Forschung & Innovation

Spezialisocyanate für neue Produkte

Cynio entwickelt CO2-basierten Prozess zur Produktion von Isocyanaten – flexibel, sicher, ganz ohne Phosgen

13.11.2024 - Kohlenstoffdioxid (CO2) ist als Treibhausgas bekannt. Angesichts der nationalen und internationalen Klimaziele sind Technologien, die CO2 als Rohstoff nutzen, besonders relevant.

An der Technischen Universität Bergakademie Freiberg wurde ein Verfahren entwickelt, um Isocyanate, wichtige Grundchemikalien für die chemische Industrie, aus CO2 statt des hochgiftigen Gases Phosgen herzustellen. Marlene Baumhardt, Miterfinderin des Prozesses und Chief Product Officer (CPO) des Ausgründungsprojekts Cynio, erläutert die Idee hinter dem Start-up, das 2025 gegründet wird.

CHEManager: Frau Baumhardt, jährlich werden Millionen Tonnen Isocyanate hergestellt. Diese Stoffklasse ist also nicht neu und es gibt etablierte Anbieter. Was hat Sie dazu bewogen, trotz der Konkurrenzsituation in diesem Bereich ein Unternehmen gründen zu wollen?

Marlene Baumhardt: Isocyanate sind wichtige Grundchemikalien, aus denen Produkte wie Matratzen oder Schuhsohlen und deren Beschichtungen hergestellt werden. Aber auch für die Herstellung von Medikamenten werden sie verwendet. Doch nur, weil ein Produkt in großen Mengen hergestellt wird, heißt das nicht, dass der Markt übersättigt ist. Theoretisch können tausende verschiedene Isocyanate hergestellt werden – der herkömmliche Herstellungsprozess hat allerdings zur Folge, dass der Fokus nicht einmal auf zehn Isocyanaten liegt. Dabei kann man mit diesen Chemikalien so viel machen! Gäbe es eine größere Auswahl – so sind wir uns sicher – würde mit dieser Substanzklasse viel mehr “ausprobiert” werden. Denken wir an Matratzen, Schuhsohlen und Medikamente – das sind alles Produkte, die es schon lange gibt, aber die immer noch weiter optimiert werden. Und genau das treibt mich und meine Kolleginnen an. Wir möchten mit unserem Cynio-Prozess die Verfügbarkeit für besondere Isocyanate erhöhen und darüber die Forschung und Weiterentwicklung innovativer Produkte fördern.

Welche Vorteile hat der Cynio-Prozess gegenüber dem herkömmlichen phosgenbasierten Verfahren?

M. Baumhardt: Phosgen ist ein hochtoxisches Gas und muss in hermetisch abgeriegelten Anlagen gehändelt werden. Seine Verwendung beruht auf umfangreichen Regulierungen. Dies macht das Phosgenverfahren nicht nur gefährlich, sondern auch teuer, sodass es sich nur für im Gigatonnen-Maßstab nachgefragte Isocyanate wirklich lohnt. Außerdem ist nicht jedes Isocyanat über das Phosgenverfahren zugänglich. Unser Cynio-Prozess verzichtet auf Phosgen und ist zusätzlich flexibler aufgebaut. Dadurch können wir die Produktion schneller zwischen einzelnen Isocyanaten umstellen. Da wir CO2 als Rohstoff nutzen, bietet die Technologie außerdem das Potenzial, in Zukunft Isocyanate mit grünem CO2 herstellen zu können. Demnach wäre auch in den Endprodukten grünes CO2 gebunden.

Für wen ist Ihre Innovation besonders interessant oder anders gefragt, wieso sind Ihre Isocyanate so interessant?

M. Baumhardt: Unsere Isocyanate sind vor allem für Personen im Bereich Forschung und Entwicklung interessant, zum einen weil wir auch kleine Mengen – wie sie in diesem Bereich oft benötigt werden – günstig anbieten können, zum anderen weil wir mit unserem Prozess auch die Möglichkeit sehen, Isocyanat­e zu produzieren, die aktuell gar nicht auf dem Markt verfügbar sind. Wir entwickeln den Prozess ständig weiter, das heißt, wenn jemand die Struktur eines ganz gewissen Isocyanats im Kopf hat, kann er gerne auf uns zukommen und wir testen, ob unser Prozess geeignet ist, dieses herzustellen.

Cynio ist ein Start-up in der Pre-Seed-Phase und hat bereits Auszeichnungen gewonnen. Was sehen Sie als Hauptgründe für den Erfolg?

M. Baumhardt: Ein Grund ist natürlich die Relevanz unseres Prozesses. Aber wir bekommen auch sehr viel Unterstützung durch die TU Bergakademie Freiberg, das Gründungsnetzwerk Saxeed, Foundress und einer steigenden Anzahl von Partnern. Diese Kontakte sind enorm wertvoll und bereichernd. Ohne Förderungen wie dem Exist Women- oder dem Exist-Gründungsstipendium wäre der Aufbau eines chemischen Start-ups vermutlich gar nicht möglich. Der wichtigste Grund jedoch ist wahrscheinlich unser Team und die Kommunikation und Wertschätzung innerhalb desselben. Dadurch macht die Arbeit auch in stressigen Phasen Spaß.

Wie wichtig ist das wachsende Netzwerk an Partnern in der jetzigen Phase, wer kann die weitere Entwicklung von Cynio unterstützen?

M. Baumhardt: Wir streben danach, in Zukunft den Einsatz grüner CO2-Quellen für unseren Prozess zu validieren und umzusetzen. Um diesen Wandel hin zu nachhaltiger Produktion zu realisieren, suchen wir industrielle Partner mit Expertise in CO2-Abscheidung, -Recycling oder erneuerbaren Energiequellen. Wir laden Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Experten ein, gemeinsam mit uns den Weg zur klimafreundlichen Chemie zu gestalten und Teil dieses Wandels zu werden!

Lampe   Business Idea

 

Die Zukunft der Isocyanate

Die chemische Industrie in Europa steht vor einem wachsenden Problem: Viele wichtige Spezialchemikalien sind schwer verfügbar. Zumeist müssen sie teuer über mehrere Zwischenhändler aus Asien bezogen werden, falls sie überhaupt erhältlich sind. Das hemmt die Wirtschaft und reduziert innovative Forschungsfortschritte.

Besonders betroffen sind Spezialisocyanate, die in zahlreichen Industrien wie Pharma, Lacke, Pflanzenschutz, Kosmetik und Klebstoffen unverzichtbar sind, um Endprodukte herzustellen. Für die Forschung und Entwicklung (F&E) spielen sie eine entscheidende Rolle, da sie maßgeblich die Eigenschaften und Leistungsfähigkeit von Endprodukten beeinflussen.

Doch die Produktion dieser Isocyanate ist komplex und basiert auf Phosgen, einem hochtoxischen Gas. Zudem liegt der Fokus der Industrie auf der Massenproduktion anstatt auf Spezialanwendungen, was die Verfügbarkeit von Spezial-­Isocyanaten für Forschung und kleinere Marktsegmente weiter einschränkt.

Cynio stellt Isocyanate ohne Phosgen her – stattdessen wird CO2 als Rohstoff verwendet. Dies reduziert die Aufwendungen für die Produktionssicherheit und ermöglicht eine standortunabhängigere Produktion kleinerer Mengen spezieller Isocyanate. Sowohl aromatische als auch aliphatische Isocyanate sind darstellbar und die Entwicklung geht weiter. Mit der neuen Syntheseroute können potenziell auch Isocyanate hergestellt werden, die mit dem Phosgenprozess nicht oder nur unzureichend darstellbar sind.

Dies wiederum eröffnet den Weg zu weiteren, neuartigen sowie CO2-basierten Syntheserouten.
Cynio stellt sicher, dass Forscher und Entwickler genau die Spezialisocyanate erhalten, die sie benötigen, um Fortschritte zu erzielen und Innovationen voranzutreiben.

Cynio bietet mit seinem stetig wachsenden Produktangebot und maßgeschneiderten Auftragssynthesen eine innovative Lösung für Forscher und Entwickler, die auf spezielle Isocyanate angewiesen sind, um Innovationen voranzutreiben. Das Ausgründungsprojekt der Bergakademie Freiberg in Sachsen setzt dabei auf eine enge Zusammenarbeit mit seinen Kunden, um individuelle Lösungen zu entwickeln, die auf spezifische Anforderungen abgestimmt sind und gleichzeitig hohe Qualitätsstandards erfüllen.

Elevator   Elevator Pitch

 

Meilensteine und Roadmap

Cynio, derzeit ein durch den BMWK gefördertes Exist-Ausgründungsprojekt der Technischen Universität Berg­akademie Freiberg, bietet eine innovative Lösung für die Isocyanatproduktion, indem es CO2 statt des hochtoxischen Phosgens verwendet. Dadurch können verschiedene Spezialisocyanate flexibel und wirtschaftlich hergestellt werden – selbst in kleinen Mengen.

Das Verfahren fördert nicht nur nachhaltigere Produktionsmethoden, sondern verbessert auch den Arbeitsschutz erheblich. Cynio befindet sich derzeit in der Pre-Seed-Phase, testet seinen Product-Market-Fit und führt erste Pilotkunden-Aufträge durch. Gleichzeitig arbeitet das Team daran, seinen Prozess zu skalieren und die Produktionskapazitäten zu erweitern.

Die Vision der drei Gründerinnen Marlene Baumhardt, Sophie Riedel und Michéle Tille ist es, spezielle Isocyanate zugänglich zu machen und so einen wertvollen Beitrag zur zukünftigen Forschung und Entwicklung innovativer Produkte zu leisten. Mit der Produktion in Europa stärkt das innovative Unternehmen zudem die europäischen Lieferketten.

Meilensteine

  • 2023:
    Förderung im Rahmen eines Exist Women-Stipendiums
  • 2024:
    - Exist-Gründungsstipendium
    - Award bei den Investor Days Thüringen
    - Gewinner des Sonderpreises beim From-Lab-To-Market-Wettbewerb von Chemstars
    - Erstes erfolgreiches Up-Scaling
    - Akquise eines Vertriebspartners
    - Zusammenarbeit mit ersten Pilotkunden
    - Markterkundungsreise in Vietnam und Japan

Roadmap

  • 2025
    - Ausgründung von Cynio
    - Abschluss der ersten Finanzierungsrunde
    - Markteintritt im Bereich der Spezial-Monoisocyanate
    - Akquise von Skalierungspartnern und Industriekunden
    - Erweiterung der Produktpalette
    - Erweiterung des Teams um eine weitere Person aus dem Bereich Verfahrenstechnik oder -      (chemischen) Prozesstechnik
    - Einstellung erster technischer Mitarbeitenden
  • 2026
    - Einzug in eigene Laboratorien
    - Ausbau der Produktionskapazität
    - Herstellung von Diisocyanaten

Downloads

Kontakt

CYNiO Riedel, Baumhardt & Tille GbR

Halsbrücker Str. 34, Technische Universität Bergakademie Freiberg
09599 Freiberg
Deutschland