Chemie & Life Sciences

Best Practices für mehr Rezyklat im Auto

Wie Automobilhersteller die End-of-Life Vehicle Regulation (ELV) umsetzen können

11.12.2024 - Die End-of-Life Vehicle Regulation (ELV) soll Automobilhersteller in der EU ab 2030 dazu verpflichten, 25 % der Kunststoffe in neuen Fahrzeugen aus Post-Consumer-Rezyklat (PCR) zu beziehen. Davon müssen zudem 25 % des PCR aus Automotive-Abfällen stammen. Doch wie kann die Branche diese ambitionierten Ziele erreichen?

Fabian Grote, Leiter des technischen Marketings Mobility bei Covestro, und Erik Licht, Director New Business Development, Advanced Polymer Solutions bei LyondellBasell, erklären, welche Herausforderungen und Chancen die ELV für die Automobilindustrie mit sich bringt.

CHEManager: Die EU hat mit der ELV-Regulierung ehrgeizige Rezyklateinsatzziele für die Automobilindustrie vorgegeben. Wie wird sich diese Regulierung auf die Branche auswirken?

Erik Licht: Die EU treibt die Transformation zur Kreislaufwirtschaft mit der ELV konsequent voran. Die neuen Vorgaben bieten der Automobilindustrie eine gewisse Planungssicherheit und verpflichten sie gleichzeitig, noch mehr in den Einsatz von Post-Consumer-Rezyklaten zu investieren. Erste Fortschritte sind bereits erkennbar: Hersteller erhöhen den Rezyklatanteil und passen ihre Designs an, um recycelte Materialien besser zu integrieren. Doch die Umsetzung bleibt anspruchsvoll – besonders wegen der hohen Anforderungen an das Material sowie der Herausforderung für die Automobilhersteller, ausreichend PCR in verlässlicher Qualität zu beschaffen. In den Gremien von Plastics Europe arbeiten wir unternehmensübergreifend daran, der Politik die Potenziale, aber auch die Herausforderungen im Bereich der ELV näherzubringen. Wir wirken zum Beispiel darauf hin, dass das chemische Recycling als Ergänzung zum mechanischen Recycling in die Novelle aufgenommen wird. So können wir weitere Materialkreisläufe schließen.

Das dürfte entscheidend sein, denn im Automotive-Bereich werden von Polyolefinen wie Polypropylen bis zu Hochleistungskunststoffen wie Polycarbonat eine Vielzahl an Polymeren und Verbundmaterialien eingesetzt. Wo werden denn in den heutigen Fahrzeugen überall Kunststoffe verbaut?

Fabian Grote: Kunststoffe finden sich praktisch in jedem Bereich eines modernen Fahrzeugs und übernehmen dort vielfältige Funktionen. Im Innenraum sind sie zentral für Verkleidungen, Sitze und Bedienelemente sowie für Armaturenbretter oder Türgriffe. Auch Luftkanäle oder Kabelummantelungen bestehen häufig aus Kunststoffen. Im Außenbereich kommen sie etwa bei Stoßfängern, Frontgrills, Radhausverkleidungen, Dachmodulen, Sensorabdeckungen und Zierleisten zum Einsatz. Unter der Motorhaube übernehmen Kunststoffe Aufgaben, die hohe Temperaturbeständigkeit und Stabilität erfordern, zum Beispiel in Motorabdeckungen, Flüssigkeitsbehältern oder Gehäusen für Steuergeräte. In Bezug auf E-Mobilität sind sie auch in Batteriegehäusen, Kabelsystemen und bei der Ladeinfrastruktur unverzichtbar. Nicht zuletzt kommen sie in sicherheitsrelevanten Komponenten wie Crash-Strukturen, Airbag- oder Scheinwerferabdeckungen zum Einsatz, wo sie gleichzeitig Leichtbau und Sicherheit ermöglichen.

Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Herausforderungen beim Einsatz von Rezyklaten in der Automobilindustrie?

E. Licht: Eine der zentralen Herausforderungen ist die Qualitätssicherung. Rezyklate müssen die gleichen Materialeigenschaften und Sicherheitsstandards erfüllen wie Primärmaterialien, was besonders in sicherheitsrelevanten Bereichen entscheidend ist. Dies können wir über das chemische Recycling erreichen. In diesem Zusammenhang arbeitet LyondellBasell beispielsweise mit Audi, dem Karlsruher Institut für Technologie – KIT – und SynCycle zusammen, um Kunststoffabdeckungen für Sicherheitsgurte mit chemischem Recycling aus PP-Compound für eines ihrer Modelle herzustellen.
Zum ersten Mal wurde hier das chemische Recycling für einen Serien­einsatz in einem Closed-Loop-Ansatz aus gemischten Kunststoffabfällen aus der Automobilindustrie zu Kunststoffgranulat für die Innenausstattung eines Fahrzeuges genutzt. Im Jahr 2026 wird an Lyondell­Basells Standort südlich von Köln die erste Großanlage Deutschlands für die Erzeugung von Pyrolyseöl aus Kunststoffabfällen in Serie gehen.
Beim chemischen, aber auch beim mechanischen Recycling ist die Stabilität der Materialzusammensetzung wichtig, um die Anforderungen in der Serienproduktion einzuhalten. Neben der Qualität stellt die Verfügbarkeit von PCR eine weitere Herausforderung dar. Der Aufbau stabiler und rückverfolgbarer Lieferketten ist ebenfalls entscheidend, insbesondere da 25 % des PCR – also 6,25 % des Gesamtkunststoffs – künftig aus Altmaterialien aus Fahrzeugen stammen sollen.

Das hört sich nach einer komplexen Herausforderung an. Wie geht die Branche dieses Thema an?

E. Licht: Um dieses Ziel möglichst schnell und effektiv zu erreichen, sind sowohl starke wettbewerbliche als auch vorwettbewerbliche Anstrengungen und Kooperationen nötig. Deshalb investiert LyondellBasell beispielsweise in ein neues Aufbereitungszentrum in Lich bei Gießen. Dieses Recyclingzentrum soll ELV-Kunststoffabfälle in hochwertiges Ausgangsmaterial für Hochleistungswerkstoffe umwandeln. Auf der vorwettbewerblichen Seite ist LyondellBasell zudem mit Covestro und anderen Chemiekonzernen Mitglied der Global Impact Coalition – GIC –, um gemeinsam Lösungen für das Recycling von Altfahrzeugen voranzutreiben und den Markt für Hochleistungskunststoffe mit geschlossenem Kreislauf zu sichern.


Wie sollen die Automobilhersteller die hohen Rezyklateinsatzquoten denn erreichen? Gibt es Teile im Auto, wo sich der Rezyklatanteil besonders leicht erhöhen lässt?

E. Licht: Der Einsatz von Rezyklaten hängt stark von den Anforderungen an das Bauteil ab. Bereiche, in denen die Ansprüche an Oberflächenqualität, Farbgenauigkeit oder mechanische Eigenschaften weniger streng sind, eignen sich besonders gut für den Einstieg. Radhausverkleidungen, Unterbodenabdeckungen oder unsichtbare Innenraumkomponenten sind Beispiele, wo der Einsatz von Rezyklaten vergleichsweise einfach möglich ist.

Was bedeutet das konkret? Was würden Sie Automobilherstellern raten, womit sie anfangen sollten?

F. Grote: Ich würde Automobilherstellern empfehlen, zunächst in weniger kritischen Bereichen anzusetzen, um schnell Erfahrungen mit Rezyklaten in der Serienproduktion zu sammeln. Parallel dazu sollten sie in die Entwicklung von Recyclinglösungen investieren, die den Einsatz von Rezyklaten auch in anspruchsvollen Komponenten wie sichtbaren oder sicherheitsrelevanten Bauteilen ermöglichen. Für solche Bauteile, etwa Scheinwerferabdeckungen oder Crash-Strukturen, sind Material­homogenität, Stabilität und langfristige Belastbarkeit entscheidend – auch hier bietet chemisches Recycling spannende Potenziale.
Zusammen mit Neste und Borealis hat Covestro beispielsweise bereits gezeigt, wie alte Reifen mittels Pyrolyse in hochwertiges optisches Polycarbonat recycelt werden können, um dann zum Beispiel als transparente Kunststoffabdeckscheibe in Autoscheinwerfern neue Verwendung zu finden. Der Schlüssel liegt in einer schrittweisen Herangehensweise: Zuerst die Low-Hanging Fruits nutzen und gleichzeitig gezielt in anspruchsvollere Anwendungen investieren.

Gibt es weitere Best Practices, die Sie Automobilherstellern empfehlen würden, um die ELV erfolgreich umzusetzen?

E. Licht: Ich denke, dass in diesem Zusammenhang für die Automobilhersteller drei Dinge sinnvoll wären, um sich optimal auf die Vorgaben der ELV-Regulierung vorzubereiten.
Erstens: Handeln Sie frühzeitig, um Rohstoffströme, die Sie für Ihre zukünftige Produktion benötigen, sicherzustellen. Andere Branchen wie die Verpackungs- oder die Elektronik­industrie sind in der Nutzung von Post-Consumer-Rezyklaten bereits sehr viel weiter als die Automobilindustrie.
Zweitens: Setzen Sie sich für die Akzeptanz von Massenbilanzen und die komplementäre Nutzung von mechanischem und chemischem Recycling ein. Diese Ansätze sind essenziell, um eine breite Palette an Recyclingtechnologien und Rohstoffströmen nutzen zu können, die den vielfältigen Materialanforderungen der Automobilindustrie gerecht werden.
Drittens: Suchen Sie aktiv nach Kooperationen, insbesondere mit der chemischen Industrie. Solche Partnerschaften können helfen, nicht nur die Verfügbarkeit von PCR zu sichern, sondern auch deren Qualität und Skalierbarkeit zu entwickeln, um den hohen Anforderungen der Automobilindustrie gerecht zu werden.

 

 

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CM_Serie

Dieses Interview ist Teil der CHEManager-Serie über Kunststoffrecycling in Kooperation mit Plastics Europe Deutschland.

 

 

ZU DEN PERSONEN
Erik Licht, Director New Business Development, Advanced Polymer Solutions bei LyondellBasell, und Fabian Grote, Leiter des technischen Marketings Mobility bei Covestro, arbeiten gemeinsam im VDA-Arbeitskreis Polymere, um Lösungen für das Recycling von Altfahrzeugen voranzutreiben. Licht studierte Chemie an der Universität Bayreuth und trat nach seiner Promotion bei LyondellBasell ein, wo er seit 26 Jahren tätig ist. Grote studierte Physik an der Universität Münster und promovierte an der Technischen Universität Ilmenau. Seit 2016 ist er bei Covestro tätig.

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