Wachstum durch Internationalisierung
Chemiedistributor Häffner investiert in Deutschland und expandiert in Europa
Das süddeutsche Chemiedistributionsunternehmen Häffner blickt auf eine über 120-jährige Tradition zurück. Die einstige Handelsagentur für Säuren hat sich zu einem Spezialisten für die Distribution von Säuren und Laugen, Lösemitteln sowie Spezialchemikalien mit rund 200 Mitarbeitenden, etwa 130 Mio. EUR Jahresumsatz und einem europaweiten Netzwerk entwickelt. Dieses Netzwerk, Investitionen sowie neue Produkte sind Eckpfeiler für die Wachstumsstrategie des Familienunternehmens mit Stammsitz in Asperg bei Ludwigsburg. Michael Reubold sprach mit Geschäftsführer Thomas Dassler darüber, welche Themen die Firmengruppe derzeit umtreiben und wie sich der Mittelständler für die Zukunft aufstellt.
CHEManager: Herr Dassler, Häffner investiert derzeit an seinem Standort in Marbach in den Neubau eines hochmodernen Distributionszentrums. Welche Bedeutung hat diese Investition für die Zukunft des Unternehmens?
Thomas Dassler: Unser Standort in Marbach am Neckar umfasst derzeit ein Verwaltungsgebäude sowie ein Hochregallager mit mehr als 7.000 Palettenstellplätzen für Chemikalien verschiedener Gefahrstoffklassen. Dort ist unser Gruppenmitglied Dr. Wieland untergebracht. Der erste Bauabschnitt wurde bereits 2014 fertiggestellt und der jetzige zweite Bauabschnitt ist seit längerer Zeit geplant, denn wir wollen effizienter werden und wachsen. Aktuell arbeiten wir an drei Standorten – zwei in Asperg, an denen wir produzieren, konfektionieren und abfüllen – und dem rund 15 km entfernten Standort in Marbach, wo wir sowohl zugekaufte als auch abgefüllte Ware umschlagen. Drei Standorte zu betreiben kostet viel Geld und ist eine logistische Herausforderung. Die Konzentration aller Bereiche an einem Standort wird die Auftragsabwicklung beschleunigen und unsere Energiekosten und unseren CO2-Fußabdruck reduzieren.
Das klingt plausibel, und dennoch investieren Sie in Deutschland entgegen dem allgemeinen Trend.
T. Dassler: Definitiv. In der aktuellen wirtschaftlichen Lage Deutschlands denken viele Unternehmen, insbesondere in der Industrie, weniger ans Bauen als ans Abbauen. So investieren insbesondere große Unternehmen überwiegend im Ausland und fahren bestimmte Aktivitäten hierzulande aufgrund hoher Strom- und Energiekosten sowie regulatorischer Anforderungen zurück. Dies bietet jedoch dem deutschen Chemiehandel die Chance, für seine Lieferanten Tätigkeiten wie technische Services, Beratung, Abfüllung und Umschlag zu übernehmen und mehr Wertschöpfung zu generieren. So möchten wir unseren Prinzipalen und Kunden künftig auch als Lohnabfüller zusätzliche Dienstleistungen anbieten. Hierfür spielt die Investition in Marbach mit einem Volumen von rund 25 Mio. EUR eine große Rolle.
Wie ist der Stand des Bauprojekts in Marbach und wann rechnen Sie mit der finalen Inbetriebnahme?
T. Dassler: Wir haben nun die Behördengenehmigung für den Neubau erhalten und der erste Spatenstich wird im April erfolgen. Wir rechnen mit der Fertigstellung des Baus im August nächsten Jahres und mit der Inbetriebnahme Ende nächsten Jahres oder Anfang 2027. Die Verwaltung, der Verkauf, der Einkauf und andere Bereiche wie IT und Marketing sind kürzlich bereits nach Marbach umgezogen, zunächst in ein benachbartes gemietetes Gebäude. Wenn der zweite Bauabschnitt fertig ist, werden auch die Produktionsbereiche Säuren, Laugen, Lösemittel inklusive Versand und Logistik von Asperg nach Marbach ziehen.
Als ein essenzieller Teil der Chemiewertschöpfungskette ist der Chemiehandel Schicksalsgefährte der Chemieindustrie, die sich seit fünf Jahren ununterbrochen im Krisenmodus befindet. Wie schätzen Sie die Situation ein?
T. Dassler: Zunächst einmal glauben wir als Familienunternehmen an den Standort und sind überzeugt, dass sich Deutschland neu erfinden und seine Grundlagen wie das stabile Rechtssystem und die hohe Innovationskraft nutzen wird, um die aktuelle Krise zu meistern. Das beweist auch unsere Investition in Marbach. Aber natürlich ist der Nachfragerückgang in Deutschland deutlich spürbar. Fast alle Branchen hatten 2024 ein negatives Wachstum, lediglich Papier, Gesundheit und Ernährung bilden Ausnahmen. 2022 war noch ein Rekordjahr für den Chemiehandel, da nach der Coronakrise die seit 2020 reduzierten Lagerbestände wieder aufgebaut werden mussten und viele Produkte knapp und entsprechend teuer waren. Ende 2022 normalisierten sich die Verfügbarkeiten wieder und ab 2023 entspannten sich die Märkte, die Nachfrage sank, die Preise fielen, was die Branche im vergangenen Jahr unter Druck setzte. Auch für 2025 rechnen wir nicht mit einem signifikanten wirtschaftlichen Wachstum in Deutschland, sondern setzen auf die Erweiterung unseres Produktportfolios und unserer Kundenbasis. Wir wollen sowohl bestehende Kunden mit neuen Produkten bedienen als auch neue Kunden akquirieren. Zusätzlich wollen wir unsere internationalen Aktivitäten ausbauen, insbesondere in Europa.
Reagieren Sie damit auch auf generelle Markttrends?
T. Dassler: Ja! Es wird zum Beispiel zunehmend dazu kommen, dass wir in Deutschland Basischemikalien eher aus Drittländern wie China, Indien, dem Mittleren Osten oder vielleicht auch den USA importieren. Denn wenn die Produktionsanlagen hier in Deutschland abgestellt werden, sind diese Produkte entweder in der Menge nicht mehr verfügbar oder sie sind nicht mehr wettbewerbsfähig. Für die meisten Spezialchemikalien gilt dies nicht.
Auch Produktsegmente wie Chemikalien für die Galvanik und Oberflächenbehandlung, die in der Vergangenheit eine große Rolle für deutsche Chemiehändler gespielt haben, stehen infolge der Schwäche der Automobilindustrie unter Druck. Die Automobilproduktion ist eine wichtige Säule für die Chemieindustrie in Deutschland und sowohl für Chemikalienhersteller als auch für den Chemiehandel ein großer Markt. Dieser Markt gerät jedoch ins Wanken. Ich glaube nicht, dass sich die deutsche Automobilindustrie schnell neu erfindet und wir in zwei Jahren wieder steigende Absatzzahlen sehen werden. Daher wollen wir uns auf andere Branchen wie Wasch- und Reinigungsmittel, Kosmetik und Futtermittel konzentrieren. Diese Bereiche laufen stabil und bieten uns neue Marktchancen, die wir stärker in den Fokus rücken werden.
Haben sich auch die Erwartungshaltungen Ihrer Partner – Zulieferer und Abnehmer – in den letzten Jahren verändert?
T. Dassler: Ganz klar. Von unseren Partnern und Kunden wird immer mehr nachgefragt, insbesondere unter dem Stichwort Nachhaltigkeit, wie zum Beispiel Informationen über die eingesetzten Rohstoffe oder der Product Carbon Footprint. Diese Daten müssen wir zur Verfügung stellen. Da ist viel in Bewegung. Wir versuchen auch, wo es möglich ist, umweltfreundliche Produktalternativen anzubieten und damit ein Zeichen in Sachen Nachhaltigkeit zu setzen. Ein Beispiel ist das von unserem Gruppenmitglied GB Chemie vertriebene Lösemittel Tamisolve als effektivere, biologisch abbaubare Alternative zu herkömmlichen Lösemitteln wie NMP (Anm. d. Red.: NMP = N-Methyl-2-Pyrrolidon). Allerdings muss man realistisch bleiben: Ich sehe noch nicht, dass Kunden bereit sind, für solche Produkte einen Aufschlag zu bezahlen.
Welche anderen Themen treiben Sie gerade um? Wie beurteilen Sie zum Beispiel das Thema Bürokratie? Sind kleine und mittelständische Unternehmen von der Regulierungswut hierzulande überfordert?
T. Dassler: Laut einer Statistik wenden Chemieunternehmen rund 20 % der Arbeitszeit für die Themen Bürokratie und Regulierung auf. Auch ich spüre, wie sehr wir uns damit beschäftigen müssen, das beansprucht mittlerweile zwei Vollzeitkräfte. Nicht nur in Berlin, sondern auch in Brüssel werden die Dinge zunehmend verkompliziert, während unter anderem in Amerika die Regulierungen verringert werden und für Investoren der rote Teppich ausgerollt wird. Es ist gut, dass Chemie in gewissem Rahmen reguliert wird, aber wir brauchen mehr Praxisbezug und weniger weltfremde Vorschriften. Ich hoffe, dass sich dies ändert, aber aktuell müssen wir damit umgehen und diese Herausforderung meistern. Als Verbandsmitglied erhalten wir über das monatliche Rundschreiben vom Verband Chemiehandel einen guten Überblick über Gesetzesänderungen. Trotzdem müssen unsere Mitarbeiter zusätzlich Verantwortung übernehmen, um die Gesetze einzuhalten.
Thema Personal: Wie beurteilen Sie die Situation auf dem Arbeitsmarkt? Haben Sie Probleme, Nachwuchsfach- und -führungskräfte zu bekommen?
T. Dassler: Ich glaube, es gibt noch genügend Fachkräfte. Wir sprechen jetzt nicht über Raketenforscher, sondern über Chemiehandelskaufleute, Außendienstmitarbeiter, Disponenten oder Logistiker. Eine Ausnahme ist derzeit der Digitalbereich, wo es oft lange dauert, bis wir qualifizierte IT-Fachkräfte finden.
Grundsätzlich muss aber in den Unternehmen ein Umdenken stattfinden. Zum einen haben sich die Berufsvorstellungen von jungen Fach- und Führungskräften verändert. Neben dem Gehalt spielen Themen wie mobiles und flexibles Arbeiten, und Work-Life-Balance heute eine wichtige Rolle.
Und die sogenannten Information Workers wollen nicht bei einem Unternehmen anfangen, das keine Digitalisierungsstrategie hat und keine KI-Tools nutzt. Wir müssen uns als Arbeitgeber dem Arbeitsmarkt anpassen. Wenn eine Generation mit neuen Themen kommt, muss man darauf eingehen. Aber wir als Unternehmen müssen potenziellen Bewerbern auch besser klarmachen, was die Chemie an Vorteilen bietet.
Zum anderen ist auch der Bewerbungsprozess zu kompliziert und die Hemmschwelle, dass beide matchen und zueinander kommen, ist viel zu hoch. Dieser Prozess muss vereinfacht und beschleunigt werden, zum Beispiel indem der Erstkontakt auf einer Social-Media-Plattform stattfindet und über ein einfaches Verfahren, etwa mit drei Fragen nach dem Ausschlusskriterium, das gegenseitige Interesse innerhalb von 24 Stunden abgeklopft wird.
Sie haben das Thema Digitalisierung angesprochen. Dem deutschen Mittelstand wird nachgesagt, die Digitalisierung zu verschlafen.
T. Dassler: Das glaube ich nicht. Eine der größten Herausforderungen für den Mittelstand ist nicht das Verschlafen der Digitalisierung, sondern die im Vergleich zu anderen Ländern längere Umsetzungszeit digitaler Projekte. Das liegt an vielen Faktoren, die nicht unbedingt mit einem konkreten Unternehmen zu tun haben. Generell sind wir in Deutschland ein wenig von unserer Perfektionsgetriebenheit abhängig. Diese muss auf das digitale Umfeld und die sich schnell drehende Welt angepasst werden. Es geht aber auch darum, rechtliche Sicherheit zu gewährleisten.
Haben Sie eine Digitalisierungsstrategie?
T. Dassler: Ja, wir haben eine Digitalisierungsstrategie, auch künstliche Intelligenz ist dabei ein wichtiges Stichwort. Ein Teil dieser Strategie ist die Digitalisierung unseres Vertriebs. Wir sehen, dass sich der Chemiehandel und seine Abnehmer sowie Lieferanten verjüngen. Neue Mitarbeiter, die gerade ihre Ausbildung abschließen und in wenigen Jahren Verantwortung übernehmen, kaufen tendenziell anders ein als in den vergangenen Jahrzehnten. Ein Online-Shop im Chemiehandel ist als Matchmaking-Plattform wichtig, um Angebot und Nachfrage zusammenzubringen. Diese Plattform soll einfach sein und idealerweise eine ERP-Integration bieten. Ein Tool ist schnell eingeführt und ein Prozess schnell pseudo-digitalisiert. Nur weil es eine App gibt, heißt das noch lange nicht, dass sie im Sinne der Digitalisierung genutzt wird. Manche Tools sind Insellösungen und nicht in den Gesamtprozess eingebunden. Aber eine durchgängige Digitalisierung ist unerlässlich. Prozessoptimierung und Organisationsentwicklung müssen miteinander verschmelzen.
Unsere Kernprozesse stehen besonders im Fokus, da wir in zwei Jahren die Produktionsverlagerung nach Marbach planen. Die größte Herausforderung wird die Datenqualität und -pflege sein. Stammdaten sind dabei entscheidend. Ohne korrekte Daten landen wir im Nirwana. Derzeit führen wir ein Pilotprojekt für einen Online-Shop bei unserem Gruppenunternehmen Dr. Wieland durch. Dieses Projekt wird uns helfen, unsere Digitalisierung auf ein neues Level zu bringen.
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Zur Person
Thomas Dassler ist seit 2016 als Geschäftsführer bei Häffner für die Bereiche Vertrieb und Einkauf zuständig. Der gebürtige Wilhelmshavener (Jahrgang 1977) ist seit 2002 in der Chemiedistribution tätig, als er bei der Oldenburger BÜFA-Gruppe eintrat, zunächst als Manager in Einkauf und Verkauf und ab 2009 als Geschäftsführer das Tochterunternehmen Tricura. Dassler gehört zudem seit 2021 dem Vorstandsgremium des Verbands Chemiehandel (VCH) an und vertritt in dieser Funktion die Interessen des deutschen Chemikaliengroß- und -außenhandels.
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