Chemie & Life Sciences

Neue EU-Verordnung im Kampf gegen den Terror

EU nimmt nicht nur die Chemiebranche in die Pflicht

21.08.2012 -

Während die bekannten Kontrollregime wie z.B. zu den Dual-Use-Gütern oder den Chemiewaffen vor dem Hintergrund des kalten Krieges und des Staatsterrors zu verstehen sind, richtet sich der Fokus der aktuellen Ansätze einer neuen EU-Verordnung auf den religiös oder politische motivierten Terrorismus durch entsprechende Organisationen oder gar Einzelpersonen. Die Ansätze, dieser Gefahr zu begegnen, nehmen die chemische Industrie, den Chemiehandel sowie die gesamte Lieferkette bis hinein in den Bereich der Abgabe an den Endverbraucher in die Pflicht.

Erste regulatorische Reaktion insoweit war im Jahre 2008 nach der Festnahme der sog. Sauerlandgruppe die Einbeziehung verschiedener Explosivgrundstoffe in die Abgabevorschriften der Chemikalienverbotsverordnung (ChemVerbotsV).

Ergänzt wird diese Rechtsänderung durch die bereits zuvor u.a. vom Verband Chemiehandel (VCH) und Verband der Chemischen Industrie (VCI) gemeinsam mit dem Bundesministerium des Innern (BMI) unterzeichnete „Gemeinsame Erklärung" mit ihrem freiwilligen Monitoring. Angenommen hat sich des Themas aber auch die EU-Kommission mit ihren Arbeiten an einer Verordnung zum Verkauf und Gebrauch von insgesamt 15 in zwei Anhängen gelisteten Explosivgrundstoffen bzw. Gemischen, die die entsprechenden Stoffe in definierten Konzentrationsgrenzen enthalten.

Zu den betroffenen Stoffen gehören u.a. diejenigen, welche auch als Explosivgrundstoffe in die ChemVerbotsV aufgenommen wurden, also z.B. Wasserstoffperoxid, aber auch weitere Stoffe, wie Salpetersäure. Der VCH hat sich für praktikable Grenzen eingesetzt. Obwohl diese letztlich nicht näher begründet sind, ist dies bedauerlicherweise bislang nicht in allen Fällen gelungen.

Neues Lizensierungssystems

Die bekannten Entwürfe betreffen zunächst die Abgabe an den privaten Endverbraucher, richten sich also an einen Bereich, der bislang nicht primär von den Kontrollregimen erfasst ist, wie z.B. den Einzelhandel. In Abweichung von dem durchaus bewährten System der Dokumentationspflichten der ChemVerbotsV sieht der Verordnungsentwurf der EU ein sog. Lizensierungssystem vor. Dieses bedeutet, dass die betroffenen Produkte grundsätzlich nur an private Endverbraucher abgegeben werden dürfen, wenn diese im Besitz einer entsprechenden behördlichen Lizenz sind. Ob und inwieweit diese Lizenzen auch grenzüberschreitend anerkannt werden, ist noch offen.

Nicht näher beschrieben sind zudem die Voraussetzungen, unter denen eine entsprechende Lizenz erlangt werden kann. Diskutiert wird, inwieweit der Abgebende tatsächlich auf die Lizenz vertrauen darf. Hier ist also zu befürchten, dass die Verordnung in den verschiedenen Mitgliedsstaaten stark unterschiedlich umgesetzt wird. Das Dokumentationssystem der ChemVerbotsV ist nach derzeitigem Stand nur in eng begrenzten Ausnahmefällen erlaubt.

Für Deutschland würde dies entweder bedeuten, dass beide Systeme - bezogen auf unterschiedliche Stoffe - parallel laufen, oder, dass - trotz Bewährung und kurzer Laufzeit - das System der ChemVerbotsV durch das Lizenzsystem ersetzt wird. Es ist leider nicht gelungen, dem System der ChemVerbotsV mehr Anerkennung zu verschaffen.

Fragliche Kennzeichnungspflicht

Weiter sieht der aktuelle Entwurf der EU-Verordnung vor, dass die entsprechenden Produkte, sofern sie an den privaten Endverbraucher abgegeben werden, mit einem entsprechenden Hinweis auf die Abgabebeschränkungen zu kennzeichnen sind. Die Kennzeichnung hat derjenige zu gewährleisten, der das Produkt an den privaten Endverbraucher abgibt und damit ggf. der (Einzel-)Händler.

Dies erscheint schon deshalb problematisch, weil der (Einzel-)Händler in der Regel die genaue Rezeptur nicht kennen wird. Zudem erscheint die Kennzeichnungspflicht auch aus folgendem Grund zumindest fraglich: So könnte gerade bei Gemischen, wie z. B. Reinigern, erst der Hinweis auf die mögliche Geeignetheit des Produkts zur missbräuchlichen Verwendung zum Missbrauch führen.

Keine einheitliche Regelung

Ein weiterer Punkt, der hinterfragt werden sollte, ist die den Mitgliedsstaaten eingeräumte Möglichkeit, die Anhänge durch Hinzufügung weiterer Stoffe bzw. abweichender Konzentrationsgrenzen zu ergänzen bzw. zu ändern. Dies ermöglicht zwar die Berücksichtigung länderspezifischer Besonderheiten und Erkenntnisse; verfehlt wird aber das klassischerweise mit einer Verordnung verfolgte Ziel einer weitestgehend einheitlichen europäischen Regelung. Dies bringt für die betroffenen Unternehmen eine gewisse Rechtsunsicherheit mit sich, insbesondere wenn sie grenzüberschreitend tätig sind.

Folgen nicht absehbar

Nicht auszuschließen ist, dass der betroffene (Einzel-)Handel entsprechende Produkte angesichts des sich durch die neue Verordnung ergebenden Aufwands auslisten wird bzw. entsprechende Rezepturen geändert werden. Hier ist dann letztlich auch die gesamte Lieferkette betroffen, aber auch gefordert, nach möglichen Alternativen zu suchen.

B2B-Geschäft betroffen

Auch der sog. B2B-Bereich ist von dem Verordnungsentwurf betroffen. Denn auch hier sollen die Unternehmen verpflichtet werden, verdächtige Transaktionen, bezogen auf die in den Anhängen gelisteten Stoffe bzw. Gemische, zu melden. Zumindest in Deutschland kommen sowohl die chemische Industrie als auch der Chemiehandel dieser Verpflichtung grundsätzlich bereits freiwillig im Rahmen der eingangs erwähnten „Gemeinsamen Erklärung" zusammen mit einigen anderen Branchen nach. Zunächst war darüber hinaus für die Abgabe im gewerblichen/industriellen Bereich sogar eine Verpflichtung vorgesehen, dass unabhängig davon, ob ein Stoff gelistet ist oder nicht, alle verdächtigen Transaktionen zu melden sind.

Dies hätte letztlich bedeutet, dass die Unternehmen ohne entsprechende Anhaltspunkte gleichsam mit kriminellem Spürsinn ihr Produktportfolio ständig auf ein mögliches Missbrauchspotential hin hätten überprüfen müssen. Als zu weitgehend bzw. die betroffenen Unternehmen überfordernd, konnte diese Regelung abgewendet werden. Hier kann allein die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Behörden zu einem Ergebnis führen, welches das berechtigte Sicherheitsbedürfnis einerseits und gleichzeitig die wirtschaftlichen Interessen andererseits angemessen berücksichtigt.

Austausch zur Verbesserung

Um dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis Rechnung zu tragen, arbeitet der VCH bereits seit 2007 mit dem BMI und den Behörden zusammen und ist um einen gemeinsamen Austausch bemüht. Der Verordnungsvorschlag der EU bezieht aber, über die bislang schon von den bekannten Kontrollregimen adressierten Wirtschaftsbeteiligten hinaus, die gesamte Lieferkette bis hin zur Abgabe an den privaten Endverbraucher ein.

Somit müssen sich diese völlig neu mit einer möglichen Betroffenheit auseinandersetzen und zukünftig ggf. entsprechende Strukturen schaffen. Eine letzte Abstimmung über den Inhalt der Verordnung soll noch im Sommer erfolgen, so dass der jetzt vorliegende Entwurf voraussichtlich keine wesentlichen Änderungen mehr erfahren wird. Nach Veröffentlichung soll sie nach 18 Monaten in Kraft treten und wird wahrscheinlich zu entsprechenden Anpassungen der ChemVerbotsV führen.

Kontakt

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