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Rethinking Carbon

Wie Europas Chemieunternehmen ihre wirtschaftliche Zukunft sichern können

15.09.2023 - Laut einer aktuellen Studie von Simon-Kucher haben Führungskräfte der chemischen Industrie dem Thema Nachhaltigkeit höchste Priorität eingeräumt. Um der Forderung nach mehr Substanz und mehr Fortschritten bei der Nachhaltigkeit nachzukommen, bedarf es einer Kombination aus Innovation und Marketing.

Eine aktuelle Studie der Strategieberatung Simon-Kucher zeigt, dass Führungskräfte in der Chemieindustrie dem Thema nachhaltige Produktion höchste Priorität einräumen. Um den Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit gerecht zu werden, bedarf es jedoch einer Kombination aus Innovation und Marketing.

Europas Chemieindustrie steht vor drei großen Herausforderungen: Inflation, Rezession und steigende Energiepreise. Als Folge beginnen viele Chemieunternehmen ihre Standorte und Investitionen nach Nordamerika oder China zu verlagern. Doch wie lässt sich dies mit dem Anspruch vereinbaren, Produktion und Arbeitsplätze langfristig in Europa zu sichern?

Die Prioritäten der Führungskräfte in europäischen Chemieunternehmen sind laut Studie klar definiert: Ökologische Nachhaltigkeit steht ganz oben auf der Liste. Denn: Der Wechsel von fossilen Brenn- und Rohstoffen zu alternativen Energiequellen wird über die Zukunft jedes Unternehmens entscheiden. Und die Unternehmen müssen ihre Nachhaltigkeitsversprechen mit messbaren und greifbaren Fortschritten untermauern.

„Deutschland hat Vorteile beim Humankapital, die die derzeitigen Nachteile, wie den Zugang zu zuverlässiger, sauberer Energie, aufwiegen können.“

Das Neudenken ist aber nicht nur eine Frage des Innovationswillens, sondern auch des richtigen Marketings. Innovationen sind notwendig, um Unternehmen von veralteten Infrastrukturen und Arbeitsprozessen zu lösen. Sonst werden teure Ressourcen gebunden und gleichzeitig zu viel Kohlenstoff ausgestoßen. Doch die Umsetzung erfordert Zeit, technische Forschungskapazitäten und die richtigen Fachkräfte. Und das richtige Marketing ist gefragt, das nicht auf falschen, hochtrabenden Versprechungen beruht, sondern auf quantifizierbaren Aussagen.

Vier Maßnahmen, die Führungskräfte ergreifen sollten

Führungskräfte in der Chemiebranche sollten daher folgende vier Maßnahmen ergreifen, wenn sie die CO2-Emissionen ihres Unternehmens reduzieren möchten.

1. Grüne Preisprämien ausschöpfen, solange sie noch existieren

Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, gibt es immer noch hohe Prämien für First Mover, die von nachhaltigen Wachstumsmärkten profitieren. Unsere Erfahrung zeigt, dass eine Prämie von 20 % hier ein realistisches Ziel ist - in Ausnahmefällen können aber auch bis zu 30 % erreicht werden.

Hier ist allerdings Vorsicht geboten: Denn sobald grüne Technologien in bestimmten Industrien zum neuen Standard werden, sinkt die Chance auf eine Prämie nach einer frühen Marktreifephase rapide.

„Europäische Unternehmen können ihre Vorteile bei der Entwicklung und Produktion innovativer Chemikalien und Materialien beibehalten."

Unternehmen, die schnell agieren, haben bereits Vorteile. Finanziell kommt es ihnen zugute und gleichzeitig schaffen sie Raum für Innovationen. Denn je schneller und besser Unternehmen Produkte weiterentwickeln, desto mehr Möglichkeiten haben ihre Kunden, ebenfalls innovative Ansätze zu verfolgen. Dadurch können Unternehmen, die über die notwendigen Fachkräfte, Infrastruktur und Expertise verfügen, eine technologische Vorreiterrolle übernehmen. Die Chemieindustrie in Deutschland beispielsweise verfügt über viele gut ausgebildete Fachkräfte, wodurch Nachteile – wie der Zugang zu zuverlässiger und umweltfreundlicher Energie – somit ausgeglichen werden können.

Energieintensive Wertschöpfungsketten werden sich voraussichtlich weiter nach Nordamerika, in den Nahen Osten oder nach Asien verlagern. Europäische Unternehmen können jedoch ihre Vorteile bei der Entwicklung und Herstellung von innovativen Chemikalien und Materialien beibehalten.

2. Umwandlung in messbare Wertversprechen

Oberste Priorität hat die Verbesserung des Wertversprechens über den gesamten Produktlebenszyklus. Dies erfordert konkrete und ambitionierte Reduktionsziele für physischen Emissionen (Scope 1, 2, 3) und darüber hinaus.

Viele Führungskräfte planen, etwa 20 % ihrer Zeit für die Förderung von Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen ein. Dagegen werden weniger als 15 % der Zeit für Marketing aufgewendet. Hieraus lässt sich schließen, dass Kunden und Verbraucher Nachhaltigkeitsvorteile erwarten und keine schwammigen Versprechen („Greenwashing"). Ein starkes Wertversprechen ist also wichtiger denn je. Gleichzeitig wollen Kunden aber auch jederzeit über den CO2-Fußabdruck und (mögliche) Emissionseinsparungen informiert werden.

Auf Basis der Kundenanforderungen: So wollte ein führender Aluminiumhersteller sein Wertversprechen stärken und fragte seine Kunden, welche Nachhaltigkeitsfaktoren für sie wirklich wichtig sind. Dabei stellte sich heraus, dass Zertifizierungen, soziale Verantwortung und Lieferantennähe weniger wichtig sind als konkrete Informationen darüber, wie viel erneuerbare Energie und wie viel recyceltes Aluminium das Unternehmen einsetzt.

Führungskräfte erwarten ein Drittel ihrer Zeit mit der Neuorganisation der Lieferkette zu verbringen und ihre eigenen Scope 3-Emissionen durch den Ersatz fossiler Rohstoffe zu reduzieren. Neben der Flexibilisierung der Produktion werden sie mehr als 40 % ihrer Zeit für die Umgestaltung der Wertschöpfungskette und die Umwandlung von Rohstoffen aufwenden.

„Bessere Sichtbarkeit und Kommunikation erleichtern es den Chemieunternehmen, mit ihren Kunden ins Geschäft zu kommen.“

3. Synergien aus Nachhaltigkeit und Digitalisierung nutzen

Die Digitalisierung birgt immer schon das Potenzial für Kosteneinsparungen und Umsatzwachstum. Nachhaltigkeit als Kernthema wird durch die Digitalisierung nicht verdrängt. Vielmehr wird die Digitalisierung eine wesentliche Rolle spielen, um die Emissionen von Unternehmen transparent zu kommunizieren. So können Kunden und Lieferanten gemeinsam an Nachhaltigkeitszielen arbeiten.

Hier sind zwei Beispiele für die Synergien von Nachhaltigkeit und Digitalisierung:

  • Kosteneinsparungen ermöglichen: Mehrere deutsche Automobilhersteller haben eine neue cloudbasierte Plattform namens Catena-X ins Leben gerufen, um CO2-Emissionen zu reduzieren und Ressourcen effizienter zu nutzen. Die Plattform nutzt eine digitale Lieferkette, um die CO2-Emissionen bei der Herstellung von Fahrzeugen zu ermitteln.
  • Umsatzwachstum vorantreiben: Rund 88 % der Studienteilnehmer gehen davon aus, dass sie durch die Umstellung auf ein datengetriebenes Geschäftsmodell ihren Umsatz steigern können. Ein Beispiel liefert der Metallkonzern Klöckner: Klöckner berechnet den CO2-Fußabdruck seiner Produkte und dokumentiert mögliche CO2-Einsparungen. Kunden können die Emissionsdaten dann in ihre Überlegungen einbeziehen und so gesetzliche Vorgaben erfüllen, indem sie den Product Carbon Footprint mit ihren eigenen Nachhaltigkeitszielen abgleichen.

Dadurch werden Chemieunternehmen gegenüber ihren Kunden transparenter in der Kommunikation. Rund 74 % der Befragten stellen fest, dass Kunden zunehmend ein digitales und nahtloses Einkaufserlebnis erwarten.

Energiesicherheit und -vielfalt verbessern

Die Strompreise in Deutschland blieben bis zum Frühjahr 2023 auf hohem Niveau. Auch wenn viele Unternehmen die überdurchschnittlich hohen Preise verkraften können, wirken sich die Preissteigerungen nicht nur kurzfristig auf die Gewinne aus. Sie können auch ein Hindernis für langfristige Investitionen sein, auf die die Chemieindustrie in Deutschland und anderen europäischen Ländern dringend angewiesen ist.

Lanxess-Vorstandsvorsitzender Matthias Zachert betonte in einer Pressemitteilung im Mai die Bedeutung von wettbewerbsfähiger Energiepreise, schneller Genehmigungsverfahren, einer besseren Infrastruktur und einer industriefreundlicheren Grundeinstellung. Mit Blick auf die Rahmenbedingungen in Deutschland fügte Zachert hinzu: „Wenn wir wollen, dass unsere Heimat auch künftig im internationalen Wettbewerb mitspielen kann, müssen wir jetzt handeln. […] Nur dann können wir als Industrie auch kraftvoll dazu beitragen, den Wohlstand unseres Landes zu erhalten.“

Eine zuverlässige und wettbewerbsfähige Versorgung mit Strom und Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen ist dafür die Voraussetzung. Die Volatilität der Energiemärkte treibt die Diversifizierung der Energiemärkte in einem stärkeren Maße als regulatorisch erforderlich. Mit anderen Worten: Eine schnelle Umstellung schafft neue Wettbewerbsvorteile.

Der Zeitpunkt war noch nie so günstig wie jetzt: Die Chemieindustrie leidet unter der dreifachen Bedrohung durch Inflation, Rezession und Energiekrise. Viele Führungskräfte sehen die Beschleunigung der grünen Transformation als eine Win-Win-Win-Chance. Sie bedienen die neue Nachfrage, erhöhen ihre Widerstandsfähigkeit auf dem Markt und verbessern ihre Deckungsbeträge. Langfristig geht es darum, wieder schneller zu wachsen.

Mit anderen Worten: Abwarten ist keine Option.

Der BASF-Vorstandsvorsitzende Martin Brudermüller sagte in einem Interview mit dem Handelsblatt: „Der globale Klimaschutz ist ein Top-Thema geworden und das ist gut. Das ist dringend notwendig und wir alle spüren und merken auch, dass es so nicht weitergehen kann.“

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