen. Es bleibt genug Platz für den Mittelstand. Wenn er die Märkte richtig analysiert und sich richtig aufstellt, wird er wachsen. Man muss nicht unbedingt die Nummer Eins sein!
Pavel Kratochvil: Der Unterschied zwischen den drei größten Anbietern von Distributionsleistungen in der chemischen Industrie und ihren Mitbewerbern ist signifikant, sowohl hinsichtlich Unternehmensgröße als auch hinsichtlich betriebswirtschaftlicher Kennzahlen, Internationalität und anderer Merkmale. Allerdings sollte man sich die Frage stellen, ob hier tatsächlich Gleiches mit Gleichem verglichen wird, das heißt ob Äpfel nicht mit Birnen verglichen werden. Der wirtschaftliche Aufschwung ruft zunehmende Investitionsbereitschaft unter den großen Chemieunternehmen hervor und die Eigentümer - oft Kapitalfonds - der drei größten Distributionsunternehmen streben nach neuen Akquisitionen. Finanzielle Kriterien, d.h. notwendiges EPS-Wachstum und die zu erwartende Rückvergütung des investierten Kapitals spielen eine entscheidende Rolle.
Die mittelständischen Distributionsunternehmen, die oft Familienbetriebe sind, haben andere Aufgaben und Ambitionen, zum Beispiel sich zu langfristigen und globalen Partnern für ihre Auftraggeber zu entwickeln, um ihre Position auf dem Markt zu stärken und höhere Gewinne zu erwirtschaften. Es gibt noch nicht viele Verbindungen, Akquisitionen oder Allianzen zwischen mittelständischen Distributoren. Manche entwickeln sich jedoch bald zu größeren Unternehmen und erreichen eine dominante Marktposition.
Die wirklich kleinen Unternehmen, also die lokalen Verteiler, können nur schwer selbstständig bleiben. Das geht hauptsächlich nur, wenn sie in einem spezialisierten Segment oder lokal tätig sind.
Christian Westphal: Wir werden eine Steigerung der M&A-Aktivitäten unter kleinen und mittelständischen Unternehmen sehen und gleichzeitig wird es auch vermehrt zu internationalen Zusammenschlüssen kommen. Private Equity finanzierte Distributeure werden weiterhin als geographisch breit aufgestellte Akteure für Basischemikalien agieren. Unseren Erwartungen zufolge wird Asien, besonders China, einen Schwerpunkt für Private Equity getriebenes Wachstum bilden.
José António Magalhães: Chemiedistribution ist ein Gewerbe mit geringer Wertschöpfung, geringer Kapitalintensität und sehr flexibel. Somit ist es in gewisser Weise zwar ein „low-risk"-Sektor, aber ein Sektor, in dem Größe eine echte Rolle spielt. Die schnelle und erfolgreiche Konsolidierung der drei (oder vier) Großen hat das in den letzten zehn Jahren bewiesen. In der Vergangenheit, waren Übernahmen und Zusammenschlüsse - vor allem für KMUs - getrieben durch den Zustand der Finanzmärkte, der nun nicht mehr so gegeben ist. So wird bei den Transaktionen alles bis ins kleinste Detail durchdacht, aus der Motivation heraus, die geographische Abdeckung zu steigern, das Portfolio stärker zu diversifizieren und die Synergien zu erhöhen.
Die Private Equity-Besitzer verfolgen weiterhin ihre "Buy and Build"-Strategien, jedoch mit einem schärferen Fokus und einer höheren Selektivität bei der Akquisition.
Was denken Sie, werden die drei Haupttrends in den nächsten 12 Monaten für den Chemikalienhandel sein?
R. Buscher: Die Zusammenführung europäischer Unternehmen; die Gründung europäischer Netzwerke und strategischer Partnerschaften zwischen den mittelständischen und kleineren Unternehmen, die in der Lage sind unabhängig zu bleiben; das aktive Streben aller europäischer Unternehmen, auf osteuropäische Märkte zu gelangen.
Carl Hugo Erbslöh: Wer Trends in den einzelnen Absatzgebieten erkennen und diese auch erfüllen kann, findet große Möglichkeiten.
Pavel Kratochvil: Ich sehe drei wichtige Trends, die die Distributionsbranche der chemischen Industrie über die nächsten 12 Monate bestimmen werden:
- Die Verbindungen und Akquisitionen zwischen den größten chemischen Unternehmen und die Bildung von dominanten Gruppen mit signifikanter Marktmacht in der Auswahl ihrer Distributeure. Die Distributeure sollten europäisch und frei von Interessenkonflikten sein.
- Das organische Wachstum der größten Verteiler hat vermutlich Grenzen und folgt mehr oder weniger der Entwicklung der Konjunktur. Daher wird das Wachstum dieser Unternehmen zum größten Teil durch Akquisitionen herbeigeführt. Allerdings können dadurch Interessenskonflikte und Konfliktsituationen für die Auftraggeber - die Chemieunternehmen - entstehen. Barentz ist von der Notwendigkeit überzeugt, für Konfliktprävention zu sorgen, erwartet aber gleichzeitig, dass sich aus dieser Wachstumspolitik der Top 3-5 Distributeure viele neue Chancen ergeben.
- Die mittelständischen Verteiler werden durch kleinere Akquisitionen oder durch Bildung von Joint Ventures oder Allianzen wachsen. Letztendlich werden die kleinsten Unternehmen ohne Perspektive oder Entwicklungsplan allmählich vom Markt verschwinden.
Christian Westphal: Andauernde Rohstoffengpässe, Akquisitionen und Produktivitätssteigerung durch Prozessoptimierung.
José António Magalhães: Cash-Mamagement, die Konzentration auf widerstandfähige Sektoren und die geographische Erweiterung des Portfolios sowohl durch organische als auch durch anorganische Aktivitäten.
Das Motto des FECC-Kongresses in diesem Jahr lautet „Herausforderung in Chance verwandeln". Was bedeutet das für Ihre Firma?
R. Buscher: Die Philosophie von Velox ist es, jede Herausforderung als Chance zu sehen! Genauer gesagt, stellen wir weiterhin Mitarbeiter ein und bilden unsere Mitarbeiter aus. Gleichzeitig suchen wir nach Gelegenheiten, neue Geschäftsstellen in Ländern zu eröffnen, in denen wir zurzeit wenig vertreten sind.
Carl Hugo Erbslöh: Für uns bedeutet das: Lieferzeiten einhalten, Versprechen einlösen und Service.
Pavel Kratochvil: Die Umwandlung von Herausforderungen in Chancen: Die beschriebenen Trends in der chemischen Industrie und deren Distributionsdienstleistern stellen in der Tat eine große Herausforderung dar. Es ergeben sich nicht automatisch Chancen für jedes Unternehmen. In der Vergangenheit ist es uns gelungen, viele der verschiedenen Herausforderungen, denen wir begegneten, als Chancen zu nutzen. Wir werden dies auch weiterhin tun. Doch nur, wenn wir eine klare und langfristige Vision sowie einen konkreten, auf eine solide Basis gestellten Businessplan haben, können wir erfolgreich sein und zu den Siegern gehören. Wir benötigen eine Vision, wie wir die genannten Herausforderungen erfolgreich nutzen können, um eine starke, finanziell gesunde und gut auf die Zukunft vorbereitete Firma zu bilden und unsere tatsächliche Stellung am Markt kennen. Unser Unternehmen will und wird eine wichtige Rolle bei der Nutzung aller Herausforderungen spielen und zu einer bedeutenden und transparenten Firma werden - und zwar in allen Marktsegmenten, die wir zurzeit bedienen.
Christian Westphal: Die Herausforderungen innerhalb unserer Branche sind vielfältig: die Bewältigung der Komplexität, die uns von unseren Prinzipalen im Rahmen des Outsourcing zur Bearbeitung übertragen wurde; die zeitlichen und finanziellen Belastungen durch zusätzliche administrative Anforderungen wie beispielsweise REACh zu meistern und neue Talente für das Unternehmen zu gewinnen. Um eine führende Rolle in der europäischen Distribution einnehmen zu können, ist es für die Ter Group essentiell, internationale Lösungskonzepte für erstklassige IT, Controlling, Kommunikation, Marketing und Key Account Management anzubieten. Das Einnehmen einer Vorreiterrolle, in Bezug auf das Überwinden der durch REACh aufgestellten Hürden, bietet der Gruppe die Möglichkeit, sich hinsichtlich Lieferantenbewertung und Kundenzufriedenheit zu positionieren. Hoch motivierte Mitarbeiter und die positive Kultur eines Familienunternehmens waren schon immer das Fundament von Ter Hell und der Ter Group.
José António Magalhães: Unsere geographische Herausforderung wird es sein, nach Spanien zu expandieren und nach Afrika zu exportieren - vor allem nach Angola, Mosambik, Marokko, Südafrika, usw.. Die größten Herausforderungen, die das Portfolio von Quimitécnica betreffen, werden zum einen die Erweiterung der Aktivitäten und Produkte in den Bereichen Wasser und Abwasseraufbereitung, Kunststoffe und Biotechnologie sein, und zum anderen das zusätzliche Angebot von Dienstleistungen wie Lagerung, Logistik, Mischen, usw..