Maßgeschneidert und effizient
Die kombinierte Entwicklung von Test und Medikament schafft Werte für Patienten und Unternehmen
Forschende Pharmaunternehmen sehen sich mit steigenden Kosten für Forschung und Entwicklung und zunehmender Konkurrenz durch Generika konfrontiert. Entsprechend suchen sie nach neuen Wegen für die Entwicklung von sicheren und hochwirksamen Medikamenten in kürzerer Zeit. Die personalisierte Medizin bietet eine Antwort auf diese Herausforderung. Dr. Andrea Gruß sprach mit Peer Michael Schatz, Vorstandsvorsitzender bei Qiagen, über die Chancen und Möglichkeiten, die eine personalisierte Medizin für Pharmaunternehmen, Patienten und unser Gesundheitssystem bietet.
CHEManager: Qiagen startete vor 25 Jahren unter dem Namen Diagen als Dienstleister der Forschung? Wo steht das Unternehmen heute?
P. M. Schatz: Wir sind weltweit als Technologieinnovator im Bereich der molekularen Analytik unterwegs und beschäftigen über 3.100 Mitarbeiter an 34 Standorten. Qiagen bietet Technologien und Reagenzien für die Isolierung, Aufbereitung sowie Tests für den Nachweis von Erbinformationen und Proteinen an. Dabei konzentrieren wir uns auf vier Geschäftsfelder: Die Erkenntnisse aus der Genomik ermöglichen zahlreiche neue Anwendungen für die humane molekulare Diagnostik; dies ist ein wichtiges Marktsegment unseres heutigen Geschäfts. Ein zweites Feld ist die pharmazeutische Industrie, die unsere Produkte für die Profilierung von Krankheiten, Patienten und Therapieerfolgen in den klinischen Phasen der Entwicklung einsetzt. Das dritte Feld sind angewandte Testverfahren, ein Geschäftsfeld, das alle unsere Nachweise, die nicht am Menschen gemacht werden, z. B. in der Veterinärmedizin, der Forensik oder dem Lebensmittelbereich, zusammenfasst. Der vierte Bereich sind Produkte für die akademische Forschung. Diese machten bis vor wenigen Jahren den Großteil unseres Geschäfts aus, inzwischen entfällt auf sie ein Viertel des Unternehmensumsatzes.
Wie verteilen sich die übrigen Umsätze?
P. M. Schatz: Auf die pharmazeutische Industrie und den Einsatz unserer Produkte zur Entwicklung personalisierter Medizin oder für effiziente klinische Prüfungen entfallen etwa 20%. Die angewandten Tests machen rund 10% aus. Die molekulare Diagnostik ist das größte der vier Geschäftsfelder, hier erzielen wir etwa die Hälfte unseres gesamten Umsatzes, der im Jahr 2008 bei 893 Mio. US-$ lag und 2009 währungsbereinigt erstmals über 1 Mrd. US-$ steigen wird.
Wie groß ist der weltweite Markt für molekulare Diagnostik, wie wachstumsstark das Geschäft?
P. M. Schatz: Das Marktvolumen liegt etwas über 2,5 Mrd. US-$. Etwa die Hälfte des Umsatzes fällt auf Diagnostika für Blutbanken. Mit ihnen werden Blutbeutel daraufhin überprüft, ob sie mit Viren infiziert sind. Ohne den Blood-Banking-Bereich beträgt das weltweite Marktvolumen über 1 Mrd. US-$. Hier hat Qiagen im vergangenen Jahr einen Umsatz von 450 Mio. US-$ erzielt und ist damit weltweit Marktführer. Während die Umsätze im Blood-Banking-Bereich relativ stabil sind, wächst das restliche Marktsegment derzeit um 20 bis 25% pro Jahr. Gründe für das Wachstum sind neue Technologien und die zunehmende Angebotsvielfalt an Tests, aber auch die immer stärkere Annahme von Tests, die schon eingeführt worden sind.
Können Sie ein Beispiel hierfür nennen?
P. M. Schatz: Beispielsweise der Test auf die Erkennung von Hochrisiko-Typen der Humanen Papillomviren (HPV). Die Viren lösen Gebärmutterhalskrebs aus - die zweithäufigste Krebsart bei Frauen, an der jährlich rund 300.000 Menschen sterben. In den USA machen bereits über 30% der Frauen den HPV-Test, der im Rahmen eines Screenings kombiniert mit einem zytologischen Abstrich für Frauen über 30 Jahre voll erstattet wird. Dies hat bereits zu einer signifikanten Reduktion der Krebserkrankungen geführt.
Wie ist die Situation in Deutschland?
P. M. Schatz: In Deutschland liegt die Penetration unter 5%, d.h., nur eine von 20 Frauen nimmt diesen Test überhaupt wahr, obwohl die Kosten etwa ein Dreißigstel einer HPV-Impfung betragen und er eine höhere Sicherheit gegen Krebs mit sich bringt. Studien belegen nachhaltig die Vorteile des HPV-Tests, der zu einer völligen Auslöschung der Krankheit beitragen kann. In diesem Zusammenhang ist es sehr unglücklich, dass die HPV-Vakzine hierzulande aufgrund bestimmter Marketingmethoden in Verruf gekommen sind. Auch wenn wir nicht in dem Bereich Vakzine aktiv sind, halten wir diese für durchaus wertvoll für den Einsatz an jungen Mädchen. Unsere Tests hingegen decken den viel größeren Bereich des Einsatzes an Frauen ab 30 ab.
Die humane Diagnostik erlaubt nicht nur eine gezielte Vorsorge, sondern ist zugleich Grundlage für eine moderne Arzneimitteltherapie. Welche Möglichkeiten ergeben sich durch eine personalisierte Medizin?
P. M. Schatz: Was für den einen ein wirksames Heilmittel ist, kann beim anderen keine oder sogar schädliche Reaktionen hervorrufen. Mittels DNA-Tests lassen sich Vorhersagen für die Wirksamkeit eines Medikaments treffen und so maßgeschneiderte Behandlungsmethoden finden. Zurzeit werden daher zugelassene Arzneimittel im Nachhinein mit Tests kombiniert, damit sie noch effizienter werden. Qiagen hat etwa 15 dieser Tests im Portfolio, z.B. einen Test für die Verträglichkeit von Abacavir, einem wichtigen Aids-Medikament. 2008 haben wir einen Test zur Bestimmung von Mutationen im K-ras-Gen eingeführt, der bei Patienten mit Darmkrebs eine Prognose erlaubt, ob die Therapie mit EGFR-Inhibitoren erfolgreich sein kann. Bislang ist ein solcher Wirkstoff nur für die Behandlung von Darmkrebs zugelassen, aber es gibt etwa 140 klinische Prüfungen mit dem Ziel, diese Molekülklasse auch gegen andere Krebsarten einzusetzen. Da eine Therapie etwa 60.000 US-$ kostet, schreibt die Gesundheitsbehörde vor, dass vorab durch einen Test sichergestellt wird, dass die EGFR-Inhibitoren bei einem Patienten effizient wirken können.
Demnach ist eine maßgeschneiderte Therapie nicht, wie oft befürchtet, Kostentreiber, sondern kann im Gegenteil dazu beitragen, die Kosten des Gesundheitssystems zu senken?
P. M. Schatz: Absolut. Jedes Jahr werden Milliarden-Beträge für die Verschreibung wirkungsloser Medikamente oder falscher Therapien ausgegeben. Viele Arzneimittel, die heute sehr breit im Einsatz sind, haben nur eine Effektivität von 30% bis 40%, weil die Krankheit und der Patient nicht richtig profiliert werden
Dies belastet nicht nur die Budgets der Krankenversicherungen, sondern auch die Gesundheit der Patienten, die oft unter Nebenwirkungen zu leiden haben. Nicht erwünschte Nebenwirkungen sind die Ursache für eine der größten Kostenpositionen im Gesundheitswesen. Über eine bessere Kombination von Diagnostik und Medikamententherapie ließen sich nicht nur Therapieerfolge deutlich steigern, sondern auch die Gesundheitskosten senken. Marktstudien schätzen das Einsparpotential der personalisierten Medizin im weltweiten Gesundheitsmarkt auf 380 Mrd. US-$.
Wie wirkt sich die Strategie der personalisierten Therapie auf die Medikamentenentwicklung aus?
P. M. Schatz: Wir arbeiten intensiv mit vielen Pharmaunternehmen zusammen, die bereits in frühen Phasen der Entwicklung über Kombinationsprodukte nachdenken und Diagnostika und Therapeutika zusammen entwickeln. Dies bringt den Vorteil, dass sich die Unternehmen sehr früh die Positionierung des Medikaments überlegen und ihr Marketing frühzeitig auf das Kombinationspräparat ausrichten können.
Ist die Entwicklung von Kombinationspräparaten nicht noch kostenintensiver für die Unternehmen?
P. M. Schatz: In der Tat wird die Entwicklung von Arzneimitteln immer teurer und aufwendiger, und die Ausfallsrate an Projekten in der pharmazeutischen Industrie ist sehr hoch. Gerade deshalb suchen Unternehmen nach Wegen, das Risiko eines Fehlschlags bei der Entwicklung zu minimieren und zugleich möglichst effiziente Arzneimittel zu entwickeln. Diagnostika können hierzu beitragen. Zwar erhöhen sich die Investitionen bei der kombinierten Entwicklung, aber gleichzeitig reduziert sich das Risiko eines Fehlschlags, und dies steigert wiederum den um das Risiko diskontierten Wert eines Projektes.
Zudem besteht bei einer kombinierten Entwicklung die Möglichkeit, Patienten oder Subtypen von Krankheiten, die besonders gut auf eine Therapie ansprechen, durch entsprechende Tests zu identifizieren und quasi mit einer angereicherten Population in die klinische Untersuchung zu starten. Dies führt zu einer schnelleren und vor allem mit weniger Nebenwirkungen und Risiken verbundenen Entwicklungsphase und ist m. E. der wesentliche Grund, weshalb die pharmazeutische Industrie sich hier engagiert. Inzwischen erkennt man mehr und mehr, dass personalisierte Medizin nicht heißt, Werte aufzugeben, sondern Werte für den Patienten zu schaffen - und dadurch entstehen meist automatisch auch Werte für die beteiligten Unternehmen.
Auch für Qiagen...
P. M. Schatz: Ja, Kooperationen mit Pharmafirmen bei der Entwicklung von Kombinationspräparaten sind für uns von höchster Bedeutung. Wir haben ein sehr aktives Portfolio an Partnerschaften, das viele der großen Pharmaunternehmen umfasst, und investieren stark in diese langfristigen Projekte. Denn mit der Einführung eines personalisierten Arzneimittels würde dann ja auch unser Diagnostikum eingesetzt.
Interessant an diesen Kooperationen ist - wenn Sie in der Geschichte Qiagens zurückschauen -, dass wir durch unseren Ursprung aus dem Forschungsmarkt eine besondere Kompetenz mitbringen: Wir sind das einzige Pharma-unabhängige Unternehmen, welches die Flexibilität, die man in der Forschung benötigt, kombiniert mit dem Know-how bei der Regulierung, die im Bereich der klinischen Validierung eingreift, und einer sehr hohen Präsenz im Markt für Molekulardiagnostik.
Wird es auch weiterhin Blockbuster geben?
P. M. Schatz: Absolut. Es wird nie - oder nur in wenigen Fällen - von Anfang an das Ziel sein, ein personalisiertes Medikament herauszubringen. Es ist jedoch heutzutage durchaus möglich, dass Sie einen Blockbuster entwickeln, also ein Medikament mit mehreren Milliarden Umsatz, das personalisiert eingesetzt wird. Wenn Sie jedoch unter einem Blockbuster ein Von-der-Stange-Produkt für eine möglichst große Bevölkerungsgruppe verstehen und dies mit einem personalisierten Produkt vergleichen, so werden zumeist die Kosten, die das Von-der-Stange-Produkt für das Gesundheitssystem erzeugt, bei vergleichbarem Umsatz deutlich höher sein. Deshalb ist es im Interesse aller Beteiligten im Gesundheitssystem, viel stärker auf Informationsgewinnung und die Personalisierung von Therapeutika zu setzen.
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