Standorte & Services

Wachstumspotenziale über Branchengrenzen hinweg

Jürgen Vormann über Herausforderungen und Chancen für deutsche Chemieparks und Chemieparkbetreiber

25.10.2016 -

Vor knapp einem Jahr hat Jürgen Vormann, Vorsitzender der Geschäftsführung von Infraserv Höchst, den Vorsitz der Fachvereinigung Chemieparks im Verband der Chemischen Industrie (VCI) übernommen, in der er sich bereits seit ihrer Gründung im Jahr 2004 engagiert. In dieser Funktion vertritt Vormann die Interessen von 37 Chemiestandorten in Deutschland. Gegenüber CHEManager erläutert er die aktuelle wirtschaftliche Situation sowie die Rahmenbedingungen, unter denen die Betreiberfirmen agieren, und diskutiert Herausforderungen und Chancen für die Branche.

CHEManager: Herr Vormann, es wird viel von Chancen und Herausforderungen gesprochen. Wie würden Sie das aktuelle wirtschaftliche Umfeld für Chemieparks in Deutschland beziehungsweise in Europa beschreiben?

Jürgen Vormann: Wir erleben in der Chemie- und Pharmabranche seit geraumer Zeit eine wirtschaftliche Seitwärtsentwicklung. Nur in einzelnen Teilbereichen gibt es aktuell Wachstumschancen. Insgesamt haben sich die Wachstumsimpulse in den USA, aber auch in China oder in der Middle-East-Region abgeschwächt. Die zeitweise sehr dynamische Entwicklung des chinesischen Marktes ist abgeflacht, auch wenn die Wachstumsraten in China noch immer deutlich über denen europäischer Länder liegen. In einigen Marktsegmenten spielen die Entwicklungen der Energie- und Rohstoffpreise eine wichtige Rolle. Für die Unternehmen der Petrochemie haben die dauerhaft niedrigen Rohölpreise natürlich Umsatzverluste zur Folge. Aber auch andere Unternehmen und Standorte sind in besonderem Maße von der Entwicklung der Primärenergiepreise abhängig.

Was bedeutet die derzeitige globale Situation konkret für das Investitionsklima in Europa?

Jürgen Vormann: Insgesamt beobachten wir in der chemischen Industrie in Europa ein sehr verhaltenes Investitionsniveau. Es werden nur wenige große Investitionsmaßnahmen umgesetzt, für Standortbetreiber gibt es kaum Neuansiedlungen. Ich bin davon überzeugt, dass sich diese Situation kurzfristig nicht ändern wird. Es fehlt an nachhaltigen Wachstumsimpulsen, aus anderen Branchen, aber auch den geeigneten Rahmenbedingungen.

Welche Faktoren könnten das Investitionsklima positiv beeinflussen?

J. Vormann: Ich kann das nur immer wieder betonen: Produzierende Unternehmen, die große Summen in neue Anlagen oder Produktionserweiterungen investieren und damit zur Sicherung ganzer Standorte und vieler Arbeitsplätze beitragen, brauchen vor allem Planungssicherheit. Für energieintensive Branchen müssen verlässliche Grundlagen geschaffen werden, damit sich die Investitionen von heute und morgen auch übermorgen noch rechnen. Mehr als die eigentlichen Energiepreise sind es dabei die häufigen Veränderungen regulatorischer Rahmenbedingungen, die Investitionen im Wege stehen.

Politische Stabilität ist im internationalen Vergleich ein weiterer wichtiger Faktor. Hier konnten wir in Europa immer Pluspunkte sammeln. Inzwischen führt allerdings die Disparität von nationalen und europäischen Regelungen zunehmend zu Problemen, auch für die Chemieindustrie.

Gibt es aus Ihrer Sicht weitere Faktoren, die für Investitionen von Chemieunternehmen ausschlaggebend sein können?

J. Vormann: Zu den Anforderungen des Marktes an Chemiestandorte gehören auch logistische Infrastrukturen. Hier müssen wir gerade in Deutschland darauf achten, dass wir weiter in Verkehrswege investieren und diesen wichtigen Standortvorteil bewahren.

Standortbetreiber müssen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit über ein Höchstmaß an Effizienz und Flexibilität permanent unter Beweis stellen. Zentrale Faktoren bei Standortentscheidungen von Unternehmen sind dabei die Verfügbarkeit und die Versorgungssicherheit in Bezug auf Energie, Rohstoffe und notwendige Serviceleistungen. Ein Standortbetreiber muss zudem flexibel auf sich verändernde Anforderungen reagieren können und somit auch dem Kunden zu mehr Flexibilität verhelfen. Das Preisniveau ist im Vergleich zu den anderen Faktoren nicht allein ausschlaggebend, aber natürlich müssen deutsche und europäische Standortbetreiber hocheffizient agieren, um zu international wettbewerbsfähigen Kostenstrukturen zu gelangen.

Wie wichtig ist gesellschaftliche Akzeptanz neben den eben erwähnten wirtschaftlichen Faktoren für die Chemieindustrie, gerade auch im nachbarschaftlichen Umfeld?

J. Vormann: Wenn wir für unsere Branche Entwicklungsmöglichkeiten reklamieren, müssen wir uns dem Dialog mit der Gesellschaft stellen und auch die kritischen, kontroversen Themen besetzen. Wir produzieren hinter hohen Werksmauern, die die Kommunikation erschweren, aber nicht unmöglich machen. Es ist wichtig, um Vertrauen zu werben und uns das Vertrauen der Menschen zu erarbeiten. Zu viel Kommunikation und Dialog kann es da eigentlich gar nicht geben.

Chemieunternehmen in Deutschland produzieren auf dem neusten Stand der Technik, auch in Bezug auf die Sicherheit. Darüber können wir offen sprechen, um den Menschen im Umfeld deutlich zu machen, wieviel wir in Anlagensicherheit und Umweltschutz investieren. Wir müssen auf der anderen Seite aber auch deutlich machen, dass Chemiestandorte einen „cordon sanitaire“ benötigen. Gerade in Ballungsräumen und im städtischen Umfeld muss auch und gerade bei der Ausweisung neuer Baugebiete ein Mindestabstand eingehalten werden, um produzierenden Unternehmen Planungssicherheit und Entwicklungsmöglichkeiten zu gewähren. Gemeinsam haben Politik und Betreibergesellschaften an verschiedenen Standorten bereits tragfähige Lösungen erarbeitet, die als Vorlage für weitere Regelungen herangezogen werden können.

Wird die Bedeutung der Chemieindustrie in der Öffentlichkeit verkannt?

J. Vormann: Ich glaube, die Menschen wissen, was sie an der Chemie- und Pharmaindustrie haben. Wir haben auch in den wirtschaftlich schwierigen Jahren trotz Banken- und Finanzkrise Arbeitsplätze erhalten und geschaffen, wir bieten attraktive Ausbildungsmöglichkeiten und gehören zu den großen Gewerbesteuerzahlern. Vor allem aber ist die Chemieindustrie auch entscheidend an der Lösung der großen globalen Herausforderungen beteiligt, beispielsweise wenn es um die Ernährung der Weltbevölkerung, die Energieversorgung der Zukunft oder um neue Umwelttechnologien geht. Das alles können wir den Menschen gar nicht oft genug sagen.

Wo sehen Sie Entwicklungsmöglichkeiten und –grenzen für Chemieparks und Chemieparkbetreiber?

J. Vormann: Chancen bestehen definitiv in der Übertragung von Betreibermodellen auf andere Standorte und Branchen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir eine Standortkonsolidierung in der Chemie- und Pharmaindustrie erleben werden, weil nur Standorte ab einer kritischen Größe die erforderliche Infrastruktur aufrechterhalten und wettbewerbsfähig betreiben können. Hier wird es entscheidend darauf ankommen, dass dem unter Wettbewerbsgesichtspunkten sinnvollen Outsourcing von Sekundärprozessen keine regulatorischen Hürden in den Weg gestellt werden, beispielsweise bei der Energieversorgung. Wenn es für die Eigenstromversorgung von Multi-User-Parks keine geeigneten Regelungen gibt, kann das den Bewegungsspielraum von produzierenden Unternehmen und Standortbetreibern entscheidend einengen.

Zusätzliche Potenziale sehe ich für Betreibergesellschaften auch in anderen Branchen der prozessorientierten Industrie, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen wie die Chemie- und Pharmaindustrie und sich auch die Frage stellen, ob man einen Produktionsstandort auch komplett selbst betreiben muss. Unsere Branche hat auf diese Frage relativ frühzeitig Antworten gefunden, daher sind Betreibergesellschaften in Deutschland in Bezug auf Flexibilität und Effizienz in einer ausgezeichneten Wettbewerbsposition. Hier gibt es Wachstumspotenziale für die Zukunft.

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