Point of No Return
Die Defossilisierung der Prozessindustrien ist klimapolitisch geboten und unumgänglich
Das Jahr 2024 begann in Deutschland politisch stürmisch: Landwirte, die für den Erhalt von Agrardieselsubventionen auf die Straße gingen, ein immer weiter schwindendes Vertrauen in die Regierungsfähigkeit der Ampelkoalition und ein Erstarken rechtspopulistischer Kräfte in den Wahlumfragen zu Beginn eines Superwahljahres.
Mit der Zuspitzung verteilungspolitischer Fragen als Folge der Krisen sieht der christdemokratische Historiker Andreas Rödder bereits das „Ende der grünen Hegemonie“ und einen „Paradigmenwechsel in der Energie- und Klimapolitik“ aufziehen.
Es braucht nicht das große Besteck, um in der Umsetzung der Energiewende richtigerweise Missstände zu benennen. Die Defossilisierung des Gebäude- und Mobilitätssektors spitzt die verteilungspolitischen Fragen, die mit der Inflation und der Nahezu-Verfassungskrise um den Bundeshaushalt aufgeworfen wurden, weiter zu.
Das Hin und Her der Energie- und Industriepolitik verunsichern Investoren und verteuern den Produktionsfaktor Energie. Mit dem endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie und der offenen Frage, wie die Versorgungssicherheit in Zukunft gewährleistet werden soll, hat sich der Standort Deutschland neben hohen Energiepreisen noch weiter in unruhige Gewässer manövriert. Die Einigung zur Kraftwerksstrategie, welche die Koalition Anfang Februar präsentierte, lässt aus Sicht des VAIS vieles offen: die Frage, wie ein Kapazitätsmechanismus ausgestaltet sein wird, wie mit den unzureichenden veranschlagten 10 GW die Versorgungssicherheit gewährleistet und der Kohleausstieg unter diesem Vorzeichen bewältigt werden soll, ganz zu schweigen von der Frage, mit welchen Fachkräften in Zukunft Anlagen in Deutschland gebaut und instandgehalten werden können.
Und doch stehen wir mit der Energiewende schon längst an einem ‚Point of no Return‘. Die Defossilisierung der Prozessindustrien ist klimapolitisch geboten und unumgänglich, die bisherigen Investitionen und Bemühungen der Industrie um die Klimaneutralität des Standortes sind zu erheblich, die Transformation der Industrie ist langfristig lohnend.
Jedoch klagen die Unternehmen in den Industrien, wie auch diejenigen aus Anlagenbau und Service, zu Recht über die Last der Regulatorik. Berichterstattungs- und Sorgfaltspflichten, Lieferkettengesetz, neue Umwelt- und Immissionsschutzauflagen und Anforderungen zu Cybersicherheit, überfordern in ihrer Fülle und Intransparenz die Leistungsfähigkeit der Unternehmen, zumal die von KMU.
Die Wahl zum Europäischen Parlament im Juni wird die Weichen stellen, ob eine neue Kommission weiter den Weg des Green Deal wird beschreiten können. Die europäische Industrie hat richtigerweise als wirtschaftliche Voraussetzung eine Ergänzung um einen entlastenden Industrial Deal gefordert, um die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Nur diese kann letztlich tragfähiges Fundament einer erfolgreichen Transformation sein.
Autor: Dietmar Kestner, Geschäftsführer, VAIS
„Die Einigung zur Kraftwerksstrategie lässt viele Fragen offen.“
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