Kunststoffkreisläufe intelligent schließen
Bessere Anreize für das Verpackungsrecycling und Technologieoffenheit dienen der Kreislaufwirtschaft
Die Transformation zur Kreislaufwirtschaft ist eines der wichtigsten Ziele, um natürliche Ressourcen zu schonen und die Umweltverschmutzung zu stoppen. Insbesondere Kunststoffe stehen im Fokus. Noch wird erst ein kleiner Anteil der unter hohem Energie- und Rohstoffeinsatz erzeugten Materialien wiederverwertet (vgl. Infografik auf der letzten Seite). Im vergangenen Jahr hat zwischen Vertretern der Kunststofferzeuger und der Kunststoffrecycler ein intensiver Austausch stattgefunden. Im Bestreben, einen gemeinsamen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft zu leisten, mussten auch sensible Themen wie das Verhältnis von mechanischem zu chemischem Recycling diskutiert werden. Ergebnis war das Positionspapier „Gemeinsames Leitbild zu einer Kreislaufwirtschaft mit Kunststoffen“. Ingemar Bühler, Hauptgeschäftsführer des Kunststofferzeugerverbands PlasticsEurope Deutschland, erläutert den Stand und die Ziele der Diskussion.
CHEManager: Herr Bühler, Die Verbände PlasticsEurope, BDE und VCI haben im September 2023 gemeinsam ein Positionspapier zum Kunststoffrecycling veröffentlicht. War das ein Durchbruch im Streit um Recyclingquoten, den Unternehmen, Verbände, Ministerien und Forschungseinrichtungen seit langem führen?
Ingemar Bühler: Das wünsche ich mir sehr. Wir haben einander viel zugehört und die unterschiedlichen Seiten zusammengebracht. Die mutigen Unternehmer, die bereits seit den 1990er Jahren in das mechanische Recycling von Kunststoffen investieren, ebenso wie die, die gerne in den kommenden Jahren das Potenzial der chemischen Verfahren nutzen wollen. Wir haben ein Angebot gemacht und schlagen eine Lösung vor, die einen Großteil der Sorgen nehmen und die Zukunft positiv gestalten kann. Ich glaube also fest daran, dass es gelingen kann, eine Komplementarität zu erreichen. Das ist wichtig, denn ich schaue auf das gesamte Kunststoffsystem. Dieses wird nur dann klimaneutral werden und ohne fossile Rohstoffe auskommen, wenn wir uns aller Technologiepfade bedienen. Für die Hersteller von Kunststoffen sind deshalb mechanische und chemische Recyclingverfahren ebenso wie der Einsatz von Biomasse und auch CO2 als alternative Kohlenwasserstoffquellen wichtig.
Entsorger befürchten eine Kannibalisierung der Abfallströme und einen Preisverfall. Ist das gerechtfertigt, wie wollen Sie das lösen?
I. Bühler: Wir haben einen konkreten Vorschlag auf dem Tisch. Es geht darum, dass wir zunächst im Verpackungsgesetz klar festhalten: Alle Abfallfraktionen, die mechanisch recycelbar sind, dürfen und müssen ausschließlich mechanischen Verfahren zugeführt werden. Damit wird eine klare Vorfahrt für das mechanische Recycling festgeschrieben. Alles andere ergibt ohnehin weder ökonomisch noch ökologisch Sinn. Denn mechanische Recyclingverfahren sind in der Regel weniger ressourcenintensiv als chemische Verfahren. Dennoch ist wichtig, das klar zu formulieren. Die chemischen Verfahren hingegen sollen nur dann eingesetzt werden, wenn mechanische Verfahren an ihre Grenzen stoßen. Beispielsweise weil die Abfallfraktionen zu komplex, zu verdreckt oder die Molekülstrukturen bereits zu sehr in Mitleidenschaft gezogen sind. Das wird nach zahlreichen mechanischen Recyclingzyklen ja selbst bei PET passieren, ist aber vor allem wichtig bei technischen Kunststoffen aus dem Automobilbau, bei Bauabfällen und bei Kunststoffen mit Lebensmittelkontakt bei der Produktion oder der Verpackung.
Lässt sich das so klar abgrenzen?
I. Bühler: Das lässt sich bereits anhand des gut etablierten Stoffstrombilds sehr deutlich erkennen und abgrenzen. Diejenigen Abfallfraktionen, die der thermischen Verwertung zugeführt werden, sind Zielfraktionen für das chemische Recycling. Chemische Recyclingverfahren treten nicht in Wettbewerb zu mechanischen Recyclingverfahren, sondern zur energetischen Abfallverwertung – also der Abfallverbrennung.
Besteht also keine Gefahr, dass bestehende Geschäftsmodelle bedroht werden?
I. Bühler: Ganz im Gegenteil: Mit der klaren Vorfahrt für das mechanische Recycling gäbe es künftig eine wesentlich stärkere Planungs- und Investitionssicherheit für mechanische Recycler. Ebenso wie für die nachgeordneten chemischen Recycler. Wenn es Gesetz ist, ist es für alle Unternehmen am Markt verbindlich. Das ist für mich entscheidend. Dann gibt es keine Ausreden, und zwar für niemanden. Die größte Gefahr für mechanische Recycler ist schon immer von mechanischen Recyclern im Wettbewerb ausgegangen, die durch Innovationen in den Prozessen deutlich effizienter arbeiten konnten, oder durch Innovationen in den Geschäftsmodellen. Sprich sie kommen leichter und günstiger an Abfallströme heran oder haben Abnehmer, für die die Rezyklate in großen Mengen wertvoller sind. Die chemischen Verfahren hingegen sind der stärkste Konkurrent der Abfallverbrennung. Hier wird es sicherlich eine Verlagerung geben.
„Es wird eine klare Vorfahrt für das mechanische Recycling festgeschrieben.“
Was genau verbirgt sich hinter dem in diesem Zusammenhang verwendeten Begriff ‚Doppelquote‘?
I. Bühler: Unser Ziel war es von Anfang an erstens das mechanische Recycling zu stärken und zweitens das chemische Recycling zu etablieren. Mit der sogenannten Doppelquote streben wir den Ausbau des Mechanischen an, das wir künftig bei einem Anteil von 75 % der Kunststoffverpackungsabfälle in Deutschland sehen. Gleichzeitig halten wir es für realistisch, dass chemische Verfahren 10 % der Verpackungsabfälle verarbeiten werden. Das wollen wir über die Doppelquote erreichen und auch steuern. Nach ein paar Jahren soll es eine Überprüfung geben, um etwaigen Fehllenkungen oder Fehlannahmen entgegenzusteuern.
Was muss passieren, damit die Doppelquote kommt?
I. Bühler: Zunächst einmal muss diese vorgeschlagene Regel von allen involvierten Akteuren in der Wirtschaft und in der Politik verstanden werden. Es wäre sehr wünschenswert und zielführend, wenn diese Doppelquote dann in der Novelle des Verpackungsgesetztes verankert und damit auch umgesetzt wird. Dann haben wir nicht nur einen Streit beigelegt, sondern die Potenziale definiert und den Kuchen für alle beteiligten Akteure größer gemacht, als er heute ist. Das macht wirtschaftlich ebenso viel Sinn wie es der Ressourcenschonung und dem Umweltschutz dient.
Können sich darauf denn alle verlassen?
I. Bühler: Das ist die Idee einer gesetzlichen Regelung. Im Prinzip schaffen wir Verkehrsregeln. Vorfahrt haben die mechanischen Recyclingverfahren, und es ist klar, wenn jemand gegen die Vorfahrt verstößt. Die chemischen Recyclingverfahren bekommen nun die Chance, sich als ergänzende Verfahren am Markt zu etablieren, und wir schaffen eine Investitionssicherheit für beide Technologiepfade. Wichtig war uns gemeinsam noch, dass wir die Transparenz für die Verbraucher ermöglichen. Wir schlagen für Produkte unterschiedliche Kennzeichnungen vor, sodass wir mechanische und chemische Rezyklate klar voneinander unterscheiden können. So haben wir uns darauf geeinigt, dass massenbilanzierte Produkte aus dem chemischen Recycling ausweisen, wie viele fossile Ressourcen durch sie eingespart werden, nicht aber einen Rezyklatanteil angeben. Mit unseren Vorschlägen haben wir uns somit auf einfache und praktikable Maßnahmen geeinigt, die sicher und zügig Fortschritt ermöglichen, indem sie bessere Rahmenbedingungen setzen, um wertvolle Ressourcen aus Kunststoffen am Ende der Nutzungsphase wiederzugewinnen.
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Zur Person
Ingemar Bühler (40) studierte Internationale Politikwissenschaften an der Universität Erlangen und erwarb ein Global-Business-Diplom an der University of Oxford. 2009 trat Bühler bei Bayer ein, wo er bis Ende 2020 in unterschiedlichen Rollen tätig war, u.a. als Leiter des Teams Internationale Politik und der Strategie-, Vorstands- und Finanzmarktkommunikation sowie als Stabsleiter im Bereich Public Affairs. 2019 übernahm er die Leitung der Abteilung Public Affairs & Sustainability in Deutschland, mit zusätzlicher Verantwortung für EU-Angelegenheiten. Seit 1. Januar 2021 ist Bühler Hauptgeschäftsführer von PlasticsEurope Deutschland.
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