Multikomponentenreaktionen: Effizienter mittels MCR-Chemie
12.11.2011 -
Multikomponentenreaktionen: Effizienter mittels MCR-Chemie. Die anhaltende Globalisierung in der Chemie und Pharma-Branche hat nicht nur positive Effekte für die europäische und nordamerikanische Industrie gebracht, wie den Zugang zu neuen Absatzmärkten und zu kostengünstigen Produktionsstätten. Die Globalisierung und die damit zwangsläufig einhergehende Industrialisierung von einstigen Entwicklungs- und Schwellenländern in Asien und Südamerika führt zur Entwicklung einer breiten Bildungsschicht mit hervorragend ausgebildeten und kreativen Ingenieuren und Wissenschaftlern, die eine zunehmende Konkurrenz für entsprechende Arbeitsplätze in Europa und Nordamerika sind.
Mehr und mehr forschungsintensive globale Unternehmen mit Stammsitzen in Europa und Nordamerika schließen Forschungs- und Entwicklungs-, aber auch Produktionsstandorte zu Gunsten von neuen Anlagen und Forschungsinstituten in asiatischen Ländern mit niedrigeren Lohnkostenstrukturen. Gleichzeitig gibt es beunruhigende Entwicklungen an europäischen Hochschulen, die durch Schließung von naturwissenschaftlichen Fakultäten dem stark sinkenden Interesse des Nachwuchses an komplexen, aufwendigen und langwierigen naturwissenschaftlichen Studiengängen Rechnung tragen.
Der Vorsprung westlicher Industrienationen gegenüber den aufstrebenden Schwellenländern wird zurückgeführt auf die Jahrhunderte alte Tradition im Ingenieurwesen und in den Wissenschaften. Eigenschaften wie Kreativität, Ausdauer, Präzision, Technikverständnis und überliefertes Wissen („Knowhow“) soll den Vorsprung gegenüber wissbegieriger, fleißiger und gut ausgebildeter asiatischer Konkurrenz sichern. Neuartige und effiziente Technologien sind definitive Mittel zum Zweck. Globalisierung in der chemischen Industrie verlangt nach neuen Denk- und Lösungsansätzen. Nur bessere und effizientere Prozesse und neue Ideen werden in einer kompetitiven durch Preisdruck gekennzeichneten Landschaft überstehen können. Eine Schlüsseltechnologie zur Erzielung von Konvergenz, neuen Synthesewegen, Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit sind Multikomponentenreaktionen (MCRs).
Hoher Anspruch an vielstufige Prozesse
Synthetische Prozesse spielen eine zentrale Rolle in der Entwicklung neuer, effizienterer und sicherer Medikamente, Agrochemikalien und Materialien mit neuen und/oder verbesserten Eigenschaften. Synthese, die komplexe Kunst ingenieursartig atomare Bausteine zu funktionellen Molekülen zusammenzusetzen, verlangt nicht nur detailliertes Wissen über die Reaktivität, Stabilität und Art der Bausteine, sondern auch die Fähigkeit, die makroskopische Funktion der Zielmoleküle in die mikroskopischen Architektur umzusetzen.
In fachübergreifenden Anstrengungen werden nie da gewesene Materialien mit neuartigen Eigenschaften ebenso wie Medikamente für bisher tödliche Krankheiten entwickelt. Pharmaprodukte z. B. werden im Durchschnitt über eine achtstufige meist lineare oder sequenzielle Synthese produziert. Dabei umfasst jeder synthetische Schritt eine Anzahl von Einheitsoperationen wie Planung der Reaktion, Einwiegen der Reaktanten, Online-Analytik der Reaktion, Aufarbeitung der Reaktion, Reinigung und Analyse des Produktes. Durch komplexe, vielstufige Prozesse vervielfacht sich der Prozessaufwand entsprechend.
Der Syntheseaufwand ist aber tatsächlich wesentlich größer, da ein marktfähiges Produkt typischerweise viele Optimierungszyklen durchlaufen muss. So müssen viele tausend Moleküle synthetisiert werden bevor ein optimiertes Molekül den weiteren Gang durch die Entwicklung zu einem Medikament antreten kann. Die Syntheseoperationen und damit der Gesamtaufwand wächst dabei exponentiell mit der Zahl der zu synthetisierenden Moleküle pro Projekt (Einheitsoperationen x Syntheseschritte x Zahl der Moleküle).
Eine Technologie, die mehr synthetische Effizienz verspricht, ist die Eintopfsynthese der MCRs. Im Gegensatz zu den meistens verwendeten Ein- oder Zweikomponententransformationen werden bei MCRs drei und mehr Edukte zu einem komplexen Produkt vereint. Höhere MCRs wie Vier-, Fünf-, Sechs- und sogar Sieben- CRs wurden beschrieben. Da mehrere Edukte in einem Produkt vereint werden spricht man auch von einer konvergenten Reaktion. Solche konvergenten MCRs führen häufig zu komplexen Produkten, die viele Eigenschaften des finalen Produktes enthalten können. MCR Produkte können effizient und mit wenigen Aufwand als in herkömmlichen sequentiellen (divergenten) Synthesestrategien variiert werden, wenn die notwendigen Eduktklassen in entsprechender Vielfalt zugänglich sind (Abb.1).
Eine Renaissance der MCRs
Die Anzahl der neu gebildeten Bindungen zwischen Schweratomen (die Bindungsbildungseffizienz nach Tietze) ist dabei durchgängig höher als in den meist verwendeten Ein- oder Zweikomponentenprozessen. MCRs sind so alt wie die Organische Chemie und viele klassische Namenreaktionen stehen für MCRs. Bekannte und nützliche Bespiele sind die Strecker-, Mannich-, Hantzsch-, Biginelli-, Betti-, Passerini- und Ugireaktion. Schlüsselmerkmale von MCRs sind daher synthetische Effizienz, niedriger Zeit und Materialaufwand. Diese Schlüsselmerkmale der MCR wurden im letzten Jahrzehnt wiederentdeckt und haben zu einer Renaissance dieses Reaktionstyps geführt.
Es wurden nicht nur neuartige und stereoselektive Varianten von klassischen MCRs beschrieben, auch beschäftigen sich viele Forschergruppen mit der Entwicklung neuer MCRs. So ist die Anzahl der MCR relevanten Publikation in den letzten Jahren exponentiell gestiegen. Die Vorteile der MCR wurden nicht nur in der Hochschulchemie sondern auch speziell in der Industriellen Chemie breit erkannt. Dies ist u.a. an der steigenden Anzahl der Substanzen zu erkennen, die mittels MCRs entdeckt und entwickelt wurden (Abb.2).
Vorzüge der MCR-Chemie
Die Zahl der über MCRs zugänglichen Grundstrukturen (backbone, scaffold) ist dabei weit über die bis vor kurzem bekannten auf mehrere hundert angestiegen. Das detaillierte Wissen über die MCRs und die zugänglichen Grundgerüste sowie deren physiko-chemischen Eigenschaften ist die Grundlage, um MCR-Chemie gewinnbringend in den Entwicklungsprozess neuartiger Produkte zu integrieren.
Dieses Wissen wird erstmalig in einem neu angebotenen GDCh Fortbildungskurs vermittelt (siehe Kasten). Anhand vielfältiger Beispiele aus Pharma-, Agro- aber auch Katalyse- und Materialchemie werden die Vorzüge der MCR Chemie aufgezeigt. MCR Chemie ist eine inzwischen bedeutende neue synthetische Technologie, die nach langem Dornröschenschlaf wieder Eingang in die Chemische Industrie gefunden hat. Klar ist nach einem halben Jahrhundert seit der Entdeckung der Vier-Komponenten Reaktion durch den Visionär Ivar Ugi, dass viele Prozesse effizienter und kostengünstiger gestaltet werden können unter Eingliederung von MCR. Nun gilt es, dieses Potential auf breiter Front für die Entwicklung neuer Produkte zu nutzen!
Kontakt:
Prof. Dr. Alexander Dömling
University of Pittsburgh
School of Pharmacy, Pittsburgh, USA
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asd30@pitt.edu
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