Verpasste Chance für die deutsche Industrie
Die Bundesregierung hat den Befreiungsschlag in der Energiepolitik verspielt
Fast fünf Jahre sind seit der ersten Industriestrategie des Bundeswirtschaftsministeriums unter seinerzeit Peter Altmaier ins Land gezogen. Seitdem haben die Pandemie, der Ukrainekrieg und neue Krisen die Welt radikal verändert. China betreibt eine immer offener auftretende geopolitisch orientierte Wirtschaftspolitik, während die Welt von den Rohstoffen, autoritärer Regime abhängig ist, die USA setzten die europäischen Partner mit dem Inflation Reduction Act unter Druck.
Einladung zum Diskurs
Die Ambitionen des Ministeriums sind in diesem Lichte bescheidener geworden: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wollte daher bei der Vorstellung der neuen Industriestrategie das Dokument Ende Oktober dezidiert als „Einladung zum Diskurs über die Standortbedingungen in Deutschland“ verstanden wissen. Als Verband nehmen wir diese Einladung gerne an und müssen doch stets daran erinnern, dass über allen tagespolitischen und regulatorischen Fragen die industrielle Basis in Deutschland zur Disposition steht.
„Wir brauchen einen Transformationsstrompreis, der diesen Namen auch verdient.“
Befreiungsschlag verspielt
Die Problembeschreibung der Strategie ist zunächst richtig: Deutschlands Industrien stehen in einem harten internationalen Wettbewerb, in dem marktwirtschaftliche Mechanischem zunehmend suspendiert sind. Deutschland hat sich über Jahre in ein regulatorisches Dickicht manövriert, in dem die Energiepreise für die Grundstoffindustrie und energieintensive Industrien zu einer Existenzbedrohung geworden sind. Die kleinmütige Entscheidung der Ampelkoalition zu einem Strompreispaket mit Planungshorizonten von maximal fünf Jahren bleibt weit hinter dem zurück, was ein Brücken- oder Transformationsstrompreis bewirkt hätte: Ein Signal für langfristig wettbewerbsfähige Produktionsbedingungen auszusenden.
Die Koalition hat den dringend nötigen Befreiungsschlag, den der grüne Koalitionspartner, die SPD-Fraktion, Gewerkschaften und Grundstoffindustrien in seltener Einigkeit forderten, aus falsch verstandener Haushaltsdisziplin verspielt.
Es steht zu befürchten, dass immer mehr Unternehmen diese Verzagtheit zum Grund nehmen, ihre Investitions- und Standortscheidungen zulasten Deutschlands zu fällen.
Im Schatten der Industriestrategie arbeitet die Bundesregierung derzeit an mehreren Strategien: Carbon Management-, Biomasse-, Fachkräfte-, Leichtbau-, Digital-, Speicher-, Stromdesign-, Negativemissionen- und Kreislaufwirtschaftsstrategie, um nur einige zu nennen. Nicht zuletzt die Kreislaufwirtschaft ist auch angesichts der Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen eine Notwendigkeit, um die Prozessindustrien zu defossilisieren und zu transformieren. Diese Strategie kann durch sinnvolle politische Instrumente bei der CAPEX-Förderung von Technologiepfaden wie dem chemischen Recycling oder CCU begleitet werden.
Wettbewerbsfähigkeit wieder erringen
Diese Transformation setzt aber immer eine starke Industrie voraus: Letztlich entscheidet für deren Zukunftssicherung nicht nur der strategische Weitblick, der zugegebenermaßen lange in der Industriepolitik fehlte, sondern auch die heutige Wettbewerbsfähigkeit.
Der Blick zwanzig Jahre zurück zeigt aber auch, Wettbewerbsfähigkeit kann wieder errungen werden. Schon einmal mauserte sich Deutschland erfolgreich vom kranken Mann Europas zum europäischen Wachstumsmotor. Um hieran wiederanzuknüpfen, bedarf es jedoch eines Transformationsstrompreises, der diesen Namen verdient.
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