Dresdner Start-up macht Medikamente sicherer
PharmAI und 2bind entdecken Nebenwirkungen in Rekordzeit
Die beiden Unternehmen kombinieren dafür Künstliche Intelligenz und hocheffiziente biophysikalische Tests. Bisher stellte die frühe Identifikation unerwünschter Wirkungen von Arzneien eine enorme – mit hohem Ressourcenaufwand verbundene – Herausforderung dar und glich der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Mit dem neuen Ansatz liegen Ergebnisse bereits nach acht Wochen vor. Das hilft Risiken der Wirkstoffforschung enorm zu senken.
PharmAI ist eine Ausgründung der Technischen Universität Dresden. Die entwickelte Software DiscoveryEngine des 2019 gegründeten Start-ups basiert auf der Analyse von Proteinstrukturdaten. Sie nutzt Informationen über die Beschaffenheit der Proteine im menschlichen Körper, von Viren oder anderen Krankheitserregern und extrahiert Wissen darüber, wie diese Eiweiße mit bekannten Wirkstoffen und anderen niedermolekularen Verbindungen in Wechselwirkung treten. Mittels cleverer Algorithmen und künstlicher Intelligenz sucht die Software unter vielen hunderttausend Kandidaten in einer Datenbank nach passenden Verbindungen zwischen Proteinen und Wirkstoffen. Bisher nutzte das Team von PharmAI diese Technik, um einen Screening-Workflow zu entwickeln, welcher dazu eingesetzt wird, neue Therapiemöglichkeiten zu finden, indem die DiscoveryEngine noch unbekannte Verbindungen zwischen Krankheiten und Wirkstoffen aufdeckt. „Nun haben wir unsere Technologie erstmals dafür verwendet, sogenannte Off-Targets aufzuspüren – also unerwünschte Wirkstoffziele, die zu Nebenwirkungen führen“, erklärt PharmAI-Geschäftsführer Joachim Haupt.
In einem aktuellen Projekt mit 2bind beschäftigte sich PharmAI mit dem Enzym MAPK14. Es ist in vielen Zelltypen vorhanden und unter anderem für die DNA-Reparatur von Bedeutung. In den vergangenen Jahren wurde deutlich, dass MAPK14 auch an der Autophagie, der zellulären Müllabfuhr, beteiligt ist und damit ebenfalls für die Krebstherapie von Interesse ist. Mittels der DiscoveryEngine suchten die Wissenschaftler Verbindungen zwischen einem sogenannten Kinase-Inhibitor namens SB203580 und anderen Proteinen.
Kinase-Inhibitoren gehören zu den wirksamsten Mitteln gegen Krebs, weil sie das Tumorwachstum bremsen können. Sie agieren jedoch nicht selektiv und können damit auch andere Enzyme ausschalten. Die Gefahr schädlicher und sogar potenziell tödlicher Nebenwirkungen ist deshalb groß. „Gemeinsam fanden wir mit unserem Verfahren sehr schnell genau solche unerwünschten Nebeneffekte“, erklärt Haupt weiter.
Durch den Einsatz der DiscoveryEngine stießen die Experten aus Dresden auf 13 Proteine, die potenzielle Off-Targets darstellten. Diese sollten im Anschluss im Labor getestet werden. Mit 2bind – einem Experten für die Validierung von durch künstliche Intelligenz erzeugten Vorhersagen – hat PharmAI dafür einen kompetenten Partner gefunden. „Wir bringen die tatsächlichen, physischen Off-Targets ins Labor, markieren diese mit einem Fluoreszenzmarker und testen die Bindung des Kinase-Inhibitors, mit welchem alles angefangen hat: SB203580,” erklärt Maximilian Plach, CSO bei 2bind. Von den getesteten 13 Proteinen wurde für sechs ein Bindungsverhalten beobachtet, was einer außergewöhnlichen Trefferquote von 46% entspricht.
Die neu entwickelte Methode ist nicht nur effektiv, schnell und kostengünstig, sondern auch ressourcenschonend. „Für die Validierung der rechnergestützten Vorhersagen im Labor werden nur winzigste Mengen an Protein verwendet“, fügt Plach hinzu. Ein wichtiger Punkt, denn in der Regel stehen keine finanziellen Mittel und Zeit für die Produktion großer Proteinmengen zu Verfügung. Mit ihrem Service wollen PharmAI und 2bind deshalb auch in Zukunft dabei helfen, die Suche nach unerwünschten Nebenwirkungen in der Wirkstoffforschung zu revolutionieren. Die hier beschriebene neue Methode leistet einen signifikanten Beitrag dazu, die Medikamentenentwicklung sicherer zu machen.