Chemie & Life Sciences

Bauchemie – eine innovationsstarke Branche

Nachhaltige Lösungen im Bau treffen auf regulatorische Welten

13.11.2024 - Bauchemie kann mit kleinen Mengen eine große Wirkung erzielen und die Ressourceneffizienz im Bausektor erheblich steigern.

Mit dem Green Deal verfolgt die Europäische Kommission das Ziel, die EU bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu machen. Bereits 2030 sollen die CO2-Emissionen um mindestens 55% gegenüber 1990 sinken. Auf dem Weg zur Klimaneutralität ist der Bausektor besonders wichtig. Er soll effizienter, ressourcenschonender, also nachhaltiger werden. Die Bauchemie ist ein unverzichtbarer Schlüssel, um dies zu erreichen.

Bauchemie kann mit kleinen Mengen eine große Wirkung erzielen und die Ressourceneffizienz im Bausektor erheblich steigern. Dies geschieht oft unbemerkt und hinter den Kulissen – im Fundament, hinter der Fassade oder in einer Beschichtung. Die Einsatzmöglichkeiten bauchemischer Produkte sind immens.

Sie können bspw. Beton CO2-ärmer machen oder ihn so optimieren, dass weniger davon benötigt wird.

Bauchemie kann die Eigenschaften von Materialien so verändern, dass sie schneller oder unter schwierigeren Bedingungen zu verarbeiten sind. Bauchemie trägt dazu bei, dass Bestandsgebäude saniert und Neubauten langlebiger werden. So unterstützen die Produkte die anpassungsfähige Architektur. Zudem achten die Hersteller schon im Bereich Forschung und Entwicklung darauf, dass die Produkte immer nachhaltiger werden, was einen zusätzlichen Einfluss auf die angestrebte nachhaltige Bauweise hat. Zwei Beispiele zeigen, wie eine kleine Menge Bauchemie eine große Wirksamkeit in der CO2-Einsparung erzielt.

 

„Auf dem Weg zur Klimaneutralität ist der Bausektor besonders wichtig.“

 

Bauchemie für weniger Staus – auch ein nachhaltiger Aspekt

Bauchemie wird u.a. auch bei der Brückensanierung eingesetzt, wenn es darum geht, die Bauwerke vor Chlorid aus Taumitteln zu schützen. Dafür wird sowohl bei Neubauten als auch bei Instandsetzungen eine Abdichtung zwischen Tragwerk und Asphaltdecke eingebracht. Die bewährte Bauweise aus Reaktionsharz und Bitumenschweißbahn wurde durch einen Austausch des Bindemittels erheblich verbessert. Neue Bindemittel auf Basis von Polymethylmethacrylat und Polyurethan sind eine innovative Alternative. Der Verwendungskorridor im Bereich Temperatur und Luftfeuchtigkeit wurde erheblich erhöht. Aber noch bedeutsamer ist die deutliche Verkürzung der Arbeitszeit. So sind nun nur neun Arbeitstage nötig, während ein konventioneller Aufbau 18 bis 21 Tage benötigt. Auch das Risiko von witterungsbedingten Bauzeitverzögerungen und ein besser planbarer Bauablauf gehören zu den Vorteilen.

In einem Rechenbeispiel für eine spezifische Brückensanierung hat die Deutsche Bauchemie ermittelt, dass durch moderne Bindemittel für die Brückeninstandsetzung bei einer durchschnittlichen Bauzeitverkürzung von zehn Tagen aufgrund der wegfallenden Umleitung schon 2.000 t CO2 sowie 6 Mio. EUR eingespart werden können. Und zwar pro Brücke. Angesichts von mindestens 4.000 zu sanierenden Bauwerken ein immenses Potenzial.

 

Mit Betonzusatzmitteln: CO2-intensive Inhaltsstoffe reduzieren

Man geht davon aus, dass ca. 8 % der weltweiten CO2-Emissionen bei der Herstellung von Beton entstehen. Eine Optimierung von Betonen und zementgebundenen Baustoffen durch Betonzusatzmittel kann dabei helfen, die Anteile von Wasser, Klinker und Bindemittel zu reduzieren. Das Resultat sind Betone mit einer identischen Dauerhaftigkeit, aber einem deutlich geringeren Gehalt an CO2, insbesondere durch Reduktion des Zementklinkers. Um die Effizienz und die Nachhaltigkeit zu steigern, werden dem Klinker weitere Rohstoffe hinzugefügt, sodass ein sog. klinkerreduzierter Zement entsteht – mit dadurch deutlich geringeren CO2-Emissionen.

Jedoch: Beton mit klinkerreduziertem Zement ist schwieriger zu verarbeiten und seine Konsistenz schwieriger über eine bestimmte Zeit zu erhalten. Für diese Fälle liefert die Bauchemie spezielle Betonzusatzmittel. Hochwirksame Fließmittel können laut ‚Informationsschrift Deutsche Bauchemie: Bauchemie für nachhaltiges Bauen‘ die Verarbeitbarkeit, Betonrheologie, Verarbeitungszeit und Konsistenzhaltung optimieren – und so die Betonanwendung nachhaltiger werden lassen.

Bauchemie – eine Branche zwischen zwei regulatorischen Welten

Wie es der Name schon sagt, bewegen sich Bauchemie-Hersteller zwischen zwei regulatorischen Welten: dem Bauproduktrecht und der chemischen Regulatorik.

Beides zusammen wird immer mehr zur Herausforderung für die gesamte Branche. Sehr viele Regelungen unterliegen europäischem Recht. Es ist wichtig, die Branche dabei zu unterstützen, ressourcen­effiziente und umweltfreundliche Technologien und Produkte zu entwickeln und einzuführen. Dafür benötigt die Bauchemie Regularien, die bauchemische Produkte und deren Verarbeitung fördern. Und es bedarf einer chemischen Regulatorik, welche die Innovationskraft der Branche nicht unnötig beschränkt.

Green Deal fließt in die neue europäische Bauproduktenverordnung mit ein

Die neue europäische Bauproduktenverordnung (BauPVO) ist für den Bausektor von entscheidender Bedeutung. Mit dieser überarbeiteten Verordnung (Veröffentlichung November 2024) sollen die bestehenden Probleme im Bereich der harmonisierten Normung und des europäischen Binnenmarktes gelöst und ein Beitrag zur Umsetzung des European Green Deal geleistet werden. Die nachhaltige Bauweise wird mittelbar gefördert, aber auch die Aufwendungen für Nachweise für die Hersteller von Bauchemie erhöht.

So werden mit der neuen Verordnung die Angaben zur Nachhaltigkeit der Bauprodukte schrittweise Pflicht und auch zur Zielerreichung der digitalen Lieferkettenkommunikation wird ein digitaler Produktpass für Bauprodukte verbindlich. Die wesentlichen Neuerungen beinhalten Folgendes:

  • Die Angaben zur ökologischen Nachhaltigkeit werden für harmonisierte Bauprodukte zur gesetzlichen Pflicht. Die Implementierung dieser Verpflichtung wird sich über viele Jahre hinziehen und schrittweise erfolgen. Die notwendigen Angaben basieren auf der Methodik der etablierten Umweltproduktdeklarationen (EPD).
  • Mit dem Ziel der Digitalisierung der Lieferkettenkommunikation wird mit der neuen EU-BauPVO ein digitaler Produktpass für Bauprodukte verbindlich eingeführt. Auch dieser Implementierungsprozess wird sich über einige Jahre hinziehen.
  • Ein weiteres Novum ist die Option, für harmonisierte Bauprodukte neben den bestehenden wesentlichen Merkmalen zusätzliche Produktanforderungen festzulegen. Diese müssen erfüllt werden, bevor ein Produkt in der EU in den Verkehr gebracht werden darf. Die Anforderungen kann die EU Kommission per delegiertem Rechtsakt einführen.
  • Zudem können in begründeten Ausnahmefällen nun direkt durch die Kommission – und nicht nur durch das europäische Normungsinstitut CEN – harmonisierte technische Spezifikationen erstellt und eingeführt werden.

Zukunft der Chemikalienverordnung REACh

Vor der Europawahl im Juni dieses Jahres haben viele Unternehmen und Verbände die Antwerpener Erklärung unterschrieben. Ziel war es u.a., dass die Bedürfnisse der unter Druck stehenden europäischen Industrie stärker in der neuen Europäischen Strategischen Agenda für 2024 bis 2029 des Europäischen Rates berücksichtigt werden und Niederschlag in den politischen Leitlinien der Kommission von der Leyen II finden. Die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit erhält in der neuen Programmatik mehr Aufmerksamkeit. Es wurde z.B. ein Clean Industrial Deal angekündigt.

Von besonderer Bedeutung ist das nun angedachte Chemikalienindus­triepaket, innerhalb dessen es zu einer „Vereinfachung“ der „Chemikalienverordnung REACh“ kommen soll. Die EU hat bereits ein sehr umfassendes Chemikalienrecht. Dennoch wird seit der Vorlage der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit unter der Kommission von der Leyen I eine mögliche legislative Überarbeitung der Chemikalienverordnung REACh erwogen. Die Diskussionen im Zuge der Folgenabschätzung der angedachten Neuerungen zeigten potenziell eine massive Betroffenheit der Down-Stream-User-Industrie, mit zum Teil schwer abschätzbaren Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland und Europa. Gerade angesichts der Krisen und der angestrebten Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit muss hier mit Bedacht vorgegangen werden.

Die deutsche Bauchemie-Branche hofft darauf, dass auch in Zukunft berücksichtigt wird, welche regulatorischen Neuerungen die Green-Deal-Zielerreichung fördern und welche die Innovationskraft der Branche – und so auch den Hebel zur CO2-Einsparung durch bauchemische Produkte – limitieren.

Autorin: Ina Hundhausen, Hauptgeschäftsführerin, Deutsche Bauchemie e.V., Frankfurt am Main

 

„Es bedarf einer chemischen Regulatorik, welche die Innovationskraft der Branche nicht unnötig beschränkt.“

 

Zur Person

Ina Hundhausen ist seit Juli 2022 die Hauptgeschäftsführerin des Industrieverbands Deutsche Bauchemie. Vor ihrer Verbandstätigkeit war die Diplom-Betriebswirtin über 25 Jahre als Führungskraft im internationalen Marketing und Vertrieb in der Bauindustrie bei Sika, Fischer Befestigungsgruppe und BMI sowie in der Mess- und Regeltechnik bei Mettler-Toledo in Deutschland und in der Schweiz tätig. Außerdem hat Hundhausen in der Industrie die Themen Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Building Information Modeling (BIM) verantwortet.

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