BVL Forum Chemielogistik 2018: Trendsetter haben die Nase vorn
BVL Forum in Antwerpen zeigte Möglichkeiten für Chemielogistik im digitalen Zeitalter auf
Welche neuen Perspektiven die Digitalisierung bzw. die Nutzung der heutigen, digitalen Möglichkeiten bietet, zeigten einmal mehr die Vorträge beim diesjährigen BVL Forum Chemielogistik. Es wurde deutlich, dass in vielen logistischen Bereichen digitale Lösungen bereits in den Alltag eingezogen sind, dass aber noch genügend Spielraum für Leistungsverbesserungen bleibt.
In einem völlig neuen Umfeld fand das Forum Chemielogistik der Bundesvereinigung Logistik in diesem Jahr statt. Erstmals trafen sich Referenten und Teilnehmer an einem zentralen Umschlagplatz für Chemikalien, dem Hafen von Antwerpen, und nicht an einem Produktionsstandort der chemischen Industrie. Unter der Überschrift „Opportunities in the Digital Age“ wurde das Forum mit größerer internationaler Beteiligung auch zum ersten Mal in englischer Sprache gehalten.
Schon die Schiffsrundtour durch das weitläufige Gelände des Antwerpener Hafens, in dem sich Cargohandling, Chemie- und Petrochemie-Industrie und Logistik treffen, stimmte die Teilnehmer positiv ein. Der Abendempfang im beeindruckenden Porthaus tat sein Übriges.
Durch den darauffolgenden Forumstag, zum dem ca. 120 Teilnehmer angereist waren, führte wieder Thomas Wimmer, der Vorsitzende der Geschäftsführung der BVL.
„Supercomputer in der Hosentasche“
Mit dem Film „Feel the Chemistry“ begrüßte William Demoor, Antwerp Port Authority, die Teilnehmer, weckte Erinnerungen an den vorigen Tag und stimmte auf das Forum ein. Er betonte, welche Bedeutung die wichtigen Themen der Supply Chain – wie Digitalisierung, Mobilität, Nachhaltigkeit, Sicherheit, Investment – auch für den Hafen Antwerpen haben, und erklärte wie die Hafenverwaltung diese angeht.
Auch ging Demoor auf die guten Verbindungen des Seehafens ins Hinterland ein und die Synergien, die durch die Optimierung der Chemielieferkette entstünden. Zudem seien an der Churchill Industrial Zone neue Investitionsmöglichkeiten für die Chemiebranche vorgesehen. „Wir möchten gerne ein Heimathafen für die chemische und petrochemische Industrie sein, entdecken Sie die digitalen Möglichkeiten in Antwerpen“, äußerte er die Bestrebungen des Hafens.
„Was ist Digitalisierung?“, lautete die Eingangsfrage zum Vortrag „Towards the vision of a smart digital hub” von Erwin Verstraelen, Antwerp Port Authority. Diese fundamentale Frage sei auf Entscheider-Ebene diskutiert worden, um die digitalen Möglichkeiten für den Hafen als Hub auszuloten. Der Hafen spiele vor allem die Rolle des Vermieters, Regulators und Operateurs. Als „digitales Nervensystem“ könnten künftig z.B. Drohnen, ein Netzwerk von Sensoren, autonome Schiffe, etc. zum Einsatz kommen. Zurzeit würden alle Beteiligten im Hafen gemeinsam über die Datenplattform NxtPort die digitale Supply Chain erschaffen – für mehr Transparenz und höhere Effektivität in den logistischen Vorgängen. Unterschiedlichste Applikationen lassen sich dort aufzusetzen und jeweilige Datenzugriffe reglementieren.
Wichtiger Treiber der Digitalisierung sei das Smartphone, der „Supercomputer“ in der Hosentasche, der zum Gebrauchsgegenstand geworden sei. Mit wenig Aufwand ließe sich damit schon heute vieles realisieren, wie z.B. die Navigations-App Waze zeige, über die man unterschiedliche, nützliche Informationen mittels aktiver Bereitstellung durch die angeschlossenen Teilnehmer erhalte.
Agile Supply Chain
Auf die Herausforderungen durch internationale Supply Chains für ein japanisches Chemieunternehmen ging Henning Schussmuller, Sumitomo Chemical Europe, in seinem Vortrag „Agility in the supply chain enables the business to win its challenges“ ein. Anhand von Petrorabigh einem Jointventure von Sumitomo mit Saudi Aramco verdeutlichte er das Wesen einer collaborativen Supply Chain (SC). Nachvollziehbare EDI (Electronic Data Interchange)- Lösungen sollen helfen, die logistischen Herausforderungen zu meistern und die Komplexität über alle beteiligten Businesspartner zu beherrschen. Der Austausch zwischen Singapur, Saudi Arabien und Antwerpen über vereinfachte EDI-Anwendungen ermögliche es, sich auf die wirklichen „Added Value“-Themen zu konzentrieren.
Die Digitalisierung und die IoT-Möglichkeiten führen laut Schussmuller unweigerlich zur Anpassung der SC an die neuen Gegebenheiten. Dadurch eröffnete Möglichkeiten der Visualisierung von Vorgängen führten zu mehr Transparenz. So wurde bspw. ein Blockchain-Projekt zum Ersatz der Papierdokumentation beim Verschiffen von Containern umgesetzt, wodurch ca. 50% der bisherigen Kosten eingespart werden konnten.
In einer spannenden Podiumsdiskussion zum Thema „4PL services in chemicals supply chains – opportunities and risks arising from the use of LLP and 4PL providers“ wurde das Für und Wider von 4PL Dienstleistungen erörtert. Der gemischten Spezialistenrunde gehörten Andreas Backhaus, BASF, Michael Kriegel von Dachser, Constantin Reuter von Camelot Management Consultants, und Kai Althoff, 4flow, an. Die Diskussion leitete Christian Kille, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt, der als Mitautor einer aktuellen Studie zum Thema Logistikoutsourcing punktgenaue Fragen stellte. Als einige, essentielle Erkenntnisse der Diskussion lassen sich festhalten: mit Partnern Daten zu teilen, ist für viele Chemieunternehmen ein Problem. Daten sollten aber genutzt werden, um Fehler zu finden und neue Erkenntnisse zu erhalten. „One size fits all“ funktioniert im Logistik-Outsourcing nicht.
Transparenz und Differenzierung durch Digitalisierung
Bart Witdouck, Evonik Antwerpen, läutete die Nachmittagssequenz mit seinem Referat „Evolutions in cloud solutions for chemical clusters“ ein und füllte die Cloud Solutions mit Leben. Schon 1992 hatte Evonik die grundlegenden Schritte der Digitalisierung getan, doch bis vor kurzem herrschte noch immer Silodenken und man fragte sich, wie sich intelligente Systeme integrieren lassen und diese neuen, technologischen Möglichkeiten durch die Mitarbeiter sinnvoll genutzt werden könnten.
Witdouck zeigte am Beispiel des ECD (EFTCO Cleaning Document), wie ein bislang analoger Vorgang in eine Cloudlösung umgewandelt wurde. Dieses eECD-Projekt sollte mehr als nur papierloses Arbeiten bringen. Es sollten dadurch die Sicherheit, (Daten-)Qualität und Effektivität erhöht, sowie die Compliance verbessert werden. In der hierfür genutzten Cloud von ECLIC werden zwischenzeitlich neben dem eECD viele Logistikdaten gespeichert wie z.B. Transport Order Daten, Ladungsinformationen, MSDS. Witdouck: „Die Prozesse lassen sich durch die neuen Möglichkeiten verbessern. Die Mitarbeiter müssen dabei immer mit einbezogen werden.“
Wie sich Unternehmen durch logistische Services hervorheben können, machte Thomas Krupp, TH Köln, in seinen Ausführungen deutlich. Sein umfassender Vortrag zum Thema „Differentiation through logistics services – creating competitive advantages in the chemical industries“ zeigte, ausgehend von der Möglichkeit sich durch Chemielogistik im Markt abzuheben, zu welchen weiteren positiven Effekten die zunehmende Digitalisierung der Logistik führen kann. Er erklärte die Unterschiede und jeweiligen Vorteile der logistischen Ansätze „Lean Chemical Logistics“ und „Agile Chemical Logstics“.
Logistik- und IT-Entwicklungen seien in der Vergangenheit stets Hand-in-Hand gegangen. So würden sich die Vorteile der Digitalisierung gerade in komplexen Produktionsnetzwerken mit vielen wertschöpfenden Einzelprozessen zeigen und dem Supply Chain Management neue Möglichkeiten eröffnen. Chemieunternehmen können lt. Krupp logistische Leistungen, wie z.B. zuverlässige, punktgenaue Lieferungen oder Transparenz entlang der Lieferkette, als Hebel zur Differenzierung einsetzen. Krupp: „Die Digitalisierung und die Automatisierung administrativer Prozesse werden die Rollen von Industrie, Handel und Logistikdienstleistern verändern. Trendsettern werden sich neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen.“
Hundertprozentige Nutzerorientierung
Welche digitalen Themen die Logistiker in der Ukraine bewegen, stellte Gleb Akchurin, Rhenus Revival, Ukraine, dar. In seinem Referat „Concepts and solutions for the chemical & agricultural logistics in Ukraine“ berichtete er über die unterschiedlichen digitalen Features, die bei Rhenus vor Ort eingesetzt werden. Hierbei ging er zunächst auf die strukturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten des Landes ein mit Fokus auf die Logistik-Situation im Agrochemikalienbereich.
Für die logistische Abwicklung gälte die Devise: „Alles was automatisiert werden kann, wird automatisiert.“ Inbound und Outbound laufen heute alle Vorgänge über EDI ab, was zu zehn möglichen Zuständen im Warenhandling und im Informationsaustausch mit den Kunden führe. Die Digitalisierung des CRM (mit den am Prozess Beteiligten) erlaube eine sehr transparente Darstellung der Aktivitäten und Kontakte mit den Kunden. Schwachstellen seien sehr einfach zu erkennen.
Zum Ende des Forumstages wurde es noch einmal spannend beim fachfremden Motivationsvortrag „Digital innovation – how to become a digital champion“ von Matthias Potthast, Etventure Corporate Innovation. Am Beispiel von Climate Fieldview, einer Online-Plattform, die mit diversen Tools Einzug die Agrarwirtschaft hält, erklärte er das Phänomen der immer schneller stattfindenden Disruption. Die größte Stärke der neuen digitalen Unternehmen sei ihre 100%ige Nutzerorientierung.
Traditionelle Unternehmen könnten in die Erfolgshöhen heutiger Topunternehmen kommen, indem sie Firmenstärken, wie Know-how, Brand, Vertrauen, etc. mit den Stärken von Startups verknüpfen, wie die Nutzerorientierung, Testfreude, rasche Umsetzung, etc. Überfrachtete Lösungen solle man vermeiden. Probleme der Kunden könne man nur vor Ort mit ihnen gemeinsam verstehen und lösen. Potthast: „Starten Sie gleich morgen und testen. Schon in vier Wochen werden Sie erste Erfolge verzeichnen.“