Handelsblatt-Jahrestagung Chemie 2008
15.11.2010 -
Handelsblatt-Jahrestagung Chemie: „Ohne Chemie geht nichts im Leben“, sagte Prof. Dr. Ulrich Lehner, Präsident des Verband der Chemischen Industrie (VCI), in seinem einleitenden Vortrag auf der Handelsblatt-Jahrestagung Chemie 2008. Damit das Zitat Lehners auch in der Zukunft seine Gültigkeit behält, denkt die Branche schon heute über die globalen Herausforderungen von morgen nach. Dabei identifiziert jedes Unternehmen eigene Megatrends, auf denen es seine Geschäfts- und Innovationsstrategie aufbaut.
Die BASF-Konzern zählt gleich vier davon: Gesundheit und Ernährung, Bauen und Wohnen, Energie und Ressourcen sowie Mobilität und Kommunikation sind Impulsgeber für das Wachstum des weltgrößten Chemiekonzerns. „Zwar sind diese Trends nicht neu, aber die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Entwicklung hat stark zugenommen“, sagte Dr. Andreas Kreimeyer, Vorstandsmitglied und Sprecher der Forschung bei der BASF. Hinzu komme, dass die Globalisierung nicht nur neue Märkte öffne, sondern auch die gesellschaftlichen und sozialen Probleme näher zusammen rückten. Damit steige auch die soziale Verantwortung der Unternehmen.
Dr. Alfred Oberholz, Mitglied des Vorstands der Evonik Industries, betonte die Bedeutung eines beschleunigten Innovationsprozesses in der deutschen Chemieindustrie, damit diese im internationalen Wettbewerb bestehe. Evonik setzt dabei zum einen auf eine engere Zusammenarbeit mit dem Kunden in Science-to-Business Centers zu den Themen Bio (nachwachsende Rohstoffe), Nanotronics und Energieeffizienz. Die „risikoreichere“ Forschung zum Aufbau neuer Technologieplattformen wird in Projekthäusern zusammengefasst und auf drei Jahre begrenzt. Auch in diesem frühen Entwicklungsstadium sei es wichtig, dass hinter jeder Idee auch eine Geschäftsidee stecke, denn „Innovation ist Umwandlung von Wissen in Geld.
Jedes Projekt sollte daher mit Dollarzeichen in den Augen beginnen“, sagte Oberholz. Das Chemieunternehmen Lanxess nennt als Megatrend die grüne Chemie: „Ich bin überzeugt, der gesamte Bereich der ‚Green Chemistry’ bietet der etablierten Chemieindustrie des Westens für die nächsten Jahre und Jahrzehnte ein riesiges Erfolgspotential“, sagte Dr. Werner Breuers, Vorstandsmitglied der Lanxess.
Auch Cognis setzt auf grüne Chemie: Wellness und Sustainability heißen die Megatrends, nach denen das Spezialchemieunternehmen seine Innovationsstrategie ausrichtet. Rund die Hälfte aller Rohstoffe, die das Unternehmen für seine Produkte einsetzt, basieren auf nachwachsenden Rohstoffen. Zudem beachte Cognis bei der Entwicklung neuer Produkte und Prozesse die „12 Prinzipien grüner Chemie“, betonte Vorstandsvorsitzender Dr. Antonius Trius, dazu zählt u.a. die Abfallvermeidung, geringer Energieaufwand bei Reaktionen sowie biologische Abbaubarkeit. Damit kommt das Unternehmen auch den Bedürfnissen seiner Kunden aus der Konsumgüterindustrie nach, die sich durch „nachhaltige“ Produkte einen Wettbewerbsvorteil schaffen können.
5 Mrd. € Umsatzpotential durch Innovationen
Wer seine Innovationen nicht nur langfristig plant, sondern darüber hinaus noch die Wünsche und Endkundenmärkte seiner Kunden von heute kennt, hat die besten Voraussetzungen für ein profitables organisches Wachstum. Doch genau hier liegt nach einer aktuellen Studie von A.T. Kearney ein erhebliches, ungenutztes Potential: Bis zu 5 Mrd. € mehr Umsatz mit neuen Produkten, die weniger als drei Jahre im Markt sind, könnten deutsche Chemieunternehmen generieren, wenn alle ein so effizientes Innovationsmanagement umsetzten wie die 30 Besten der Branche. Letztere erreichen ein Verhältnis zwischen Umsatz mit neuen Produkten zu Investitionen von 2,4, während der durchschnittliche Faktor für die gesamte Chemiebranche nur bei 1,4 liegt.
„Die Leistungsfähigkeit seiner Innovationskraft erhöht ein Unternehmen nicht nur dadurch, dass es das Verhältnis von Ausgaben für Forschung und Entwicklung zu Umsatz optimiert“, sagte Thomas Rings, Vice President bei A.T. Kearney. „Es geht vielmehr darum, unter den Handlungsalternativen die richtige auszuwählen und diese auf effiziente Weise umzusetzen. Davon ist manch ein Branchenplayer noch ein Stück weit entfernt.“
Dieses Bild zeigt auch die Befragung der Unternehmensberatung, in der die zentralen Kundenindustrien der Chemieindustrie zur Innovationskraft ihrer Zulieferer befragt wurden. Beteiligt haben sich Unternehmen der Branchen Automobil, Bau, Konsumgüter, Kosmetik, Medizintechnik, Verpackung sowie Papier und Zellstoffe. Obwohl rund 94 % der Befragten die Beiträge ihrer Zulieferer zur Erfüllung der Anforderungen ihrer direkten Kunden für sehr wichtig beziehungsweise wichtig halten, gab rund jeder dritte Befragte an, dass lediglich 10 bis 20 % der aktuellen Produktoder Prozessinnovationen von Zulieferern initiiert wurden. Vor allem fehlt es manchen Zulieferern in puncto Innovationskraft an Weitblick, wenn es um das langfristige Verständnis bzw. die Antizipation ihrer Kundenanforderungen geht, so ein weiteres Ergebnis. Während 65 % der Befragten den Beitrag ihrer Zulieferer zur Erfüllung aktueller Kundenanforderungen als „gut“ und 29 % als „ausreichend“ einstufen, zeichnet sich beim Blick auf zukünftige Kundenanforderungen ein schwächeres Bild ab. Nur 18 % halten den Beitrag der Zulieferindustrie für „gut“, 41 % für „ausreichend“ und 35 % für „verbesserungswürdig“. Des Weiteren zeigt die Befragung, dass Zulieferer aus der Chemieindustrie zwar eine im Wesentlichen zufrieden stellende Kenntnis der Anforderungen ihrer direkten Kunden haben, diese Kenntnis aber entlang der Wertschöpfungskette hin zum Endkonsumenten deutlich abnimmt. Für die Kenntnis der Anforderungen der Endkonsumenten gilt: Rund 70 % der Befragten halten dieses Verständnis für „verbesserungswürdig“ oder maximal „ausreichend“. Eine Befragung der 180 Teilnehmer der Handelsblatt-Tagung Chemie ergab: Innen- und Außensicht der Chemiebranche decken sich in vielen Punkten. Das Problem ist erkannt. Und die Vorträge der Referenten in Düsseldorf zeigen, dass die Chemieindustrie intensiv an der Verbesserung ihres Innovationsmanagements arbeitet.
Andrea Gruß