Nachhaltig oder nicht?
Durch Nachhaltigkeitsanalysen lernen Unternehmen über gesellschaftliche Erwartungen und damit über Zukunftsmärkte
Die Bewertung von Nachhaltigkeit wird vielfach diskutiert und dennoch bieten Nachhaltigkeitsanalysen schon heute einen großen Nutzen für Unternehmen. Dr. Andrea Gruß sprach darüber mit Dr. Rainer Grießhammer, Mitglied der Geschäftsführung beim Öko-Institut in Freiburg.
CHEManager: Wie lässt sich die Nachhaltigkeit eines chemischen Produkts analysieren?
Dr. Rainer Grießhammer: Hierzu muss der gesamte Weg einer Chemikalien verfolgt werden, vom Rohstoff über die Produktion und Anwendung und bis hin zum Recycling. Der gesamte Produktlebenszyklus sollte auf Innovation, Nutzen sowie ökologische und ökonomische Auswirkungen analysiert werden. Die Chemieindustrie macht das für viele ihrer innovativen Produkte sehr gut: Paradebeispiele sind hier die Entwicklungen von neuen Materialien zur Wärmedämmung oder Leichtbauwerkstoffen für den Automobilbau.
Wird auch die Nachhaltigkeit von Chemikalien analysiert, deren Verwendung in Frage gestellt wird?
Dr. Rainer Grießhammer: Wenn es negative soziale oder ökologische Aspekte gibt, ist es natürlich wichtig, ob der Nutzen des Produkts groß oder klein ist. Deutlich wird das beim EU-Chemikaliengesetz REACH. Hier muss bei besonders problematischen Chemikalien in einer sozioökonomischen Analyse - SEA - untersucht werden, ob der gesellschaftliche Nutzen die Nachteile kompensieren kann.
Ein anderes Beispiel: trotz geringem Quecksilbergehalt werden heute Energiesparlampen zu Recht gefördert, weil sie zu einer sehr hohen Stromeinsparung führen. Das wird man solange aufrechterhalten, bis die Alternativen - die LED-Lampen - besser und billiger sind.
Seit wann beschäftigen Sie sich am Öko-Institut mit Nachhaltigkeitsanalysen?
Dr. Rainer Grießhammer: Wir haben bereits 1986 eine Studie vorgelegt, die Produktlinienanalyse, bei der wir vorgeschlagen haben, Produkte nach ökologischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen entlang des Lebenszyklus zu bewerten. Die innovative Methode kam jedoch zu früh.
Sie wurde in den folgenden Jahren im Gegensatz zur Konkurrenzmethode Ökobilanz nur wenig angewandt. Einen ersten Aufschwung in der Wahrnehmung gab es erst zwei Jahre nach der der Rio-Deklaration zur Nachhaltigen Entwicklung aus dem Jahr 1992 durch die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt" des Deutschen Bundestags. Es hat sehr lange gedauert, bis sich durchsetzte, dass die gesamte Produktlinie bewertet werden muss. Einen wesentlichen Fortschritt brachte hierbei die Kooperation des Öko-Instituts mit dem damaligen Chemiekonzern Hoechst, der eine unternehmensspezifische Methode zum Nachhaltigkeitsmanagement von Produktportfolio und Produkten entwickeln wollte. Wesentliche Elemente dieser Produktlinienanalyse wurden dabei in die Methode Product Sustainability Assessment, kurz PROSA, übernommen.
PROSA bezieht die komplette Produktlinie ein und analysiert und bewertet die ökologischen, ökonomischen und sozialen Chancen und Risiken zukünftiger Entwicklungspfade. Darüber hinaus wird bei PROSA grundsätzlich auch der Nutzen von Produkten analysiert - er entscheidet ja letztlich über den Markterfolg.
Seit wann wird auch die soziale Auswirkung für die Bewertung von Produkten analysiert?
Dr. Rainer Grießhammer: Vor etwa zehn Jahren ging man international dazu über, auch die sozialen Auswirkungen eines Produktes zu bewerten. Hierzu zählen sehr unterschiedliche Kriterien, z.B. die Löhne von Arbeitern, Abschaffung von Kinderarbeit, der Anteil von Frauen in Führungspositionen, die Möglichkeit der betrieblichen Mitbestimmung für Gewerkschaften und vieles mehr.
Zum Teil sind diese Daten gut quantitativ erfassbar, teilweise sind sie sehr schwierig zu ermitteln. Auch zeigen diese Kriterien sehr große, regionale Unterschiede und müssen im Prinzip für jede Region, in der das Produkt produziert oder vertrieben wird, ermittelt und separat bewertet werden.
Wo sehen Sie Defizite bei heutigen Nachhaltigkeitsanalysen oder -rankings?
Dr. Rainer Grießhammer: Viele Analysen bewerten bereits eine Vielzahl an Kriterien, wie z.B. die CO2-Bilanz, den Frauenanteil in Führungspositionen, die CSR-Aktivitäten oder das Lieferantenmanagement eines Unternehmens. Dagegen werden die Produkte - also die eigentliche Unternehmensleistung - nur zum Teil und nachrangig bewertet. Meist werden nur einzelne Spitzenprodukte, aber nicht das ganze Produktportfolio bewertet.
Warum ist es wichtig, das gesamte Portfolio zu bewerten?
Dr. Rainer Grießhammer: Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Zu Beginn des Dow Jones Sustainability Indices führte BMW das Ranking an, weil das Unternehmen die Strategie hatte, schnelle, große Autos zu bauen. Aus Nachhaltigkeitssicht ist dies mittelfristig kein erfolgreiches Konzept. Hätte man schon damals das gesamte Portfolio bewertet, wären das Project i wahrscheinlich früher gestartet und die E-Modelle früher auf den Markt gekommen.
Demnach können Nachhaltigkeitsanalysen einen hohen strategischen Nutzen für Unternehmen haben?
Dr. Rainer Grießhammer: Ja, durch Nachhaltigkeitsanalysen lernt ein Unternehmen sehr viel über gesellschaftliche Prozesse und Erwartungen und damit über Zukunftsmärkte. Selbst, wer von der Nachhaltigkeit nichts hält, müsste Nachhaltigkeitsanalysen machen, schon aus ökonomischem Eigennutzen und zur Absicherung seines Unternehmens. Besonders effektiv sind Unternehmen, bei denen Megatrend- oder Nachhaltigkeits-Analysen nicht einfach von isolierten Abteilungen gemacht werden, sondern das Thema in den Unternehmensalltag, also in die Beschaffung, das Lieferantenmanagement oder die Produktentwicklung einbezogen wird.
Können es sich auch kleinere Unternehmen leisten, ihr Produktportfolio zu analysieren?
Dr. Rainer Grießhammer: In den meisten Fällen sicher. Konkret hängt das davon ab, wie viele Produkte sie herstellen. Ein Großkonzern wie BASF produziert über 30.000 Produkte. Ein kleines Chemieunternehmen hat manchmal nur zwei oder drei Hauptprodukte, auf die 70 % des Umsatzes entfallen. Der relative Kostenaufwand ist damit nicht viel höher als beim Großunternehmen. Anders verhält es sich bei kleinen Unternehmen, die mehrere Hundert Produkte vertreiben.
Wir haben speziell für KMU eine vereinfachte PROSA-Analyse entwickelt, bei der die wesentlichen Nachhaltigkeitskriterien in Fragen übersetzt wurden. Durch die Beantwortung dieser Fragen merkt man oft ohne detaillierte Analyse schnell: Wo sind die kritischen Punkte? Wo sollte man einen höheren Analyseaufwand betreiben, bevor ein Produkt entwickelt wird? Eine einfache PROSA-Analyse kostet 20.000 bis 30.000 €. Gut investiertes Geld, um Innovationen voranzutreiben und Fehlentwicklungen zu vermeiden.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen bei der Bewertung der Nachhaltigkeit?
Dr. Rainer Grießhammer: Es gibt keine objektive Bewertung von Nachhaltigkeitsanalysen. Am ehesten gelingt dies noch im Bereich der Ökologie. Hier setzen sich weltweit akzeptierte Bewertungen für Ökobilanzen durch.
Besonders schwierig, auch wenn man dies zunächst nicht erwartet, gestaltet sich die Vergleichbarkeit ökonomischer Analysen. Denn hier fließen sehr viele Annahmen und Vorentscheidungen ein, z.B.: Welche Rohstoffe setze ich zu welchem Preis ein? Wie werden Investitionen verzinst? Auf welchen Zeitraum beziehe ich mich? Berücksichtige ich externe Kosten oder nicht? Analysiere ich aus Sicht des Kunden, Anwenders oder Unternehmens? Die Unsicherheiten sind daher hier viel größer als im ökologischen Bereich.
Hinzu kommt: Die Bewertung der sozialen Analysen werden immer an gesellschaftliche Werte gekoppelt sein. All dies widerspricht einer objektiven Bewertung von Nachhaltigkeitsanalysen, schmälert dabei aber nicht deren Nutzen für die Entwicklung und Optimierung von Produkten oder einer Unternehmensstrategie.
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