Nachhaltigkeit als Schlüssel für zukünftige Wettbewerbsfähigkeit
Die Chemie- und Pharmaindustrie im Fokus auf dem Deutschen Logistik-Kongress 2023 in Berlin
Wie steht es um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Chemie- und Pharmabranche? Und welche Auswirkungen bringt die Transformation zur Nachhaltigkeit für die Supply Chains mit sich? Diese Fragen standen im Fokus des für die Branche wichtigsten Panels auf dem diesjährigen Deutschen Logistik-Kongress (DLK) vom 18. bis 20. Oktober 2023 in Berlin. Auch wenn das makroökonomische Umfeld derzeit eingetrübt ist, zeigten die Referenten auf dem Kongress der Bundesvereinigung Logistik (BVL) einige Lösungsansätze, die Hoffnung machen. Moderiert von Ralf Busche, SVP European Site Logistics Operations bei BASF, beteiligten sich Vertreter von Bayer, Covestro, Infraserv Logistics, Ernst & Young und der Fraunhofer-Gesellschaft am fachlichen Austausch. Die wichtigste Botschaft: Der Transformationsprozess zum nachhaltigen Wirtschaften sei ein langer, aber lohnenswerter Weg. Er eröffne die Chance für neue, wirtschaftlich attraktive Geschäftsmodelle.
Rund 1.800 Experten aus Supply Chain und Logistik trafen sich auf dem diesjährigen BVL-Kongress. Im Fokus standen der Standort Deutschland und die Energiewende, der Fachkräftemangel, die Bemühungen um mehr Resilienz in der Lieferkette, Cybersicherheit sowie die Dekarbonisierung. Das Motto des englischsprachigen Fokus-Slots für Chemie und Pharma: „Future Competitiveness of the European Pharmaceutical and Chemical Industry – The Transformation towards Sustainability and its Implications on Supply Chains and Logistics”.
In seiner Einführung ins Thema skizzierte Busche anhand von makroökonomischen Kennzahlen die angespannte Lage: Das BIP-Wachstum in Deutschland sei bei -0,4 % und damit auf Schrumpfungskurs. Etwas besser sei die gesamteuropäische Lage mit moderatem +1,0 % BIP-Wachstum, und +2,1 % in den USA. Doch auch China könne mit +5,1 % an das Wachstum der vergangenen Jahre derzeit nicht anknüpfen. Die komplex strukturierte Chemie- und Pharmabranche ist laut Busche auf der Beschaffungsseite vor allem auf Öl und Gas angewiesen – eine große Herausforderung im Rahmen der politischen Vorgaben zur CO2-Reduktion. Damit stelle sich die Frage, wie die europäische Industrie ein jährliches Volumen von mehreren Millionen Tonnen an Rohmaterialen fossilfrei beschaffen soll. Dies sei nur teilweise aus erneuerbaren Quellen zu bekommen. Immerhin gebe es bei Wasserstoffimporten aus dem Mittleren Osten, basierend auf erneuerbarer Solarenergie, große Potenziale für die Zukunft. Die Herausforderungen in der Beschaffungslogistik, IT-Security und politische Risiken seien nur zu meistern, wenn die Supply Chains mit einem intelligenten, ganzheitlichen Risk Management so umgestaltet werden, dass sie resilienter und agiler aufgestellt sind.
Auch Thomas Panzer, SVP – Head Supply Chain Management bei Bayer, betonte die Notwendigkeit, die globalen Lieferketten resilienter und flexibler zu gestalten. Er wies darauf hin, dass die Coronapandemie und der Ukraine-Krieg die bestehenden Risikomanagementsysteme an ihre Grenzen gebracht hätten. Somit müsse ein neuer Umgang mit multiplen exogenen Krisen gefunden werden. Konzepte wie Reshoring und Nearshoring würden zu kurz greifen, und Protektionismus sei nicht hilfreich. Stattdessen müssten die globalen Lieferprozesse neu gedacht werden, so Panzer. Er nannte sechs Kernbereiche: Erstens segmentierte Supply Chains, da jedes Produkt und jede Betriebsstätte eigene Teillösungen brauche, zweitens Risk Coverage mit Backup- und Postponing-Modellen für Lieferungen, drittens mehr Transparenz in den Lieferketten, viertens ein neues „Cultural Mindset“, um schnell Task Forces zu bilden, die die globalen Supply Chains komplett überblicken und weltweit agieren können, fünftens Nachhaltigkeit als „Part of our License to Operate“ und sechstens Organisational Setups „Built on End -to-End Ownership enabling tailored Approaches”.
Hanno Brümmer, EVP, Head of Supply Chain & Logistics EMEA and Latin America bei Covestro, sprach über die Transformation zu nachhaltigen Lieferketten. Als Hersteller von Polycarbonat- und Polyurethan-Produkten folge Covestro dem Leitprinzip der „Circular Economy“. Dies erfolge mit einem kontinuierlich steigenden Anteil an erneuerbarer Energie im Produktionsprozess und dem Fokus auf mehr Recycling im Werkstoffprozess. In Bezug auf den Carbon Footprint betonte Brümmer, dass rund 60 % der CO2-Emissionen allein bei den Lieferanten von Rohmaterial anfielen, im Vergleich zu den 20 % Anteil im Scope-1- und 2-Segment, sprich Energie und „Own Operations“, sowie nur 3 % Anteil bei den Transporten. Die plastikbasierten Produkte seien größtenteils gut recycelbar, der Recyclingprozess sei aber nicht immer einfach zu gestalten. Brümmer gab ein Beispiel: eine Matratze müsse am Ende ihres Lebenszyklus zunächst wieder in ihre Einzelbestandteile zerlegt werden, um wirtschaftlich und sinnvoll recycelt werden zu können. Dieser Prozess würde die Supply Chains komplexer machen, das Engagement lohne sich aber langfristig
Andreas Brockmeyer, Managing Director von Infraserv Logistics, erläuterte die Herausforderungen, mit denen Chemieparks im Zuge der Transformation konfrontiert werden. Die Vision 2030 von Infraserv auf dem Pfad zur Klimaneutralität beinhalte u.a. den Zugang zu erneuerbaren Energiequellen ohne Restriktionen sowie das Vorhandensein von Transmissions- und Distributionsnetzwerken für große Volumina elektrischer Energie in die Industrieparks. Dazu gehörten auch grüner Wasserstoff und Kraft-Wärme-Kopplung als zentrale Bausteine. Denn Wasserstoff wird laut Brockmeyer künftig nicht nur Energiequelle, sondern auch Rohmaterial für die Produktion sein. Somit sei eine zentrale Aufgabe der Bau von „hydrogen-driven“ Produktionsprozessen. Notwendige Maßnahmen seien daher der Ausbau der Energienetze und der Bau neuer Wasserstoff-Infrastruktur sowie die Anbindung der Parks zu einem „High-Capacity H2 Transmission Network“.
Wasserstoff ist auch für Frank Jenner von Ernst & Young ein zentraler Baustein für die grüne Transformation der Chemie- und Pharmaindustrie. Jenner ist bei der Unternehmensberatung „Global Chemicals & Advanced Materials Industry Leader“ sowie „Global Advanced Manufacturing & Mobility Supply Chain Leader”. Jenner befasste sich mit dem globalen H2-Angebot und der Nachfrage. Zur Erreichung der CO2-Reduktionsziele bis 2050 müsse die Industrie jährlich 37 Gt CO2 einsparen. Um dies umzusetzen, müssten sechs Bereiche zusammenwirken: CCS mit 20 % Anteil, Wasserstoff mit 10 %, Elektrifizierung mit 20 %, Energieeffizienzmaßnahmen mit 25 % und mit lediglich 25 % die erneuerbare Energie. Bei der Nachfrage nach Wasserstoff für industrielle Zwecke rechnet Jenner mit einer Versechsfachung bis 2050. Dabei würde grüner Wasserstoff aus 100 % erneuerbaren Energien bereits 2030 wettbewerbsfähig im Vergleich zu grauem Wasserstoff aus fossilen Quellen. Jenner betonte die Bedeutung von Förderprogrammen wie dem „Inflation Reduction Act“ der USA, mit Tax Credits von bis zu 3 USD pro Kilogramm Wasserstoff. Diesen massiven Förderanreizen müsste Europa dringend vergleichbare Programme entgegensetzen, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu erhalten.
Im Schlussvortrag sprach Przemyslaw Komarnicki vom Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF über „technologische und ökonomische Pfade zur Nachhaltigkeit“. Die Herausforderung der Industrie sei es, einen hohen Anteil der jährlichen 656 Mio. t CO2 zu minimieren. Ein Bremser dieser Bemühungen sei insbesondere in Deutschland ein Geflecht aus Prozesskomplexität, Bürokratie und rechtlichen Rahmenbedingungen. Deshalb ist es laut Komarnicki unabdingbar, dass Industriebetriebe der Branche Nachhaltigkeit als ein Unternehmensziel definieren und auch implementieren. Unternehmen seien dabei gefordert, ein neues Businessmodell zu finden, das auf Nachhaltigkeit basiert und gleichzeitig ihre Rolle im System neu zu definieren. Dies könne umgesetzt werden, indem innovative Technologien genutzt werden, wobei die wirtschaftliche Machbarkeit im Blick behalten werden müsse. Der Experte von Fraunhofer gab ein Beispiel aus der Möbelproduktion: Mit dem Blockchain-basierten Tracking von Material- und Energieströmen können die Produktionsprozesse nachhaltiger gestaltet werden.
Bruno Lukas, Gründer und Inhaber, Green Logistics Enabler, Berlin
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Bruno Lukas ist Gründer und Inhaber der Berliner Logistik-Beratungsfirma Green Logistics Enabler. Er ist Spezialist für nachhaltige Logistikprozesse und unterstützt Verlader und Spediteure bei der Umstellung auf emissionsfreie Transportlogistik.
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