Benchmark für den Materialkreislauf
Bei Polystyrol greifen mechanisches und chemisches Recycling perfekt ineinander
Polystyrol gehört zu den mengenmäßig wichtigsten Kunststoffen weltweit. Die thermoplastischen Polymere finden in vielen Bereichen Anwendung, dazu zählen Verpackungen und Konsumgüter genauso wie Isolierungen oder medizinische und diagnostische Geräte. Und: Polystyrol eignet sich wie kaum ein anderes Polymer für die Aufbereitung und Wiederverwendung, sagt Frank Eisenträger, ECO & Market Development Manager bei Ineos Styrolution. Im CHEManager-Interview diskutiert er das Polystyrolrecycling generell und die konkrete Frage, wie man einen Joghurtbecher am besten recycelt.
CHEManager: Herr Eisenträger, Sie sind bei Ineos Styrolution der Ansprechpartner für alle Fragen zum Thema Polystyrolrecycling. Was macht Polystyrol als Werkstoff so besonders?
Frank Eisenträger: Polystyrol, das für die Dämmung von Gebäuden, in Kühlschrankinnenleben oder auch für Verpackungen von Milchprodukten eingesetzt wird, eignet sich wie kaum ein anderes Polymer für die Aufbereitung und Wiederverwendung. Die Müllströme der unterschiedlichen Anwendungen sind getrennt. In Verpackungen von Milchprodukten wird Polystyrol praktisch nie schwarz eingefärbt und nur selten in Multi Layer-Aufbauten benutzt, sodass es sehr leicht aus dem Plastikmüll selektiert werden kann. Es lässt sich mit heutigen NIR-Methoden problemlos und schnell erkennen und sortenrein aussortieren wie kaum ein anderes Polymer.
Polystyrol kann daher ähnlich wie PET mechanisch recycelt werden, also mit dem Verfahren, das den niedrigsten Energiebedarf aller Recyclingverfahren hat. Doch neben dem mechanischen Recycling sind auch chemische Recyclingprozesse für Polystyrol geeignet.
„Das chemische Recycling ermöglicht auch Anwendungen, die dem mechanischen Recycling verschlossen sind.“
Wofür benötigt man das chemische Recycling, wenn Polystyrol mechanisch recycelt werden kann?
F. Eisenträger: Die verschiedenen Verfahren ergänzen sich! Bei Joghurtbechern wird sich mechanisches Recycling auch für Anwendungen mit Lebensmittelkontakt durchsetzen, daneben spielt die Depolymerisation, eines von mehreren chemischen Recyclingverfahren, eine wichtige Rolle für EPS/XPS-Abfallströme, also expandiertes oder extrudiertes Polystyrol.
Würden Sie das näher erläutern?
F. Eisenträger: Chemisches Recycling ist geeigneter, um EPS/XPS-Schäume als Rohstoff zu nutzen. Diese bestehen aus reinem Polystyrol ohne Kautschuk und ermöglichen eine höhere Ausbeute. Das mechanische Recycling dagegen ist geeignet, das in Joghurtbechern enthaltene schlagzähe High Impact Polystyrol – kurz: HIPS – zu verarbeiten. Hingegen sind für mechanisches Recycling die schwierig zu waschenden EPS- und XPS-Verpackungen unvorteilhaft. Will man das gesamte Polystyrol zurück zum Nahrungsmittelkontakt bringen, greifen aber beide Technologien perfekt ineinander.
Man schlägt damit zwei Fliegen mit einer Klappe: Die vorhandenen Müllströme werden gezielt den Recyclingverfahren zugeführt, die am besten für sie geeignet sind. Für einen gegebenen Abfallstrom können gezielt die Verfahren mit dem geringsten CO2-Fußabdruck ausgewählt werden.
Wie ausgereift sind denn die chemischen Recyclingverfahren für Polystyrol?
F. Eisenträger: Während bei Ineos Styrolution zu allen chemischen Recyclingprozessen intensiv geforscht wird, sind wir bei der Depolymerisation von Polystyrol sogar schon einen Schritt weiter. Die Depolymerisation, bei der die Polystyrolpolymere wieder in ihre kleinsten Einheiten, die Styrolmonomere, zerlegt werden, wird nicht mehr nur in kleinen Technikumsanlagen untersucht, sondern bei unserem Partnerunternehmen Indaver in Antwerpen ist bereits eine erste industrielle Anlage in der Inbetriebnahme. Indaver wird nach eigenen Aussagen inklusive der geplanten Erweiterungen 100 Mio. EUR in die Anlage mit einer Kapazität von 26.000 t investieren. Es sind mit uns und anderen Unternehmen entsprechende Kooperationsverträge zur Abnahme der produzierten Styrolmonomere abgeschlossen worden, sodass der Kreislauf optimal geschlossen werden kann.
Mehr noch: Das chemische Recycling ermöglicht auch Anwendungen, die dem mechanischen Recycling verschlossen sind. Transparente General-Purpose-Polystyrol-Anwendungen – kurz: GPPS –, zum Beispiel für Nahrungsmittelkontakt oder in Medizinanwendungen, aber auch Acrylnitril-Styrol-Acrylester-Copolymere – kurz: ASA –, die viel in der Automobilindustrie benutzt werden, haben derzeit noch keinen kreislaufwirtschaftlich nutzbaren Abfallstrom! Das durch Depolymerisation gewonnene Styrolmonomer kann jedoch auch in diesen Anwendungen benutzt werden. Auf der Seite der Ausgangsprodukte und auf der Seite der Anwendungen gibt es daher eine Synergie zwischen mechanischem Recycling und der Depolymerisation.
„Das mechanische Recycling von Polystyrol ist auch für kontaktsensitive Anwendungen sehr geeignet.“
Gilt das auch für kontaktsensitive Anwendungen? Wie verhält es sich mit Lebensmittelverpackungen wie den bereits erwähnten Joghurtbechern?
F. Eisenträger: Der ‚Super Clean Prozess‘ von Ineos Styrolution ist gemäß EU-Verordnung 2022/1616 als ‚Novel Technology‘ angemeldet und ermöglicht den Direktkontakt des Nahrungsmittels mit recyceltem Polystyrol. Joghurtbecher lassen sich von den Verbrauchern nach der Entleerung schlechter als beispielsweise PET-Flaschen sachfremd einsetzen. Dadurch ist von einer geringeren Kontamination recycelter Ware auszugehen. Die Initiative Styrenics Circular Solutions – kurz: SCS – hat das in einer aufwändigen Studie von über 10.000 analysierten Bechern unter wissenschaftlichen Bedingungen demonstriert. Hinzu kommt die Tatsache, dass Polystyrol davon profitiert, dass Anwendungen wie Verpackungen von Milchprodukten typischerweise im Kühlregal liegen und kurze Haltbarkeiten aufweisen, wodurch die Migration von Substanzen ins Nahrungsmittel noch einmal deutlich erschwert wird. Somit ist das mechanische Recycling von Polystyrol für kontaktsensitive Anwendungen sehr geeignet.
In der EU-Verpackungsverordnung wurde festgelegt, dass Lebensmittelverpackungen in Zukunft mindestens 10 % Rezyklat enthalten müssen. Können diese Quoten allein mit mechanischem Recycling erfüllt werden?
F. Eisenträger: Die in der EU vorgegebene Richtung mit dem Green Deal und insbesondere mit der EU-Verpackungsordnung zielt darauf ab, die Umweltauswirkungen durch Verpackungen zu reduzieren. Polystyrol wird zweifelsohne seinen Beitrag leisten und nahrungsmittelzugelassen aus mechanischem Recycling zur Verfügung stehen. Mit dem Ausbau der Sortierkapazitäten erscheint auch die Menge machbar. Geforderte Recyclingquoten sind in Ländern mit separater Müllsammlung greifbar nahe. In anderen Ländern bedarf es der Infrastruktur für alle Polymere! Da dies derzeit nicht für alle alternativ einsetzbaren Polymere so gegeben ist, könnte sich sogar eine höhere Nachfrage für Polystyrol ergeben.
Wäre es für Verpackungshersteller nicht einfacher auf andere Materialien auszuweichen, zum Beispiel auf Glas, oder Papier?
F. Eisenträger: Man kann sicher einwerfen, warum denn für Milchprodukte wie Joghurt gerade Polystyrol das Material der Wahl sein soll. Eine Studie des NABU, die vom Institut für Energie- und Umweltforschung – IFEU – in Heidelberg durchgeführt wurde, hat jedoch verschiedene Glas- und Plastikoptionen miteinander verglichen. Das Einwegglas hat sich schnell in allen untersuchten Kategorien disqualifiziert und Glasrecycling ist zwar perfekt etabliert, aber zu energieaufwändig. 3K-Verpackungen haben oft bei der maschinellen Mülltrennung Probleme mit dem Karton, gewinnen aber in der Kategorie Klimawandel. Polystyrol hat sich in der Kategorie Schadstoffemission als Sieger herausgestellt. Berücksichtigt man hier zusätzlich das Recycling, also die CO2-arme Produktion des Materials aus recycelten Rohstoffen, was in der NABU-Studie noch nicht der Fall war, so ist der Einsatz von Polystyrol auch im Vergleich mit Mehrwegglas eine mehr als sinnvolle, ja sogar überlegene Alternative.
Derzeit dominiert jedoch der Trend zur wenig nachhaltigen Substitution von leicht recycelbaren Kunststoffen durch Einwegglasverpackungen und Faserverbunde. Diese bringen in der Regel nicht nur ein höheres Müllaufkommen, sondern auch einen höheren ökologischen Fußabdruck und höhere Kosten für den Verbraucher. Bezüglich Glas und Papier liegt häufig beim Konsumenten der Eindruck einer hohen Nachhaltigkeit vor. Wenn Sie mich fragen, hat Polystyrol jedoch gute Aussichten, als ‚Rising Star‘ aus der Forderung nach Zirkularität hervorzugehen. Für unzählige Anwendungen – insbesondere auch für Anwendungen mit Nahrungsmittelkontakt – setzt Polystyrol mit seinen vielfältigen Recyclingoptionen einen neuen Benchmark für einen perfekten Materialkreislauf.
__________________________________________________________________________________________________________________________
CHEManager-Serie„Kunststoffrecycling“
Das Interview ist Teil der CHEManager-Serie „Kunststoffrecycling“. Den erstenTeil finden Sie hier.
__________________________________________________________________________________________________________________________