Zwischen Skylla und Charybdis
Ist Lösemittelrecycling noch zeitgemäß?
Können wir es uns leisten, in Zeiten exorbitant steigender Energiekosten, in denen neben der Nutzung von Wind- und Sonnenkraft auch die Energie aus Nahrungsmitteln herangezogen wird, auf die Energie gebrauchter und verschmutzter Lösemittel zu verzichten?
Lösemittelrecycling ist aus einer „Notsituation" entstanden. Einer hohen Nachfrage standen nicht ausreichende Produktionskapazitäten und Rohstoffengpässe gegenüber. Heute - im Rahmen der Globalisierung - sind ausreichende Produktionskapazitäten vorhanden und die Rohstoffversorgung (Erdöl) ist bei entsprechendem Preisniveau ausreichend verfügbar - noch!
Mit einfachsten Mitteln und geringem Aufwand versuchte man in der Nachkriegszeit verschmutzte Altöle und Lösemittel wieder „gebrauchsfähig" zu machen. Entstanden ist daraus eine Branche, die der industriellen Produktion vergleichbar ist. Die Ausgangsprodukte für die industrielle Produktion sind in der Regel uniform und von gleich bleibender Qualität. Die Rohstoffe der Lösemittelrecycler sind so unterschiedlich wie die Anwendungsmöglichkeiten, durch die sie verschmutzt werden und die Verunreinigungen, die sie enthalten. Zwangsweise ist die Eingangsüberwachung bei den Recyclern aufwendig und ein entscheidender Faktor für ein hochwertiges Endprodukt.
Situation der Recycler
Die industrielle Produktion unterliegt strengen chemisch- / physikalischen Gesetzen, unter denen aus einer oder mehreren Substanzen neue Produkte entstehen. Entsprechend sind die Produktionsanlagen zielgerichtet ausgelegt. Lösemittelrecycler stellen keine „neuen" Produkte her, sie trennen das „bestehende" Lösemittel von seinen Verunreinigungen. Die Fachkenntnis des Recyclers über die Eigenschaften des Lösemittels als auch deren Anwendungsgebiete im Zusammenhang mit der Kenntnis über die Eigenschaften der Verschmutzungen, ermöglicht es, mit einer ausgewogenen Anlagentechnik ein optimales Regenerat zu erzeugen.
Auch bezüglich seines Fuhrparks kann der Lösemittelrecycler nicht unbedingt auf Standardfahrzeuge zurückgreifen. Die Problematik beginnt bei der differenzierten Altwarensammlung beim Abfallverursacher. Die „thermische" Verwertung ist am Heizwert des Abfalls interessiert und benötigt keine getrennte Sammlung. Die „stoffliche" Verwertung interessiert sich für die Inhaltstoffe, bei möglichst sortenreiner Trennung in Sicherheitsgebinden. Diese wiederum reichen vom 30 L-Behälter bis zum 30 m3-Tank. Es werden Stückgutfahrzeuge mit Sicherheitswannen und Multitankfahrzeuge, die sowohl Schmutzware (Abfälle) als auch Regenerate (Produkte) fahren können, benötigt.
Im Umgang mit Chemikalien sollte stets auf die Sicherheit von Mensch und Umwelt geachtet werden; dieses gilt insbesondere auch für Regenerate. Der Vertrieb von Regeneraten stellt erhöhte Anforderungen an die Beteiligten. Es sollte eine Selbstverpflichtung sein, dass Regenerate in bestimmten Anwendungsgebieten nicht verwendet werden sollten, und es muss sichergestellt sein, dass alle Informationen über das Produkt vom Recycler bis zum Anwender lückenlos und vollständig sind.
All diesem Aufwand hat die „thermische" Verwertung nur das Argument der „einmaligen" „Rück"gewinnung der in den Lösemitteln „gespeicherten" Energie entgegen zu setzen. In Ländern, in denen keine Steuern auf den Heizwert dieser Lösemittel erhoben werden, führt dieses zu einer „indirekten Subvention" durch die Einsparung der Mineralöl- und Ökosteuer. Modellrechnungen liefern den Nachweis, in welchem Rahmen aus energetischer Sicht Lösemittelrecycling sinnvoll ist. Nicht jedes gebrauchte Lösemittel sollte aufbereitet werden, aber der Anteil der Aufbereitung, insbesondere bei den brennbaren Lösemitteln, kann aus ökonomischer und ökologischer Sicht gesteigert werden.
Schwierige Rahmenbedingungen
Die europäischen Rahmenbedingungen hierfür wurden/werden mit Reach und der Waste Framework Directive geschaffen. Manche sehen die Recycling-Branche nun zwischen Charybdis (Reach) und Skylla (Abfall) -(siehe auch Dr. J. Fluck „Reach und Abfall", Abfall R 1 2007). Die ESRG (European Solvent Recycler Group) hat sich frühzeitig mit ihren Argumenten in die Diskussion eingebracht. Um nicht zwischen Skylla und Charybdis zu geraten, waren wir der Meinung, dass es unter bestimmten Bedingungen möglich sein sollte, gebrauchte „Chemikalien zur Verwertung" im „Lifecycle" zu belassen und aus dem Abfallbegriff heraus zu halten. Hierfür haben wir kein Gehör gefunden. Allerdings, mit der Einstufung als „Nachgeschalteter Anwender" (Downstream-user), konnte verhindert werden, dass aufbereitete Chemikalien, die durch die Aufbereitung keine chemische Veränderung erfahren, von einer erneuten Registrierungspflicht ausgenommen sind.
Die Verbindungen zwischen Reach, Waste Framework Directive und New Waste Strategy, sehen Lösemittelrecycler nicht als Klippen, die umschifft werden müssen, sondern als Bindeglieder zwischen Produkt und Abfall. Noch gibt es viele Details zu klären, wie z.B. die Verwertungshirarchie. Und, wohl eines der „ältesten" Probleme der Welt, wird uns wohl auch in Zukunft erhalten bleiben: die Sprachbarriere. Sowohl Reach als auch die Waste Framework Directive geben uns ausführlich Begriffsbestimmungen für z.B.: Substanzen, Stoffe, Zubereitungen, Nebenprodukte, Zwischenprodukte etc. Erscheint es für den Außenstehenden bereits in der Muttersprache als irritierend, steigert sich die Irritation mit der Anzahl der Übersetzungen in die verschiedensten Sprachen der Europäischen Union. Hier wird es noch viel Arbeit bedürfen, bis alle Beteiligten den Begriffen den „annähernd" gleichen Inhalten zuordnen werden.
Schwierig wird die Entscheidung auch für denjenigen werden, der heute seine Produkte bedenkenlos als „Nebenprodukt" oder „Sekundärrohstoff" vertreibt. Ohne entsprechende Aufbereitung dürfte ein gebrauchtes Lösemittel zukünftig einer bedenkenlosen Vermarktung nicht mehr zur Verfügung stehen. Ebenso sollte aus gesamtwirtschaftlicher Sicht die Entscheidung des Verursachers dahin gehen, dass die im Life-cycle eingebundene „stoffliche Verwertung" der einmaligen „thermischen Verwertung" vorzuziehen ist. Wenn wir den Einsatz von Erdöl als Rohstoff wirklich einschränken wollen, so leistet das Lösemittelrecycling auch heute schon einen bescheidenen aber effektiven und sinnvollen Beitrag.