Direct Air Capture: CO₂-Entfernung aus der Luft
Ucaneo entwickelt biomimetische elektrochemische Anlagen zur CO2-Entnahme aus der Luft
Das Berliner Start-up Ucaneo entwickelt vollelektrische Direct-Air-Capture (DAC)-Einheiten, die der menschlichen Lunge nachempfunden sind, um Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Luft zu entfernen. Die Modularität gewährleistet dabei nicht nur Kosten-, Leistungs- und Einsatzfähigkeitskontrolle, sondern auch schnelle Lernfortschritte. Die bei Raumtemperatur betriebenen Einheiten mit einer Kapazität von 500 bis 1.000 t CO2 pro Modul können nach dem Plug-and-Play-Prinzip an verschiedenen Standorten und in nachgeschalteten Prozessen eingesetzt und skaliert werden. Dies ermöglicht einen flexiblen Einsatz. Michael Reubold befragte die beiden Gründer, Florian Tiller und Carla Glassl, zu ihrer Idee und Vision.
CHEManager: Wie und wo begann die Geschichte von Ucaneo, und was war Ihre Motivation, ein Start-up zu gründen?
Carla Glassl: Wir haben uns in einem Accelerator-Programm in Berlin kennengelernt - unsere gemeinsame Vision war schnell klar: einen bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz leisten. Florian brachte umfassende Erfahrung aus der Start-up-Welt mit, insbesondere durch seine Arbeit im Venture Building bei McKinsey, und ich fundiertes Wissen aus der Biotechnologie und im Biotech Start-up Bereich. Wir gründeten Ucaneo im Mai 2022 in Berlin und finanzierten uns zunächst durch unser eigenes Kapital sowie das Berliner Start-up-Stipendium. Bereits zwei Monate nach der Gründung sammelten wir die ersten 1,3 Mio. EUR ein und unsere Reise begann.
Direct Air Capture ist nicht neu. Was ist das Besondere an Ihrer Technologie?
Florian Tiller: Direct Air Capture ist eine vielversprechende Lösung zur Bekämpfung des Klimawandels, aber die erste Generation dieser Technologien ist kostspielig. Konventionelle thermische Verfahren benötigen hohe Temperaturen von bis zu 900°C, was die Kosten in die Höhe treibt.
C. Glassl: Unsere Innovation basiert auf einem neuen elektrochemischen Verfahren, das Elektrodialyse mit innovativen biomimetischen Katalysatoren kombiniert. Dieses Verfahren hat mehrere entscheidende Vorteile: Es ist vollständig elektrisch, arbeitet bei Raumtemperatur und ist energieeffizient. Ein weiterer Pluspunkt ist die Modularität unserer Technologie. Der flüssige Sorbent kann unterschiedliche Reaktionsräume erzeugen, die separat gesteuert werden können. Dies erlaubt es beispielsweise, energieintensive Prozesse gezielt in Zeiten mit günstigen Strompreisen auszuführen und damit indirekt einen chemischen Energiespeicher zu erzeugen.
Unsere Technologie nutzt zudem etablierte Lieferketten, wie sie aus der Wasseraufbereitung bekannt sind, was ihre Skalierbarkeit deutlich erleichtert.
Was passiert mit dem aus der Luft entfernten CO2?
F. Tiller: Das entfernte CO2 wird in Kooperation mit unseren Partnern gespeichert. Wir arbeiten sowohl mit etablierten Unternehmen als auch mit Forschungsprojekten zusammen, um eine dauerhafte und qualitativ hochwertige Speicherung sicherzustellen.
In Deutschland ist die geologische Speicherung von CO2 aktuell nicht erlaubt, was eine große Herausforderung darstellt. Daher bauen wir Partnerschaften in europäischen Ländern auf, wo geologische Speicher bereitstehen. Zudem sprechen wir mit Unternehmen, die CO2 zu Produkten wie synthetischen Treibstoffen oder Chemikalien weiterverarbeiten wollen.
Nur zwei Jahre nach der Gründung haben Sie die ersten industriellen Module gebaut. Wie gelang diese rasante Entwicklung?
C. Glassl: Das Fundament unseres Erfolgs ist unser hochqualifiziertes Team, das sehr interdisziplinäre Expertisen vereint, zum Beispiel aus Elektrochemie, Biologie, Maschinenbau, Verfahrenstechnik und Materialwissenschaften. Dadurch konnten wir schnell einen funktionierenden Prototyp im Labormaßstab entwickeln. Darauf aufbauend hat eine Machbarkeitsstudie gezeigt, dass unser Verfahren zu den weltweit kostengünstigsten zählen könnte, mit mittleren dreistelligen Kosten pro Tonne CO2 in naher Zukunft. Diese Ergebnisse überzeugten Investoren, was uns eine starke Seed-Finanzierung ermöglichte.
Wie schätzen Sie das Marktpotenzial für Ihre Technologie ein und was würde Ihren Markterfolg begünstigen?
F. Tiller: Das Marktpotenzial ist enorm. Studien von McKinsey und BCG schätzen das globale Marktvolumen für Carbon Dioxide Removal, kurz: CDR, bis 2050 auf mehrere Hundert Milliarden Euro, bereits 2030 soll der Markt ein Volumen von bis zu 50 Mrd. USD erreichen. Die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen CDR-Lösungen steigt bereits jetzt und wird durch unterstützende regulatorische Maßnahmen weiter zunehmen.
Wo sind noch Hürden zu überwinden?
F. Tiller: Die größte Hürde in Deutschland ist der fehlende Ausbau geologischer Speicher. Leider droht eine Gesetzesnovelle zur CO2-Speicherung aufgrund des vorzeitigen Regierungsendes zu scheitern. Wir sind jedoch optimistisch, dass dies in naher Zukunft dennoch gelöst wird. Ein weiteres Hindernis sind die Finanzierung früher Technologien und der Markthochlauf. Hier setzen wir auf gezielte Förderprogramme und Partnerschaften.
Welche Pläne haben Sie für Ucaneo in den kommenden Jahren?
C. Glassl: Unsere oberste Priorität ist die Optimierung unserer Technologie. Unser Ziel ist es, die Kosten der CO2-Entnahme auf unter 300 EUR pro Tonne, langfristig sogar auf 100 EUR, zu senken. Dazu haben wir Wissenschaftler und Ingenieure eingestellt, die an der Optimierung unserer Komponenten und Prozesse arbeiten.
Parallel dazu treiben wir die praktische Anwendung unserer Technologie voran. Wir befinden uns in der Genehmigungsphase und Bauvorbereitung für unsere erste vollintegrierte Anlage in Berlin-Marzahn. Mit einer Kapazität von über 250 t/a wird sie die größte DAC-Anlage Deutschlands sein. Der Baubeginn ist für diesen Sommer geplant, die Inbetriebnahme für Anfang 2026.
Darüber hinaus arbeiten wir an einer weiteren großen Anlage in Deutschland mit einer Kapazität von 1.500 t/a, deren Bau 2027 beginnen soll. Gleichzeitig sprechen wir mit internationalen Energiekonzernen, die an Anlagen im Bereich von 10.000 bis 100.000 t interessiert sind, welche an Standorten mit günstigem erneuerbaren Strom und geeigneten Speichermöglichkeiten realisiert werden sollen.
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ZUR PERSON
Florian Tiller ist Co-Founder und CEO von Ucaneo. Zuvor hat er mehrere Start-ups im KI und Robotik-Bereich für die Öl- und Gas- sowie Energieindustrie bei McKinsey aufgebaut. Er hat einen Master in International Management von der National University of Singapore, der Tsinghua University und der HEC Paris.
ZUR PERSON
Carla Glassl ist Co-Founder und CTO von Ucaneo und studierte Biologie mit dem späteren Fokus auf Machine Learning an der LMU München. Während ihres Studiums führte sie elf Forschungsprojekte durch, für vier organisierte sie die eigene Finanzierung. Zuvor arbeitete sie als eine der ersten Mitarbeiterinnen bis zur Skalierung zu einem Team von 15 Personen in einem Biotech-Start-up in Berlin.
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Business Idea
Direct Air Capture
Nach Angaben des Weltklimarates (IPCC) sind negative Emissionen unverzichtbar, um die globalen Klimaziele zu erreichen.
Direct Air Capture (DAC) zählt zu den wenigen Technologien, die CO2 dauerhaft und zuverlässig aus der Atmosphäre entfernen können. Ucaneo hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit einer innovativen Technologie für DAC eine Grundlage für dauerhafte CO2-Entfernung zu schaffen.
Herkömmliche Verfahren stoßen oft an Grenzen hinsichtlich Skalierbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Energieeffizienz. Dies liegt daran, dass sie CO2 atomar an ein Lösungsmittel oder einem Feststoff binden und die Bindung wieder unter sehr hohen Temperaturen bis zu 900 °C aufbrechen. Diese chemischen Schwämme sind dadurch extrem teuer und energieintensiv. Um diese Herausforderungen zu adressieren, kombiniert Ucaneo in seiner Technologie einen Luft-Flüssigkeits-Kontaktor mit Elektrodialyse und biomimetischen katalytischen Additiven, um CO2 effizient aus der Atmosphäre zu entnehmen. Der Kontaktor sorgt durch orthogonale Strömungen von Luft und Absorptionsmittel für eine maximale Kontaktfläche und eine hohe CO2-Aufnahmerate. Das CO2 wird als Bicarbonat gelöst und anschließend in einer elektrochemischen Zelle regeneriert, wobei ein pH-Gefälle erzeugt wird, das die Freisetzung von CO2 ermöglicht.
Das einzigartige Design von mehreren Kernkomponenten wie der elektrochemischen Zelle in Kombination mit innovativen Lösungsmitteln erhöht nicht nur die Lebensdauer der Komponenten, sondern verringert auch signifikant den Energieverbrauch. Der Prozess findet unter Raumtemperatur statt und ist rein elektrisch, was ihn ideal für den Einsatz mit erneuerbaren Energien macht. Einzigartig ist die gezielte Prozesssteuerung und die Verwendung der Technologie als indirekten chemischen Energiespeicher, welche große Vorteile für die Entlastung von Stromnetzen mit sich bringt.
Derzeit treibt das Start-up die praktische Anwendung der Technologie voran und befindet sich in der Genehmigungsphase und Bauvorbereitung für die erste vollintegrierte Anlage in Berlin-Marzahn. Mit einer Kapazität von über
250 t/a wird sie die größte DAC-Anlage Deutschlands sein. Baubeginn soll diesen Sommer sein.
Mit der geplanten Skalierung der Technologie und den ersten kommerziellen Anlagen in den kommenden Jahren will Ucaneo Unternehmen weltweit unterstützen, ihre Klimaziele durch den Einsatz von Negativemissionsrechten oder CO2 als Rohstoff für klimaneutrale Produkte zu erreichen.
Ucaneo Biotech GmbH, Berlin
www.ucaneo.com
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Elevator Pitch
Meilensteine und Roadmap
Dank seiner robusten Technologie und dem klaren Fokus auf Wirtschaftlichkeit positioniert sich Ucaneo als Anbieter im wachsenden Markt für Direct-Air-Capture (DAC)-Technologien. Das Start-up wurde im Mai 2022 in Berlin gegründet, mit der Vision, eine von der menschlichen Lunge inspirierte revolutionäre Direct-Air-Capture-Technologie zu entwickeln. Das innovative Verfahren ist mit erneuerbaren Energien kombinierbar, um CO2 aus der Luft zu entfernen und so einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Ziel ist es, den Markt für Negativemissionszertifikate und CO2-Rohstoffe nachhaltig zu gestalten.
Erste externe Machbarkeitsstudien zeigen, dass die Technologie eine der kostengünstigsten weltweit werden könnte. Langfristig will Ucaneo mit seinen Anlagen eine jährliche CO2-Entnahme von bis zu einer halben Gigatonne erreichen – rund ein Prozent der weltweiten Emissionen.
Meilensteine
2022
- Gründung von Ucaneo
- Erste Verkäufe von 10 t CO2 als Vorleistung
- Abschluss der ersten Finanzierungsrunde (1,3 Mio. EUR)
2023
- Bau des ersten Laborprototyps
- Zusage des ersten Patents
2024
- Abschluss einer Seed-Finanzierungsrunde (6,75 Mio. EUR), angeführt vom Smart Energy Innovationsfonds von Energie 360° und der Investitionsbank Berlin
- Verkauf von 300 t CO2 an den Milkywire Climate Transformation Fund
- Errichtung einer neuen Betriebsstätte in Berlin-Marzahn
Roadmap
2025
- Inbetriebnahme des ersten industrie-skalierten Prototyps (Kapazität 30-50 t CO2 pro Jahr)
- Genehmigungsphase und Baubeginn für die erste vollintegrierte Pilotanlage (Kapazität über 250 t CO2 pro Jahr)
2026
- Inbetriebnahme der Pilotanlage und Auslieferung der ersten Negativemissionen
2027+
- Baubeginn einer ersten kommerziellen Anlage in Deutschland (Kapazität 1.500 t/a)
- Zusammenarbeit mit internationalen Energiekonzernen, um größere Anlagen (Kapazitäten 10.000 – 100.000 t/a) zu realisieren