Mit Chemie die Welt verstehen
VAA-Serie Lebenswege (Teil 3): Denise Schütz-Kurz, Managerin für Forschungs- und Technologiepolitik beim VCI
„Wieso? Weshalb? Warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Der berühmte Titelsong aus der Sesamstraße bringt es auf den Punkt: Kinder wollen wissen, neugierig sein, Neues entdecken. Auch ich wollte nicht dumm bleiben. Eltern, Tanten und Onkel, Erzieherinnen und Lehrkräfte pflegen noch heute die Löcher, die ich ihnen in den Bauch gefragt habe. In der Grundschule habe ich mich im Sachunterricht und überall da am wohlsten gefühlt, wo es um Logik mathematisch-naturwissenschaftlicher Fragen ging. Ich war durstig nach Wissen und Erkenntnis, wenn man das in der Grundschule schon sagen kann. Im Gymnasium faszinierte mich die Chemie mit ihrer Kombination aus Theorie und Praxis. So waren die Versuche zum Rotkohl-pH-Indikator oder zum Versilbern/Vergolden von Münzen besonders eindrucksvoll und lehrreich.
Versuch macht schließlich klug. Darum fielen mir die Praktika während des Chemiestudiums leichter; schwerer dagegen die auswendig zu lernenden Stoffwechselzyklen in meinem Nebenfach Biochemie.
Wie konnte die Neugier meiner Kindheit bis ins Erwachsenenleben auf hohem Niveau köcheln? Weil mich Menschen begleitet und unterstützt haben, die Kinderfragen ernst genommen, fundiertes Fachwissen sowie experimentelles Geschick und feinfühliges pädagogisches Gespür hatten. Sie waren herausragende Vorbilder. Und das ist entscheidend, damit Kinder, die alle von Natur aus wissbegierig sind, ihre Freude am Lernen lebenslang bewahren. Ein Vertiefungspraktikum im Master in der Chemiedidaktik bot später die Möglichkeit, an diese Herangehensweise auch selbst anzuknüpfen. Vor diesem Hintergrund ist die Arbeit des Fonds der Chemischen Industrie, dem Förderwerk des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), aus meiner heutigen Perspektive von besonderer Bedeutung. Mit seinen Lehrmaterialien und Förderlinien unterstützt der Fonds Lehrkräfte und Professoren bei einer zeitgemäßen und inspirierenden Lehre.
Studium oder Ausbildung?
Eine klassische Berufsausbildung rückte schon früh in den Hintergrund: Die Entscheidung für ein Chemiestudium fiel bereits in der elften Klasse mit der Wahl der Leistungskurse Chemie und Englisch. Eine Kombination, die während des gesamten Studiums sehr hilfreich war. Warum ein Studium und keine Ausbildung? Ich wollte so richtig in ein Fach eintauchen, und die Vorstellung, dass es „cool“ wäre, irgendwann einen Doktortitel zu haben, war ausgesprochen motivierend. Und im Wintersemester 2005 ging das Bachelor-Studium an der Goethe-Uni in Frankfurt endlich los. Das berühmte Goethe-Zitat „Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält“, ließ mich auch im Studium nicht los. Das Studium und vor allem die anschließende Promotion lehrten, mich kritischen Fragen zu stellen – nicht nur in Bezug auf die Ergebnisse und Aussagen anderer, sondern ganz besonders auf meine eigenen Überlegungen. Analytisches Denken wurde geschärft und es wurde vermittelt, Probleme systematisch anzugehen. Aufgrund vieler interdisziplinärer Kooperationsprojekte standen außerdem vernetztes Denken, Teamfähigkeit und Internationalität immer auf der Tagesordnung.
„Chemie erklärt, was unsere Welt zusammenhält.“
Über den Tellerrand schauen
Bei allem fachlichen Interesse für die Chemie gilt es, über den Tellerrand zu blicken. Dabei habe ich Georg Christoph Lichtenberg im Ohr: „Wer nichts als Chemie versteht, versteht auch die nicht recht.“ Während des Bachelor-Studiums arbeitete ich weiter in einer Buchhandlung, trainierte eine Jugendtanzgruppe und engagierte mich im „JungChemikerForum“ der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh). Meine Mitwirkung und später Leitung bei der vom Frankfurter JungChemikerForum organisierten „Frankfurter Jobbörse für Naturwissenschaftler: innen“ waren gute Lehrjahre, um sich Know-how in Veranstaltungsplanung anzueignen. Außerdem konnte ich dort erste Kontakte zur Industrie knüpfen. Eine Erkenntnis, die ich daraus gewonnen habe: Die Chemie ist manchmal wie ein Dorf: Man trifft viele Menschen in unterschiedlichen Kontexten wieder. Auf so ein Netzwerk kann Frau sich verlassen. 2010 schaute ich dann nicht nur über den Tellerrand, sondern über einen Ozean. Das Praktikum am New York Structural Biology Center in West Harlem brachte, neben vertieften Kenntnissen in der NMR-Spektroskopie, neue kulturelle Eindrücke, sprachliche Weiterbildung und viel Selbstvertrauen mit sich. Über die GDCh gab es den ersten Kontakt zum Verband der Chemischen Industrie, meinem heutigen Arbeitgeber. Denn 2014 moderierte ich die Veranstaltung „Innovationsmotor Chemie“, ein Gemeinschaftsprojekt der Chemieorganisationen Dechema, GDCh und VCI mit dem High-Tech Gründerfonds. Dies unterstützte mein Interesse an wirtschaftlichen Zusammenhängen, das ich während der Promotion über eine Fortbildung zur Betriebswirtschaftslehre ausgebaut habe. Und auch im Privatleben ist Chemiewissen nützlich: Auf einer Party kann jede Chemikerin und jeder Chemiker mit einer Cola-Fontäne für Stimmung sorgen oder kann einen verstopften Abfluss ohne einen Besuch in der Drogerie frei machen.
Vom Labor ins Büro eines Wirtschaftsverbands
Während der Promotion in der physikalischen Chemie kristallisierte sich immer mehr heraus, dass meine weitere berufliche Zukunft nicht einer Hochschullaufbahn galt. Beim Blick in die Stellenanzeigen interessierten mich allerdings weniger Positionen als Labor- oder Produktionsleiter. Das hätten viele für den logischen Schritt gehalten. Doch die Möglichkeiten für den Berufseinstieg als Chemiker sind vielfältig. Aufgrund meiner Erfahrungen aus dem „JungChemikerForum“ und der Begleitung verschiedener Veranstaltungsformate begeisterten mich jedoch vor allem Positionen mit Gestaltungs-, Netzwerk- und Kommunikationscharakter. Die Stelle beim VCI in der Abteilung Wissenschaft und Forschung als Managerin für Forschungs- und Hochschulbildungspolitik entsprach genau diesen Vorstellungen. Bis vor Kurzem durfte ich in dieser Funktion auch noch an der Ausgestaltung der Förderlinien des Fonds im Bereich der Hochschulförderung mitwirken. Das war eine großartige Erfahrung. Heute umfasst mein Arbeitsgebiet forschungs-, innovations- und technologiepolitische Themen mit dem Fokus Europäische Union. Ein vielfältiges und anspruchsvolles Arbeitsumfeld, das mich jeden Tag neu begeistert und zum Lernen animiert.
Alles eine Frage der Chemie
Die häufigsten Reaktionen, die man als Chemiker bei der Frage nach dem Studienfach erlebt, sind: „Das habe ich in der Schule abgewählt.“ Oder „Das ist doch gefährlich.“ Es nervt mich auch, wenn im Alltag die Frage nach Produkten ohne Chemie allgegenwärtig ist, dabei ist doch alles Chemie. Und es schmerzt mich, wenn übersehen wird, dass naturwissenschaftliche Forschung wichtige neue Erkenntnisse liefert. Gerade die Chemie ist für die Lösungen großer gesellschaftlicher Herausforderungen unverzichtbar: Klimawandel, Energie- und Mobilitätswende, Ernährung, Gesundheit und demografischer Wandel. Moderne Impfstoffe, neue Medikamente und Therapieansätze retten Leben. Dank der Chemie gibt es fortschrittliche Materialien für die Energie- und Mobilitätswende, z. B. in der Batterieentwicklung oder im Leichtbau. Unsere Branche arbeitet an effizienten Stoffkreisläufen und alternativen Ressourcen. Nicht zuletzt sind aber auch die kleinen Dinge des Alltags zu nennen, in denen uns die Chemie begleitet: seien es die Funktionstextilien im Outdoor-Bereich, in der täglichen Kommunikation mit unserem Mobiltelefon oder Essig und Zitrone, die uns helfen, unser zu Hause sauber zu halten. Und wenn mich meine kleine Tochter in ein paar Jahren fragt: Was ist Chemie? Dann sage ich ihr aus vollem Herzen: Chemie ist ganz toll, weil sie erklärt, was unsere Welt zusammenhält.
Autorin: Denise Schütz-Kurz,Managerin für Forschungs- und Technologiepolitik, Verband der Chemischen Industrie e.V., Frankfurt am Main
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Zur Person
Denise Schütz-Kurz studierte Chemie und promovierte an der Goethe-Universität Frankfurt. Seit 2018 ist sie als Managerin für Forschungs- und Technologiepolitik beim Verband der Chemischen Industrie (VCI) tätig. Von 2018 bis 2022 war sie zuständig für Hochschulpolitik und Förderlinien des Fonds der Chemischen Industrie (FCI). Die Chemikerin ist seit 2008 Mitglied der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) und des VAA. Von 2012 bis 2014 war sie Mitglied des Bundesvorstands des JungChemikerForums.
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Der Beitrag wurde für das VAA-Jahrbuch 2024 „Lebenswege“ verfasst, in dem rund 30 Frauen und Männer der jüngeren Generation berichten, warum sie sich für eine Ausbildung, ein Studium oder einen Beruf auf dem Gebiet der MINT-Fächer entschieden haben. Das Jahrbuch kann kostenfrei im Internet heruntergeladen werden: Download
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