Prof. Michael Dröscher, Präsident der GDCh, im Interview: Chemiker sollen stolz sein
Die Gesellschaft Deutscher Chemiker will nationale und internationale Netzwerke ausbauen
Zum 1. Januar 2010 übernahm Prof. Michael Dröscher das Amt des Präsidenten der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh). Der ehemalige Senior Vice President Innovation Management Chemicals bei Evonik bezeichnet sich selbst als Netzwerker und ist zugleich in mehreren Fachgesellschaften der Chemie aktiv. Er engagiert sich sowohl regional, als Cluster Manager von Chemie.NRW, als auch national und international für eine engere Verknüpfung der chemischen Wissenschaft und Industrie. Dr. Andrea Gruß befragte ihn zu den Zielen seiner Amtszeit.
CHEManager: In Ihrem Neujahresgruß zitieren Sie den Chemie-Nobelpreisträger Ryoji Noyori. „Chemiker sollten stolz sein!", fordert der japanische Chemiker. Warum ist Ihrer Meinung nach diese Aussage so treffend?
Prof. M. Dröscher: Wir haben als Chemiker in der Tat allen Grund, stolz auf unsere Wissenschaft und Industrie zu sein. Seit über 150 Jahren sind die Chemie als Wissenschaft und die Chemieindustrie eng verknüpft. Gemeinsam haben sie viele Fragen beantwortet, Probleme gelöst und damit maßgeblich zu unserem Wohlergehen und Wohlstand beigetragen. Doch oft bleibt der Beitrag der Chemie dabei im Verborgenen. Denken Sie beispielsweise an den Flachbildschirm: Kaum ein Mensch nimmt ihn als Chemieprodukt wahr, dabei steckt er voller Chemie. Auch bei vielen anderen Hightech-Produkten steht die Chemie am Anfang und liefert innovative Werkstoffe. Chemiker sollten stolz darauf sein und bewusst sagen, welches Potential ihre Wissenschaft bietet. Denn auch in Zukunft wird es kaum ein Problem geben, das ohne die Chemie gelöst werden kann.
Wie kann die Chemie Probleme lösen?
Prof. M. Dröscher: Lösungen sind dann möglich, wenn wir uns als Chemiker in die Wertschöpfungskette einbinden und dabei die richtige Position besetzen. Das heißt, das tun, was wir am besten können: neue Materialien oder effizientere Produkte herstellen. Dabei denken wir heute anders als noch vor 30 Jahren. Damals konnte man einen Kunststoff erfinden und ihn in den Handel bringen. Heute gibt es für fast jedes Problem schon eine Lösung. Neue Lösungen setzen sich nur dann durch, wenn sie dem Nutzer einen deutlichen Vorteil bieten. Das kann eine verbesserte Technik, ein geringerer Preis oder eine höhere Energieeffizienz sein. Nur, es muss immer eine Lösung sein. Aus diesem Grund sollte die Chemie lernen, noch viel stärker in Themen zu denken. Sie sollte sich nicht auf den Werkstoff konzentrieren, sondern verstehen, was der Kunde damit tut.
Zur Lösung welcher Zukunftsprobleme kann die Chemie beitragen?
Prof. M. Dröscher: Unsere zukünftige Energieversorgung wird ohne Durchbrüche aus der Chemie nicht möglich sein. Die GDCh engagiert sich daher seit dem Jahr 2006 gemeinsam mit vier weiteren Fachgesellschaften und dem VCI im Koordinierungskreis Chemische Energieforschung, der bereits drei Positionspapiere veröffentlicht hat. Während sich die beiden ersten Veröffentlichungen mit dem Beitrag der Chemie zur Sicherung der Energieversorgung und mehr Energieeffizienz befasst haben, gibt das aktuelle Papier „Energieversorgung der Zukunft - der Beitrag der Chemie" vom November 2009 erstmals eine umfassende und quantitative Potentialabschätzung für die einzelnen Energieoptionen für die kommenden 20 Jahre. Damit wollen wir wesentliche Entwicklungspotentiale sowie den Forschungsbedarf in der Energieforschung aufzeigen und dazu beitragen, dass die richtigen Prioritäten gesetzt werden. Dieses Wissen wollen wir 2010, im Jahr der Energie, noch weiter in Politik und Öffentlichkeit tragen.
Sie fordern Chemiker auf, mehr in Themen denken. Welches Thema bedarf Ihrer Meinung nach erhöhter Aufmerksamkeit durch die Chemie?
Prof. M. Dröscher: Eine vergleichbare Aufmerksamkeit wie der Energie sollte dem Thema Wasser zukommen. Es wird in den kommenden Jahren politisch an Bedeutung gewinnen und könnte der Hauptkrisentreiber in der Zukunft sein. Es gibt viele Fragen zum Thema Wasser zu beantworten, z. B.: Wie können wir in der Industrie den Wasserverbrauch weiter reduzieren? Oder welchen Beitrag können Chemiker leisten, dass den Menschen weltweit genügend sauberes Wasser zur Verfügung steht? Während meiner GDCh-Präsidentschaft möchte ich mich verstärkt diesem Thema widmen und es in seiner vollen Breite behandeln, beginnend bei der Wasserqualität und -reinigung bis hin zum Wasser als Medium in chemischen Reaktionen. Wie schon zum Thema Energie will die GDCh gemeinsam mit weiteren Fachgesellschaften alle Fakten zum Thema Wasser zusammentragen und verdeutlichen, welchen Beitrag die Chemie zur Lösung des weltweiten Wasserproblems leisten kann.
Damit die Chemie auch in Zukunft Probleme lösen kann, benötigt sie die Akzeptanz in der Öffentlichkeit. Wie ist es darum bestellt?
Prof. M. Dröscher: Die Öffentlichkeit erkennt heute, dass die Chemie kein Problem, sondern Lösungsvermittler ist. Das Monitoring der Chemie hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Ein Beispiel dafür ist das Thema PVC. Der Kunststoff war lange Zeit verteufelt, einige Anwendungen wurden sogar verboten. Durch die wiederholte Vorstellung der Leistung von PVC und den Vergleich mit anderen Materialien, ist es gelungen, eine Umkehr der öffentlichen Meinung zu erzielen und den Werkstoff wieder hoffähig zu machen. Solche Entwicklungen sind ein großer Schritt nach vorne.
Leider beobachten wir auf der anderen Seite den Trend, dass sehr viele Jugendliche die Naturwissenschaften eher als Bedrohung denn als Chance sehen. Nur wenige bewerten die Naturwissenschaften als wichtig und nützlich. Dieser Trend ist erschreckend und natürlich auch auf die Vernachlässigung der naturwissenschaftlichen Bildung in der Schule zu sehen. In den Schulen hat die Naturwissenschaft oft nur zwei naturwissenschaftlichen Unterrichtsstunden pro Woche. Das ist zu wenig. Auch sollte der Kontakt zu den Naturwissenschaften schon viel früher, im Vorschulalter, erfolgen. Die GDCh-Mitglieder versuchen hier, u. a. durch Aktivitäten für Kindergarten- und Schulkinder an Universitäten, Lücken zu schließen.
Gibt es trotz dieses Trends noch genügend Chemiestudenten? Wie bewerten Sie den Erfolg der Studienreform?
Prof. M. Dröscher: Zurzeit beginnen genügend Studenten ein Chemiestudium in Deutschland. Das könnte sich jedoch ändern, wenn die Jahrgänge schwächer werden. Etwas besorgniserregend ist die relativ hohe und frühe Abbrecherquote. Dies ist jedoch kein neues Phänomen. Traditionell beendet nur etwa die Hälfte der Studenten, die ein Chemiestudium beginnen, dieses mit dem Master bzw. früher mit dem Diplom.
Die GDCh hat einige Kritikpunkte zur Studienreform. So wurde beispielsweise eines der wichtigsten Reformziele, die Beweglichkeit der Studenten zu steigern, nicht einmal innerhalb Deutschlands erreicht. Wenn Sie nach Nordrhein-Westfalen schauen, gibt es dort 12 Universitäten und eine Reihe von Fachhochschulen, an denen Sie Chemie studieren können. Aufgrund der eigenständigen Studienpläne können die Studenten nicht ohne Weiteres nach dem Bachelor innerhalb des Bundeslandes die Hochschule wechseln. Auch ein Auslandsaufenthalt während des Studiums wurde durch die Reform erschwert. Und aus Sicht der chemischen Industrie ist der Bachelor zwar ein erster akademischer Abschluss, ermöglicht aber kaum einen Berufseinstieg, so wie es der 1999 gestartete Bologna-Prozess vorsieht.
Die neuen Studiengänge fordern meist eine intensivere Betreuung der Studierenden. Wir benötigen daher mehr Lehrpersonal an den Universitäten, um die Qualität des Studiums zu steigern und die Zahl der Studienabbrüche zu senken. Ferner fordern wir stärkere Anreize für mehr Mobilität. Hierzu könnten z. B. Kooperationen zwischen deutschen und ausländischen Universitäten beitragen, die zum Teil integrierte Studiengänge anbieten. Grundsätzlich sollte jedoch der Bologna-Prozess fortgeführt werden, dessen Ziel ein gemeinsamer europäischer Hochschulraum ist.
Welche Rolle spielt eine Vernetzung der Chemie innerhalb Europas?
Prof. M. Dröscher: Wir halten eine gemeinsame Plattform für die europäische Chemie für immer bedeutender. Wenn Politik europaweit gemacht wird, müssen auch die Wissenschaften und die Industrien sich entsprechend europaweit aufstellen. Die GDCh engagiert sich daher sehr stark auf europäischer Ebene im Rahmen der Euchems. Die europäische Chemievereinigung beschränkt sich nicht auf Mitgliedsstaaten der EU, sondern schafft ein Netzwerk für alle europäischen Länder. Alternierend zu den Wissenschaftsforen der GDCh findet alle zwei Jahre die europäische Euchems-Tagung statt, in diesem Jahr ab Ende August in Nürnberg.
Ein wichtiger Punkt unserer Arbeit in den nächsten zwei Jahren wird auch das Internationale Jahr der Chemie sein, das von den Vereinten Nationen für das Jahr 2011 ausgerufen wurde. Die IUPAC koordiniert die Aktivitäten weltweit, die GDCh in Deutschland. Ziel des Internationalen Jahrs der Chemie ist es, die Errungenschaften der Chemie und ihre Beiträge zum menschlichen Wohlstand aufzuzeigen - eben alles, auf was Chemiker stolz sein können.