Vorfahrt für Wertschätzung
Fahrermangel in der Logistikbranche: Attraktive Ausbildungskonzepte sind gefragt
Sie haben ohne Zweifel einen der wichtigsten Jobs im Land: die Fahrer und nicht zu vergessen die Fahrerinnen, die inzwischen Einzug in die Männerdomäne gehalten haben. Ohne sie und die Logistik stünden in der Wirtschaft buchstäblich viele Räder still, die Regale in den Supermärkten und Kaufhäusern blieben bspw. leer. Umso alarmierender ist die Erkenntnis der International Road Transport Union (IRU): Der Speditionsbranche geht der Fahrernachwuchs aus. Bis zu 62% der Frachtführer in Europa klagen, dass sie große Probleme bei der Einstellung von Lkw-Fahrern haben.
Die Anfang 2023 veröffentlichte Konsortialstudie mit dem Titel „Begegnung von Kapazitätsengpässen in der Logistik mit Schwerpunkt Fahrpersonal“ hat auf Basis aktueller Statistiken errechnet, dass derzeit in Deutschland mehr als 70.000 Lkw-Fahrende fehlen und pro Jahr rund 20.000 weitere Stellen am Steuer nicht besetzt werden können. Das schlage schon jetzt volkswirtschaftlich zu Buche. So beziffert die Studie die aus dem Mangel entstehenden Kosten für die deutsche Wirtschaft allein im Jahr 2022 auf rund 10 Mrd. EUR.
„Wir dürfen nicht zulassen, dass sich der Fahrermangel verschlimmert“, mahnt IRU-Generalsekretär Umberto del Pretto. „Die Unternehmer tun ihr Bestes, aber die Regierungen und Behörden sollten ihre Anstrengungen verstärken, um die Arbeitsbedingungen und den Zugang zum Beruf zu verbessern.“
Ein Berufsbild auf dem Prüfstand
Die Agenda für die Politik ist damit gesetzt. Um den Kunden gerade aus der anspruchsvollen chemischen Industrie weiterhin verlässlich und planbar mit Transport- und Logistikdienstleistungen zur Seite stehen zu können, sind aber auch Logistiker selbst gefordert. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen wie: Wie rekrutieren wir junge Menschen für den Einstieg in diesen Beruf? Wie können wir ein zuletzt vielfach negativ wahrgenommenes Berufsbild „renovieren“ und attraktiver gestalten? Wie steigern wir das gegenseitige Vertrauen und die Wertschätzung für die Menschen ‚on the road‘? Wie lassen sich die zunehmend hohen Anforderungen, speziell auch im Umgang mit Gefahrgut, als spannende berufliche Herausforderung vermitteln? Und wie bringen wir über einzelne, gezielte Ausbildungsmaßnahmen einen Stein ins Rollen, der am Ende skalierbar ist und so den Weg aus dem Mangel ebnet?
Als eines der ersten Unternehmen hat sich Dachser schon 2014 dem Thema Fahrerknappheit gestellt. Auch wenn der europäische Marktführer in der Stückgut- und Kontraktlogistik keinen großen eigenen Fuhrpark unterhält und stattdessen mit selbstständigen Fuhrunternehmen zusammenarbeitet, hat das Unternehmen vor zehn Jahren die Initiative ergriffen und mit der „Dachser Service und Ausbildungs GmbH“ eine eigene Qualifizierungsoffensive gestartet. Das Ziel: junge Menschen für den Fahrerberuf gewinnen, sie begeistern, ausbilden und langfristig – vielleicht später sogar als Transportdienstleister – für den Markt sichern.
„Dachser möchte junge Menschen für den Fahrerberuf gewinnen, sie begeistern, ausbilden und langfristig – vielleicht später sogar als Transportdienstleister – für den Markt sichern.“
Auszubildende finden und begeistern
Seither wurden jährlich über 100 Auszubildende auf ihrem Weg zu Berufskraftfahrern qualifiziert. Darüber hinaus wurden die berufliche Weiterbildung (TQ1) professionalisiert und sämtliche Prozesse rund um die Fahrerwelt auf den Prüfstand gestellt. Beispielsweise gehörte dazu, in jeder deutschen Dachser-Niederlassung die Position eines Fuhrparkmanagers, der sich dezidiert um die Belange der Fahrenden kümmert, zu besetzen.
„Logistics is people business“, heißt es bei Dachser. Dahinter steht die Überzeugung, dass jeder Mitarbeitende auf allen operativen Ebenen eine Bedeutung und einen hohen Stellenwert hat. Eine solche Wertschätzung und Arbeitskultur spiegelt sich auf der Ebene der Berufskraftfahrer nicht zuletzt auch in modernen, angenehmen Arbeitsplätzen wider. Dazu gehört, dass der Lkw und die Lkw-Kabine auf dem neuesten Stand der Technik und Ergonomie sind, dass aber auch Themen wie gesunde Ernährung, Bewegung und Suchtprävention angesprochen werden.
Auch auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit in Logistikprozessen spielt die Berufsgruppe der Kraftfahrer eine wichtige Rolle. Studien zeigen, dass sich über Schulungen Treibstoffverbrauch und CO2-Emission um bis zu 14 % reduzieren lassen. Das kommt bei den Fahrenden an. Die nun immer öfter im Nah- und Fernverkehr eingesetzten E-Transporter und E-Lkw werden bei Dachser oft von den Azubis gefahren, die als ‚First Mover‘ Selbstbestätigung und die Gewissheit finden, auf einem guten Zukunftsweg zu sein.
Mit Innovationen und Technologie faszinieren
Attraktiv für den Nachwuchs sind auch Logistikprojekte wie ‚Drive‘, eine Innovation der BASF in Ludwigshafen zur Reduzierung der Durchlaufzeiten von Lkw. Mit Hilfe neuer digitaler Prozesse und RFID-Technik werden bei der Einfahrt ins Werk rund 30 Minuten eingespart und die Ladevorgänge optimiert. Für die Fahrenden heißt dies weniger Stillstand und Wartezeiten. Gleichzeitig erleben sie, wie ihr Tun in einem größeren Zusammenhang steht und zum gemeinsamen Erfolg beiträgt. Damit geht ein hoher Motivationseffekt für die Akteure einher.
Um die Entwicklungsmöglichkeiten des Berufsbildes zu verstehen und daraus Optimierungspotenziale ableiten zu können, führt Dachser in seinen Niederlassungen regelmäßig umfassende Wertstromanalysen durch. Hier fließen explizit auch die Belange der Fahrenden mit ein.
Partnerschaftliches Miteinander kultivieren
Dachser geht noch einen Schritt weiter. So wurde unlängst eine Task Force ins Leben gerufen, mit dem Ziel, die Transportkapazitäten auch in Spitzenzeiten sicherzustellen. Diese Beschäftigten arbeiten in der Arbeitnehmerüberlassung bei den Dachser-Transportpartnern und unterstützen die Niederlassungen im Bedarfsfall. Zu einer optimalen Zusammenarbeit im wertschätzenden Miteinander wurde eine Service-Partner-Initiative mit Mitarbeitenden aus dem Head Office, Regional Head Offices und den Niederlassungen gegründet. Diese ernennt u.a. Koordinatoren, die an der Schnittstelle von Strategie und operativer Ebene mit den Transportpartnern die Servicequalität voranbringt. Die ersten Schritte dazu wurden und werden in allen europäischen Ländern, in denen Dachser mit eigener Niederlassung vertreten ist, umgesetzt.
Auch wenn über die verschiedenen, ineinandergreifenden Initiativen und Projekte allein der strukturell bedingte und weltweit auftretende Fahrermangel nicht zu beheben sein wird, ist doch ein Zeichen gesetzt. Zukunftsfähige Logistik entscheidet sich über die Qualität der Dienstleistung und der Menschen, die sie Tag für Tag erbringen.
Autor: Michael Kriegel, Department Head Dachser Chem Logistics, Dachser, Kempten
„Auch auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit in Logistikprozessen spielt die Berufsgruppe der Kraftfahrer eine wichtige Rolle.“
Zur Person
Michael Kriegel blickt auf nahezu 30 Jahre Berufserfahrung in der Logistikbranche zurück. Er absolvierte 1995 ein duales Studium bei Dachser in Hannover und betreut zentral seit 2003 Unternehmen der chemischen Industrie. Seit 2007 verantwortet Kriegel in der Executive Unit IT & Development (ITD) die Branchenlösung Dachser Chem Logistics. Ziel der Einheit ist es, globale Logistiklösungen für die chemische Industrie voranzutreiben.