Wenn die Lösung in einem Start-up steckt
Innovation Scouting erhöht die Erfolgschancen von externen F&E-Partnerschaften
Wettbewerb, Patentabläufe, Umweltauflagen, gesellschaftliche Erwartungen, globaler Druck: Keine Branche ist frei vom Innovations- und Transformationsdruck, doch in der Chemie- und Pharmabranche ist dieser besonders hoch. Hinzu kommen die regulatorischen Anforderungen, die wohl in keinem weiteren Sektor so groß sind.
Neue Vorschriften und Sicherheitsstandards erfordern von Chemie- und Pharmaunternehmen ständige Anpassungen und Innovationen, auf Landes- und Europaebene. So kommt es, dass die Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E) in der Branche überproportional hoch sind und immer weiter steigen. Geben andere innovationsgeprägte Branchen wie der Fahrzeugbau oder die Elektroindustrie durchschnittlich 9,7 % bzw. 7,3 % des Umsatzes für F&E aus, so sind es in der Pharmaindustrie laut Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) von 2023 15,6 %.
Darin inbegriffen sind Innovationen für interne und externe F&E-Projekte. Denn die Innovation muss nicht immer von innen kommen. Oft genug stellen externe Partnerschaften eine schnellere und effizientere Lösung dar: Von den 15,6 % des für F&E ausgegebenen Budgets machen in der Pharmaindustrie 5,5 % externe F&E-Projekte aus. Die Vorteile liegen auf der Hand und werden dennoch oft unterschätzt. Vorausgesetzt, die Integration von Innovationen aus dem externen Umfeld gelingt reibungslos, gelangen Unternehmen in der Regel damit schneller an neue Technologien, neue Erkenntnisse oder neue Produkte. Auch das Team kann sich so schnell um Mitglieder bereichern, die viel Know-how und Kompetenz mitbringen.
Jagd auf Start-ups
Nicht selten sind es Start-ups, die mittelständische Unternehmen und Konzerne durch eine strategische Partnerschaft weiterbringen. Gerade in der Pharmabranche genießen solche Lösungen seit einigen Jahren Beliebtheit: So hat Roche eine eigene Tochterfirma gegründet, ROX Health, die als Venture Builder digitale Geschäftsmodelle im Gesundheitswesen entwickelt. Auch Pfizer hat das Healthcare Lab gegründet, mit dem Ziel, strategische Partnerschaften mit jungen Unternehmen einzugehen. Philips ist mit seinem Start-up Bootcamp ein weiteres Beispiel. Sie alle sind auf der Suche nach Start-ups, die Entwicklungen beschleunigen und so einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können.
Eigene Start-up Hubs zu gründen ist eine Option, die nicht alle haben. Die Maßnahme ist eine – nicht gerade kleine – klare Investition in die Zukunft, voller Unsicherheiten und mit einem enormen Bedarf an Geldmitteln und Ressourcen. Um den Perfect Match zwischen dem eigenen Unternehmen und einem jungen Technologietreiber zu finden, gibt es auch andere Wege. Einer davon ist das Innovation Scouting.
„Es liegen Welten zwischen der Unternehmenskultur und Mentalität eines Corporates und der eines Start-ups.“
Suche nach deinem Partner dort, wo er ist
Warum nicht Start-ups dort suchen, wo sie sind? Ganze Bundesländer und Regionen haben mittlerweile ständige Vertretungen von Innovation-Scouting-Büros im Silicon Valley oder in Israel, wo trotz des Kriegs besonders im Bereich Healthtech weiter an Innovationen gearbeitet wird. In der selbst ernannten Start-up-Nation haben zudem über 300 internationale Unternehmen Scouts vor Ort, die nach geeigneten Partnern suchen, sei es für potenzielle Übernahmeziele oder für Technologiepartnerschaften. Einige bekannte Beispiele sind Henkel, Roche und Novartis.
Innovation Scouting – es muss nicht immer mit einer Präsenz vor Ort verbunden sein – kann ein Gamechanger für mittelständische Unternehmen sein, die hohen Transformationsdruck verspüren oder ihr Geschäftsfeld schnell und effizient erweitern möchten. Der finnische Zulieferer für medizinisches Material und Geräte OneMed bspw. schloss im Mai 2023 eine strategische Partnerschaft mit dem Start-up Red Dress Medical aus Israel. Beide Unternehmen vereinbarten für Finnland und Schweden den exklusiven Vertrieb der Lösung ActiGraft, ein Wundbehandlungssystem für chronische, nicht heilende Wunden, das aus dem eigenen Blut des Patienten hergestellt ist. Damit sicherten sich die Finnen nicht nur die Exklusivität für eine der weltweit bahnbrechendsten Lösungen für Wundheilung, sondern auch einen Technologie- und Wettbewerbsvorsprung in Skandinavien.
Die externe Spürnase auf dem Markt
Erfolge wie dieser und viele andere, die der Öffentlichkeit verborgen bleiben, sind das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen Innovation Scout und Unternehmen. Doch ein Innovation Scout setzt viel früher an: Er oder sie identifiziert nicht nur potenzielle Partner mit komplementären Stärken oder Technologien, sondern, darüber hinaus, Chancen und Risiken. Ein Innovation Scout beobachtet das externe Umfeld für neue Technologien und Markttrends, spürt die Bewegungen des Wettbewerbs auf, sodass der Auftraggeber Chancen nutzen und Bedrohungen erkennen kann.
Erkenntnisse aus dem Innovation Scouting tragen außerdem dazu bei, die strategische Planung datengestützt und zukunftsorientiert zu gestalten, um die Unternehmen so auf Veränderungen vorzubereiten. Die externe Expertise wirkt sich schließlich im besten Fall auf eine bessere Agilität, eine größere Kundenzufriedenheit und auf Wachstum aus.
Ohne Wenn und Aber
Damit der Prozess gelingt, muss sich das Unternehmen allerdings der Herausforderung ohne Wenn und Aber stellen. Im besten Fall stellt es das Projekt in einen breiten strategischen Rahmen, angehängt an der Geschäftsführung. Das sollte selbstverständlich sein, denn die Bemühungen um Innovationspartnerschaften müssen mit den Unternehmenszielen und -strategien im Einklang stehen. Die Geschäftsführung muss den Prozess begleiten und die identifizierten Gelegenheiten in sein Team weitertragen. Sie muss bereit sein, Zeit, Geld und Personal zu investieren, und dafür sorgen, dass das Team in der Lage ist, die Neuerungen zu implementieren.
Denn nicht zuletzt kommt es auf das Team an. Wir alle wissen, wie wichtig es ist, dass die Mitarbeitenden hinter den Maßnahmen stehen. Der Erfolg des Innovation Scoutings stellt keine Ausnahme dar, da es Möglichkeiten aufdecken kann, die erhebliche organisatorische Veränderungen erfordern. Der Prozess gelingt nur, wenn die Unternehmenskultur offen für neue Ideen und Veränderungen ist.
Die Mentalitätsfrage: nur keine Angst
Es liegen Welten zwischen der Unternehmenskultur und Mentalität eines Corporates und der eines Start-ups. Auf der einen Seite prozesstreue Abläufe, gesetzte Entscheidungsprozesse, Hierarchien, Entscheidungen nach Marktumfragen und Statistiken. Auf der anderen: Agilität, kurze Wege, flache Hierarchien, die Kultur des Trial & Error. Ein Start-up bringt deshalb selten Verständnis dafür auf, wenn bspw. eine E-Mail mitten im Prozess tagelang nicht beantwortet wird. Sind die beiden Partner aus unterschiedlichen Ländern und Regionen, kommen sprachliche und kulturelle Unterschiede hinzu. Fragen wie die Schnelligkeit einer Reaktion oder der Ton einer E-Mail können Deals gefährden, weil es zu Missverständnissen kommen kann. Die Machtdynamik kann oft ungleich sein und zu unfairen Bedingungen oder angespannten Beziehungen führen.
Es gibt wohl kein Vorhaben zwischen Konzern und Start-up, bei dem es nicht zu Diskussionen, Missverständnissen oder enttäuschten Erwartungen zwischen den potenziellen Partnern gekommen wäre. Aus diesen Gründen begleiten Innovation Scouts den Prozess bis zum Abschluss und oftmals auch noch darüber hinaus. Bei den Verhandlungen sitzt er oder sie am Tisch. Das Auf-Kopie-Setzen beim täglichen Mailaustausch ist nicht ohne Grund gang und gäbe.
Wie sicher ist die Partnerschaft mit einem Start-up?
Zugegeben, die Partnerschaft mit einem Start-up könnte sich zu einem Risiko entwickeln, etwa wenn das junge Unternehmen finanziell instabil ist oder es auf Personalebene unter den Folgen von zu schnellem Wachstum leidet. Deshalb sollten Unternehmen Pläne zur Bewältigung dieser Abhängigkeit entwickeln.
Am wichtigsten ist es, von Anfang an klare Erwartungen an die Partnerschaft zu knüpfen, um sicherzustellen, dass beide Seiten ein gemeinsames Verständnis haben. Insbesondere bei gemeinsam entwickelten Technologien ist Klarheit geboten. Deshalb lautet mein Rat: Treffen Sie klare Vereinbarungen und nehmen Sie gegebenenfalls rechtliche Beratung in Anspruch.
Adina Krausz, Gründerin und CEO, InnoSource Ventures AG, Zürich, Schweiz
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Zur Person
Adina Krausz (Jahrgang 1977) ist Gründungspartnerin und CEO von InnoSource Ventures, einer eigenständigen und unabhängigen Innovationsabteilung des Multi-Family Offices Toledo Capital, bei dem sie Vorstandsmitglied ist. Nach ihrem Studium an der Berufsfachschule für Bankenwirtschaft in München hat sich Krausz in über 20 Jahren ein breites Netzwerk aus Hightech-Start-ups, VC-Gesellschaften aus der ganzen Welt und Corporates aus der DACH-Region aufgebaut. Ihre Leidenschaft ist es, mit diesem Netzwerk und mithilfe der Mitarbeitenden von InnoSource Ventures, die verschiedenen Akteure dabei zu unterstützen, passende Technologien zu finden, um diese gewinnbringend in ihr Geschäft zu integrieren.
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