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Chemiekonjunktur – viel Schatten, wenig Licht

Trotz Produktionszuwachses sank der Umsatz der Chemie- und Pharmaindustrie im ersten Halbjahr 2024 um 1 %

14.08.2024 - Auftragsmangel, hohe Energiepreise, steigende Bürokratie trüben die Stimmung in der Chemie.

Das erste Halbjahr 2024 verlief für die chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland besser als erwartet. Die Branche steigerte ihre Produktion im ersten Halbjahr um 3 %. Damit lag sie aber immer noch rund 11 % unter dem Niveau von 2021, vor Ausbruch des Ukrainekriegs. Viele Chemieanlagen waren nicht ausgelastet. Die Stimmung in der Branche ist daher nach wie vor verhalten.

 

Trotz des Produktionszuwachses lag der Umsatz der Chemie- und Pharmaindustrie im ersten Halbjahr 2024 mit rund 112 Mrd. EUR etwa 1 % niedriger als im Vorjahr. Ursache dafür waren vor allem die Erzeugerpreise, die im ersten Halbjahr unter Druck gerieten. Sie sanken im Branchendurchschnitt um 4 %. „Es gibt einen Silberstreif, aber von einem stabilen Aufwärtstrend kann keine Rede sein.

Die leichten Anzeichen der Erholung sind kein Grund zum Jubeln. Denn wir dürfen eines nicht vergessen: Wir haben zwar die Produktion hochgefahren, unsere Anlagen laufen aber nach wie vor nicht rentabel, und das seit über zweieinhalb Jahren“, kommentiert Markus Steilemann, Präsident des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) die konjunkturelle Lage. Die Kapazitätsauslastung der Anlagen lag im ersten Halbjahr im Schnitt bei 79 %. Zwar liegt der Wert über dem des vierten Quartals 2023, doch für einen wirtschaftlichen Betrieb müssten die Anlagen zu 82 – 85 % ausgelastet sein.

 

Steilemann  Markus Steilemann, Präsident, VCI

"Unsere Anlagen laufen nach wie vor nicht rentabel, und das seit über zweieinhalb Jahren."

 

Nach dem starken Einbruch im Vorjahr erholte sich die Grundstoffchemie im ersten Halbjahr. Die Produktion anorganischer Grundstoffe stieg um 12 % im Vergleich zum Vorjahr; auch organische Grundstoffe legten mit 8,5 % kräftig zu. Bei den übrigen Chemiesparten fiel das Produktionsplus deutlich niedriger aus: Bei Konsumchemikalien (+2 %) und Polymeren (+1,5 %) stieg die Produktion nur leicht. In der Spezialchemie war sie erneut rückläufig (-2 %), da viele industrielle Kunden ihre Produktion im ersten Halbjahr gedrosselt hatten und sich mit Bestellungen zurückhielten.

 

Kullmann  Christian Kullmann, Vorstandsvorsitzender, Evonik

"Wir senken unsere Kosten und machen unsere Hausaufgaben – und das wirkt."


Chemiekonzerne sparen bei Verwaltung und Führungskräften

Dies spürt man auch beim Spezial­chemiekonzern Evonik in Essen. „Wir müssen uns derzeit vor allem auf uns selbst verlassen, da von der Konjunktur kein echter Rückenwind kommt“, sagt Christian Kullmann, Vorstandsvorsitzender von Evonik, doch „wir senken unsere Kosten und machen unsere Hausaufgaben – und das wirkt.“ Im ersten Halbjahr 2024 konnte der Konzern bei einem Umsatzrückgang von 2,1 % auf 7,7 Mrd. EUR sein Ergebnis vor Steuern (EBITDA) um 28 % auf 1,1 Mrd. EUR steigern. Zu dieser Entwicklung trugen u. a. um 5 % niedrigere allgemeine Verwaltungskosten bei. Neben der strikten Kostendisziplin verstärkten niedrigere Herstellkosten die positive Ergebnisentwicklung. Ab dem Jahresende erwartet das Unternehmen zudem erste Einsparergebnisse durch das Effizienzprogramm Evonik Tailor Made. Im Rahmen des Sparprogramms will Evonik bis Ende 2026 weltweit 2.000 Arbeitsplätze abbauen und dabei die Hierarchieebenen im Unternehmen von derzeit zehn auf maximal sechs reduzieren. Nach Recherchen der Wirtschaftswoche ist derzeit jeder fünfte Mitarbeitende der insgesamt etwa 33.000 Angestellten eine Führungskraft. Das würde den Geschäftsbetrieb unnötig verkomplizieren: „Wir bremsen uns selbst aus“, äußerte sich Evonik-Personalvorstand Thomas Wessel.

Auch Bill Anderson, seit einem Jahr Vorstandvorsitzender bei Bayer, hat eine umfassende Restrukturierung gestartet, um die Agilität des Unternehmens zu steigern. Sein neues Organisationsmodell mit dem Namen „Dynamic Shared Owner­ship“ will Bürokratie abschaffen. „Wir haben 900 Teams zusammengestellt, die an den wichtigsten Aufgaben des Konzerns arbeiten“, sagt Anderson. Dabei wurden Hierarchieebenen gestrichen und Führungspositionen abgebaut. So wird z. B. das Führungsteam der Pharmasparte künftig nur noch fünf statt elf Personen umfassen. Wie viele Stellen insgesamt entfallen, verrät der Firmenchef nicht. Derzeit beschäftigt Bayer etwa 96.500 Mitarbeitende, knapp 5.500 weniger als Mitte 2023. Nach Implementierung des Programms will der Konzern ab 2026 rund 2 Mrd. EUR pro Jahr an Kosten einsparen. Im ersten Halbjahr 2024 erzielte der Agrarchemie- und Pharmakonzern Bayer einen Umsatz von 24,9 Mrd. EUR, 2,1 % weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Das Ergebnis vor Steuern sank um 11,7 % auf 5,9 Mrd. EUR.

 

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Auch der Kunststoffhersteller Covestro setzt auf ein Effektivitäts- bzw. Sparprogramm mit griffigem Namen, um den konjunkturellen Herausforderungen zu begegnen: „Strong“ heißt das globale Transformationsprogramm, mit dem das Unternehmen seine Wettbewerbsfähigkeit sichern möchte. Bis 2028 will das Unternehmen jährlich Einsparungen von 400 Mio. EUR bei Sach- und Personalkosten umsetzen, 180 Mio. EUR davon an deutschen Standorten. „Das Marktumfeld bleibt sehr herausfordernd“, sagt Covestro-Chef Steilemann, dessen Konzern sich aktuell in Verhandlungen für eine Übernahme durch den arabischen Ölkonzern ADNOC befindet. Covestro hat derzeit mit niedrigeren Verkaufspreisen zu kämpfen. Zwar stiegen die Produktionsmengen des Unternehmens im ersten Halbjahr an, der Umsatz sank jedoch um 3,5 % auf 7,2 Mrd. EUR und das Ergebnis vor Steuern überproportional um 11,6 % auf 593 Mio. EUR.

Eine vergleichbare Entwicklung meldet auch BASF: Im ersten Halbjahr 2024 ging der Umsatz um 9,7 % auf 33,7 Mrd. EUR zurück. Das Ergebnis vor Steuern sank im gleichen Rahmen um 10,6 % auf 4,7 Mrd. EUR. „Die Dynamik des ersten Quartals, das durch eine positive Mengenentwicklung in den meisten unserer Geschäftsbereiche gekennzeichnet war, hat sich fortgesetzt. Die Preise standen weiter unter Druck“, sagte Markus Kamieth, neuer Vorstandsvorsitzender der BASF, anlässlich der Halbjahreszahlen Ende Juli. Dem Chemieproduzenten machen vor allem die hohen Energiekosten in Europa, insbesondere in Deutschland, zu schaffen. Mitte Juli reagierte der Konzern mit Anlagenschließungen in Frankfurt und Knapsack bei Köln, die mit einem Stellenabbau von 300 Angestellten einhergehen. Bereits 2023 startete BASF ein umfassendes Sparprogramm, das Anfang 2024 nochmals erweitert wurde: Es sieht die Schließung energieintensiver Anlagen und den Abbau von weltweit 2.600 Stellen vor und soll bis Ende 2026 über 2 Mrd. EUR pro Jahr einsparen, einen Großteil davon in Ludwigshafen. Im September 2024 sollen weitere Details für den Standort Ludwigshafen bekanntgegeben werden. Und dennoch ist Kamieth zuversichtlich, dass BASF seine Jahresziele für 2024 erreicht und ein Ergebnis zwischen 8,0 und 8,6 Mrd. EUR erzielen wird. Dabei geht er davon aus, dass das Unternehmen die Preise im zweiten Halbjahr erhöhen kann.

 

Kamieth Markus Kamieth, Vorstandsvorsitzender, BASF

„Die Dynamik des ersten Quartals, das durch eine positive Mengenentwicklung in den meisten unserer Geschäftsbereiche gekennzeichnet war, hat sich fortgesetzt. Die Preise standen weiter unter Druck.“

 


Mehr Aufträge, weniger Erträge im zweiten Halbjahr

Mit einer positiven Konjunkturentwicklung im zweiten Halbjahr rechnet auch der VCI und prognostiziert ein Produktionsplus von 3,5 % und ein Umsatzplus von 1,5 % für das Gesamtjahr 2024. Wesentlicher Treiber bleibt dabei das Auslandsgeschäft. Trotz dieser Prognose ist die Stimmung in der Branche weiterhin gedämpft. Laut den Ergebnissen der aktuellen VCI-Mitgliederbefragung spüren erst 30 % der Unternehmen eine konjunkturelle Erholung. Rund 50 % hoffen im zweiten Halbjahr oder im Jahresverlauf 2025 auf eine Besserung. Das heißt aber auch: „Jedes fünfte Unternehmen sieht noch kein Licht am Horizont und die konjunkturelle Erholung in weiter Ferne“, warnt Steilemann. Zu stark belasten die strukturellen Nachteile am Standort Deutschland. Die Unternehmen rechnen deshalb damit, dass sich die Ertragslage im Gesamtjahr 2024 noch einmal verschlechtern wird.

 

Anderson Bill Anderson, Vorstandsvorsitzender bei Bayer, hat mit dem Dynamic-Shared-Ownership-Programm eine umfassende Restrukturierung gestartet, um die Agilität des Unternehmens zu steigern.

 

 

 

Größtes Hemmnis bleiben Standortprobleme

„Wir erwarten zwar, dass sich die Auftragslage im Jahresverlauf verbessert. Die Signale leichter Entspannung dürfen aber den Blick auf die Standortprobleme nicht verstellen: Neben fehlenden Aufträgen bereiten uns die Energiepreise und die Bürokratie die größten Sorgen“, sagt der VCI-Präsident. In der Tat sind Bürokratie und Regulierungen nicht nur ein abstraktes Hemmnis, sondern ein massiver Kostenfaktor. Im Durchschnitt wenden die Unternehmen rund 5 % ihrer Umsätze für die bürokratischen Erfordernisse auf, so das Ergebnis einer aktuellen Umfrage des VCI.

Mehr als 70 % der Unternehmen sehen sich durch regulatorische Anforderungen massiv behindert. Damit bleibt die Bürokratie das größte Geschäftshemmnis. Grund dafür sind nicht nur die dadurch entstehenden Kosten, sondern auch die stetig steigende Zahl an neuen Regelungen, die die Unternehmen zunehmend überfordern. Ein weiterer erheblicher Kostenfaktor für die Unternehmen bleiben die hohen Energiepreise. Noch immer sehen 45 % ihre Geschäfte dadurch erheblich belastet.

In dieser Gemengelage investieren immer weniger Chemieunternehmen am Standort Deutschland. Laut VCI-Mitgliederbefragung gingen die Investitionen der Branche in Deutschland im vergangenen Jahr um 2 % auf 9,2 Mrd. EUR zurück. Gleichzeitig stiegen die Investitionen im Ausland mit rund 12 Mrd. EUR gut 8 %.
Zuversicht gibt hier ein Blick auf die Investitionen der Pharma­industrie aus dem Ausland. Nach Berechnungen des Handelsblatts wurden allein im vergangenen Jahr 7 Mrd. EUR an Investitionen angekündigt, u. a. von Sanofi, GSK, Eli Lilly und Novartis. Damit wird die Pharmabranche immer wichtiger für die deutsche Wirtschaft.

Im Jahr 2023 beschäftige die deutsche Pharmaindustrie 133.000 Mitarbeitende und trug 30 Mrd. EUR direkt sowie weitere 12,4 Mrd. EUR indirekt zur Wertschöpfung bei.


Andrea Gruß, CHEManager

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