Chemie & Life Sciences

Antimikrobielle Technologien

In situ generierte Radikale als Schlüssel zu nachhaltigem Schutz von Farben und Lacken

19.03.2025 - Regulatorischen Rahmenbedingungen sind eine zentrale Herausforderung für Anwender und Hersteller antimikrobieller Technologien und machen den Bedarf an innovativen Konzepten notwendig, um zukunftssicher aufgestellt zu sein.

Biozide spielen eine entscheidende Rolle in der Farb- und Lackindustrie, insbesondere bei wasserbasierten Produkten, um die Haltbarkeit und Qualität durch den Schutz vor Mikroben zu gewährleisten. Die strengeren Vorschriften der Biozidverordnung erfordern eine Neubewertung dieser Wirkstoffe, was dazu führen wird, dass viele gängige Biozide nicht mehr verwendet werden dürfen. Innovative Lösungen wie die der in situ generierten freien Radikale bieten vielversprechende Alternativen zur konventionellen Konservierung und unterstützen eine nachhaltige Produktentwicklung ohne die Gefahr von Resistenzen.

In der Diskussion um umweltfreundliche Praktiken und die Reduzierung gesundheitsschädlicher und umweltgefährlicher Stoffe in Formulierungen stehen Biozide zunehmend unter Druck. Oft wird die essenzielle Rolle, die sie als Konservierungsmittel in der Farb- und Lackindustrie einnehmen, unterschätzt. Besonders bei wasserbasierten Farben ist der Einsatz von Bioziden entscheidend, um die Qualität und Haltbarkeit der Produkte von der Produktion bis hin zur Anwendung zu gewährleisten. Doch warum ist es notwendig, Farben mit Bioziden auszurüsten?
Der Anteil dieser an der Gesamtformulierung mag zunächst gering erscheinen, doch ihr Beitrag zum Schutz vor Mikroben ist unermesslich. Wasserbasierte Farben sind oftmals einem feuchtwarmen Mikro­umfeld ausgesetzt, welches Mikro­organismen die optimale Grundlage bietet, um sich zu vermehren. Die Folgen sind verheerend: Von unangenehmem Geruch bis hin zur sichtbaren Schimmelbildung – der Schaden ist oft bereits angerichtet, bevor er wahrgenommen wird. Bakterien, deren Anzahl sich innerhalb weniger Minuten verdoppeln kann und Pilze, die mehrere Tage bis Wochen benötigen, um sichtbar zu werden, sind eine ständige Bedrohung. Biozide bieten hier einen effektiven Schutz zur Sicherstellung der Produktqualität.

Biozidwirkstoffe im Kontext der Biozidverordnung
Bis Mitte der 1990er Jahre konnten Biozide ohne Zulassungsverfahren auf den Markt gebracht werden, doch die Einführung der Biozidverordnung im Jahr 2012 brachte grundlegende Veränderungen mit sich. Diese Verordnung verfolgt das Ziel, sowohl Mensch als auch Umwelt vor den potenziellen negativen Auswirkungen eines übermäßigen Einsatzes von bioziden Substanzen zu schützen. In diesem Zusammenhang wurde bestimmt, dass sich alle bereits zum damaligen Zeitpunkt auf dem Markt verfügbaren antimikrobiellen Technologien einer Überprüfung gemäß den neuen Regularien zu unterziehen haben. 
So wurden im Bereich der Topfkonservierung (PT 6) bis heute, mehr als zehn Jahre nach der Evaluierungsphase, erst 28 von insgesamt 62 Wirkstoffen bewertet und lediglich elf davon zugelassen. Es ist davon auszugehen, dass mittelfristig eine Vielzahl der auf dem Markt verfügbaren Altwirkstoffe entweder verschwinden oder hinsichtlich der zulässigen Einsatzmengen stark limitiert werden. Insbesondere die Beschränkungen für CMIT (Chlormethylisothiazolinon) im Jahr 2015 und MIT (Methylisothiazolinon) im Jahr 2020 haben ein Umdenken in der gesamten Industrie nach sich gezogen.
Aktuell ist es fast unmöglich, ausreichend Schutz durch Einzelwirkstoffe zu gewährleisten, da die zulässigen Grenzwerte so stark gesenkt wurden, dass eine effektive Wirksamkeit außerhalb der Kennzeichnungspflicht nicht mehr gegeben ist.
Innovationen im Bereich der Biozidwirkstoffe sind selten und aufgrund hoher Hürden auch nur schwer umsetzbar. Basierend auf den aktuellen Daten lässt sich ableiten, dass es auch in den kommenden Jahren nur eine begrenzte Anzahl an Alternativen zur Verwendung von Kombinationsprodukten aus bekannten Wirkstoffen geben wird.

Grafik
Erzeugung reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) am Beispiel „AGXX“
​​ © Heraeus Precious Metals



Eine neue Aktivsubstanzklasse im Zulassungsprozess
Eine der wenigen neuen Aktivsubstanzen, die sich aktuell im Zulassungsprozess befindet, ist die der in situ generierten freien Radikale aus Luft und Wasser. Bei diesen antimi­krobiellen Technologien entstehen die Wirkstoffe, wie bspw. Hydroxyl-Radikale und Wasserstoffperoxid, zeitlich unbegrenzt durch eine chemische Reaktion aus Feuchtigkeit und Sauerstoff aus der Umgebung. 
Der Zulassungsprozess für die Wirkstoffe der in situ generierten freien Radikale ist derzeit für elf Produktarten im Gange. Produkte, die auf diesem Wirkkonzept basieren, dürfen jedoch bereits in einer Vielzahl von Anwendungen eingesetzt werden.
Die Grafik veranschaulicht dieses Konzept anhand des antimikrobiellen Katalysatorsystems „AGXX“. Hierbei handelt es sich um eine neue antimikrobielle Technologie, bei der durch die Wechselwirkung zweier Edelmetalle – Silber und Ru­thenium – eine katalytische Reaktion ausgelöst wird, bei der in Gegenwart von Wasser und Sauerstoff reak­tive Sauerstoffspezies entstehen, die mit Mikroorganismen reagieren und diese abtöten. Der Wirkmechanismus beruht nicht auf der Freisetzung von Metallionen oder schädlichen Verbindungen in die Umwelt. Dadurch ist ein langanhaltender Schutz gewährleistet.

Grafik
Kontamination in einer Acrylat-basierten Wandfarbe mit und ohne Konservierungsmittel (IBRG P16 mod./Wet State Paint Method).
​​​​© Heraeus Precious Metals


Einsatz von AGXX in der Topfkonservierung 
Aufgrund des Wirkprinzips der Aktivsubstanz ROS kommen als Anwendungsfelder vor allem solche in Frage, bei denen die Edukte für die katalytische Reaktion (Sauerstoff und Wasser) in ausreichender Menge zur Verfügung stehen.
In Versuchen zur Konservierung einer Acrylat-basierten Wandfarbe gemäß IBRG P16 (Wet State Paint Method, modifiziert) konnte Folgendes gezeigt werden:
Gegenüber der Referenz ohne Konservierungsmittel, in der nach zwei Wochen starkes Bakterien- und Pilzwachstum beobachtet werden konnte, wurde die Keimbelastung sowohl bei einer Einsatzkonzentration von 100 ppm als auch bereits bei 50 ppm signifikant reduziert. Diese Ergebnisse lassen darauf schließen, dass in situ generierte freie Radikale sowohl als Einzelwirkstoff als auch in Kombination mit bekannten Technologien für die Konservierung wässriger Produkte geeignet sind. AGXX lässt sich hierbei entweder direkt als Pulver während des Dispergierprozesses oder nachträglich als Drop-in-Additiv in Form einer Suspension dosieren. Seine Wirksamkeit wurde bereits gegen mehr als 130 Mikroorganismen nachgewiesen. 

Ausblick
Auch in Zukunft werden die regulatorischen Rahmenbedingungen eine zentrale Herausforderung für Anwender und Hersteller antimikrobieller Technologien darstellen. Dies macht den Bedarf an innovativen Konzepten notwendig, um zukunftssicher aufgestellt zu sein. Auch wenn es derzeit noch nicht danach aussieht, bleibt zu hoffen, dass die laufenden Entwicklungen als Innovationstreiber für die gesamte Branche dienen werden.

Martin Danz, Head of  Antimicrobial Technologies und Tobias Schwob, Head of Innovation Antimicrobial Technologies, Heraeus Precious Metals GmbH & Co. KG, Hanau

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Zur Person

Martin Danz hat ein Diplom in Volkswirtschaftslehre von der Universität Heidelberg und absolvierte Kurse in Wirtschaftswissenschaft an der Universität Montpellier und in Business Administration an der University of North Carolina, Greensboro. Er ist seit mehr als zwölf Jahren in verschiedenen Positionen bei Heraeus tätig. Seit der Gründung der Wachstumsplattform „Antimicrobial Technologies“ von Heraeus Precious Metals Mitte 2021 ist er für diese hauptverantwortlich. Derzeit konzentrieren sich die Aktivitäten auf die AGXX-Technologie.

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Zur Person

Tobias Schwob ist Chemiker mit dem Fokus auf die Bereiche Polymer- und Materialchemie und verstärkt seit diesem Jahr das Team Antimicrobial Technologies von Heraeus Precious Metals. In seiner Rolle als Leiter der Innovation verantwortet er die kontinuierliche Weiterentwicklung des bestehenden Produktportfolios sowie den Übertrag vom Labor- in den Produktionsmaßstab. In diesem Zusammenhang liegt der aktuelle Schwerpunkt auf der Anpassung der AGXX-Technologie an die kundenspezifischen Anforderungen.

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