Magere Halbjahresbilanz der Chemieindustrie
Chemie meldet zur Jahresmitte rückläufige Verkaufsmengen, einen weitgehend abgebauten Auftragsbestand und sinkende Kapazitätsauslastung
Lange Lieferzeiten und hohe Frachtkosten sowie Engpässe bei Vorleistungen und Materialien behinderten die Geschäftstätigkeit der Unternehmen. Hinzu kamen sprunghaft steigende Preise für Rohstoffe und Energie, vor allem für Erdgas.
In diesem schwierigen von den Auswirkungen des Ukrainekriegs geprägten Umfeld konnte die deutsche Chemieindustrie in den ersten sechs Monaten dieses Jahres infolge der Entwicklung der Erzeugerpreise (+21,5%) rund 130 Mrd. EUR umsetzen, ein Zuwachs von 22% im Vergleich zum Vorjahr.
Das Umsatzplus, das in jedem anderen Jahr als Rekordwert tituliert worden wäre, überdeckt aber die wirkliche wirtschaftliche Lage der Chemiebranche: Die Verkaufsmengen im klassischen Chemiegeschäft sind rückläufig, der Auftragsbestand ist weitgehend abgebaut und die Kapazitätsauslastung der Anlagen ist auf 80% gesunken. Und im zweiten Halbjahr ringt die Branche mit vielen Herausforderungen.
Die Lage bei der Gasversorgung bleibt weiter angespannt. Im Austausch mit der Bundesregierung und der Bundesnetzagentur bereitet sich die Branche auf verschiedene Szenarien der Drosselung der russischen Gaslieferungen vor.
Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), kommentierte die wirtschaftlichen Konsequenzen einer möglichen Gasknappheit in Deutschland: „Wenn man der chemisch-pharmazeutischen Industrie Gas wegnimmt, führt das zu Dominoeffekten in der gesamten Industrie.“
Doch auch ohne Gasknappheit erwartet der VCI einen hohen Ertragsdruck für die Unternehmen, von denen einige bereits in die Verlustzone geraten seien. Fast alle Geschäftsbereiche der Branche mussten im ersten Halbjahr 2022 Produktionseinbußen hinnehmen. Besonders schwer traf es das Segment Fein- und Spezialchemie mit einem Rückgang von 9%. Die Hersteller von anorganischen und organischen Grundstoffen sowie von Konsumchemikalien mussten ihre Produktion nur wenig drosseln (-0,5 %). Allein die Sparte Polymere behauptete sich im ersten Halbjahr mit einem Zuwachs von 3% im Vergleich zum Vorjahr. Die Herstellung von Pharmazeutika erreichte dank einer coronabedingten Sonderkonjunktur ein Plus von 8,5%.
Da die Kosten für Rohstoffe und Energie von Januar bis Juni im Schnitt um mehr als ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind, geraten die Gewinnmargen vieler Unternehmen zunehmend unter Druck. Bei über einem Fünftel der Unternehmen lag der Anstieg sogar bei mehr als 50%. Das hat der VCI durch eine für die Branche repräsentative Mitgliederumfrage ermittelt. Gleichzeitig wird es für die Unternehmen immer schwieriger, höhere Kosten durch Preisaufschläge an die Kunden weiterzugeben. Über 50% konnten nur weniger als die Hälfte des Kostenanstiegs überwälzen. Dies wirkte sich in Verbindung mit dem rückläufigen Verkaufsmengen negativ auf die Ertragslage der Unternehmen aus. Rund 70% der Unternehmen berichten über einen Gewinnrückgang, davon sind einige bereits in die Verlustzone geraten.
Ausblick und Prognose
Auch für die zweite Jahreshälfte erwartet der VCI einen hohen Ertragsdruck für die Branche: „Eine spürbare Entspannung bei den Energie- und Rohstoffkosten sehen wir derzeit nicht. Erdgas dürfte auch weiter deutlich teurer sein als in anderen Regionen der Welt. Vor diesem Hintergrund bekommt der Standort Deutschland zunehmend ein Wettbewerbsproblem – nicht nur in den energieintensiven Sektoren“, sagte VCI-Präsident Christian Kullmann. Der Verband geht derzeit für das Gesamtjahr 2022 – bei preisintensiver, aber ausreichender Energie- und Rohstoffversorgung – von einem Rückgang der Produktion der Branche von 1,5% aus. Für das reine Chemiegeschäft rechnet er sogar mit 4% weniger Menge. Viel hänge aber von den industriepolitischen Weichenstellungen der kommenden Monate in Deutschland und Europa ab, betonte Kullmann.
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